Von Bierrunden und Boxtischen

Rassismus Wenn ein schwarzer Professor und ein weißer Polizist streiten, geht es dann um Rassismus oder um Klassengegensätze? Überlegungen zum Fall Henry Louis Gates

An einer Elite-Universität wie Harvard schmücken sich die Professoren gerne mit makelloser Etikette. In den Sprechstunden werden die Dozenten wiederum zu humorvollen, aufgeschlossenen Edukatoren – für ihre Studenten haben sie stets ein offenes Ohr. So auch Henry Gates, den ich als Gastwissenschaftlerin kennen lernte.

Gute Manieren und Hilfsbereitschaft gegenüber seinen Studenten kann ihm kaum jemand absprechen. Umso über­raschender war für uns die Meldung von seiner Verhaftung. Der Mann, der sein Gegenüber selten unterbricht und seine Stimme erst dann erhebt, wenn der Gesprächspartner ihn dazu auffordert, soll Ruhestörung begangen haben? Für seine Studierenden mag daher sein Vorwurf, Polizist James Crowley habe aus rassistischen Motiven gehandelt, nachvollziehbar scheinen. Henry Gates befasst sich seit Jahrzehnten mit der von Rassismus gezeichneten Geschichte der Afroamerikaner in den USA. Sie ist Teil seiner Biografie. Als er sich bei der Yale University bewarb, schrieb er: „Nun entscheidet wieder ein Weißer über mein Schicksal“.

Dekaden nach seinem Yale-Abschluss bestimmte erneut ein Weißer über ihn, diesmal der Polizist James Crowley, der sich, laut Gates, geweigert haben soll, seine Dienstmarke zu zeigen. Damit versagte er dem Professor ein Recht, das jedem amerikanischen Bürger zusteht. Aber handelte Crowley wirklich so, weil Gates Afroamerikaner ist? Oder war es die in Harvard-Kreisen als stolz, auf andere Leute wiederum arrogant wirkende Art von Professoren wie Gates, die den Polizisten provozierte? Die elitäre Haltung der Akademiker wirkt auch auf viele Einwohner von Cambridge provozierend. Spannungen zwischen der Eliteeinrichtung und den Bürgern des kleinen Vorortes von Boston sind an der Tagesordnung. Bei öffentlichen Vorträgen in Harvard wird dies besonders deutlich. In Fragerunden unterscheiden sich die Besucher von den Harvard-Mitgliedern durch die Inhalte ihrer Fragen und Kommentare. Bei Fakultätsmitgliedern rufen die Äußerungen ihrer Gäste resigniertes Lächeln und übertriebenen Stolz wach. Die Etikette, die man sich harvardintern angedeihen lässt, bleibt hier rasch auf der Strecke. Auch bei ­Gates. War es also der Mangel an Respekt als Folge einer zu stolzen Haltung und nicht die Hautfarbe, die Crowley provoziert hat? Geht es mit anderen Worten um „Sozialrassismus“, und zwar von Gates, wie der ebenfalls afro-amerikanische Soziologieprofessor Boyce ­Watkins meinte? Denkbar.

Einige unter uns Studenten haben ­allerdings noch eine andere Deutung. Sie sehen Gates’ Neigung, überall rassistische Diskriminierung zu wittern, als den eigentlichen Grund der Eskalation. Eine nahe liegende Hypothese – haben doch Dekaden persönlicher Erfahrungen und der wissenschaftlichen Arbeit seine Meinung von der Allgegenwart des Rassismus gewiss geprägt. Aber auch diese Deutung bleibt spekulativ. Sicher ist dagegen, dass der Vorfall zeigt, wie die gesellschaftlichen Wunden des Rassismus nicht vernarben und die Frage der kulturellen und gesellschaftlichen Identität des Landes mit der Wahl eines Afroamerikaners zum Präsidenten längst nicht beantwortet ist. Nichts gegen den so genannten Bier-Treff von Obama mit Gates und Crowley, versagt aber haben die meisten US-Medien: Aus dem runden Tisch, an dem Gesprächspartner auf Augenhöhe den Austausch suchen, machten sie einen Boxring. Das Thema Rassismus war mit der Verhaftung eines afroamerikanischen Harvard-Professors zu Beginn der ersten Amtszeit eines afroamerikanischen Präsidenten eine besondere Verlockung, der sie erlegen sind.

Die Autorin promoviert in Harvard, wo sie die Psychologie politischer Konflikte erforscht

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