Viel Herz, wenig Kommerz

Fußball-Blogs Wer etwas Intelligentes über Frauenfußball lesen will, sollte die meisten Medien ignorieren. Einige Blogger sind ohnehin besser informiert

Einwurf, Kopfballduell, Gerangel im Strafraum, Schuss und Tor. Jubelnd dreht Turbine Potsdams Stürmerin Yuki Nagasato ab. Auf der Pressetribüne bricht Hektik aus: Hälse recken sich, Zurufe: „Wer war‘s?“ „Von wem kam der Einwurf?“ „Wer hat weitergegeben?“ In die Journalistenriege beim Champions-League-Halbfinale zwischen Turbine Potsdam und dem FCR Duisburg ist plötzlich Leben gekommen. Man berät sich, spekuliert, bearbeitet hektisch den Laptop, die Zeit drängt. Nur Markus Juchem bleibt ganz ruhig auf seinem Presseplatz sitzen und tippt. Er braucht keine Spielerinnennamen nachzuschauen, er kennt sie. Und: Anders als seine Kollegen von der Tageszeitung hat der Blogger keine Redaktion, die ihm auf die Finger schaut.

„Auf womensoccer.de bin ich Hausherr und kann bestimmen, wann mein Artikel auf der Seite erscheint.“ Er lege vor allem Wert auf Richtigkeit, nachträgliche Korrekturen macht er, wie in der Bloggerszene üblich, kenntlich. Neben Spielberichten erscheinen auf womensoccer.de Kommentare, Interviews und Teamporträts. Das kostet Mühe, Geld und vor allem Zeit. Mehr als 1.200 Reisekilometer legt Juchem allein wegen des Halbfinales von seinem Wohnort München nach Potsdam zurück. „Heute Morgen ging es um sechs Uhr los, zu Hause bin ich dann gegen Mitternacht.“ Täglich recherchiert er mindestens zwei Stunden lang Informationen zum Frauenfußball und schreibt neue Blogeinträge.

In der Halbzeitpause steuert Juchem auf die Pressesprecherin der Heimmannschaft Turbine Potsdam zu und wird von ihr herzlich begrüßt. Der 43-Jährige hat eine offene Art und einen entscheidenden Vorteil gegenüber vielen Journalisten-Kollegen: Er kennt sich bestens aus im Frauenfußball.

Aus eigener Tasche bezahlt

Seine Leidenschaft für den Sport hat Juchem schon während der Frauenfußball-Weltmeisterschaft 2003 in den USA entdeckt. Die Idee, einen Blog zu starten und damit eventuell auch Geld zu verdienen, kam ihm erst viel später, im Jahr 2007. Seitdem berichtet der Kommunikationswissenschaftler über die Spiele der Liga, den DFB-Pokal, die Champions League, über die Weltmeisterschaft und ausländische Ligen. Sein Angebot hat er über die Jahre stetig erweitert.

Lange Zeit war es ein Verlustgeschäft. „Ich habe eigentlich alle Fahrten zu den Spielen aus eigener Tasche bezahlt, da ist auf das Jahr gerechnet schon einiges zusammengekommen.“ Mittlerweile vermietet Juchem Werbeflächen auf seiner Webseite, um einen Teil seiner Kosten zu decken. Seine Kunden zahlen pro 1.000 Klicks auf womensoccer.de, da ist jeder Besucher wichtig.

Um seine Reichweite zu erhöhen, weist Juchem regelmäßig mithilfe des Kurznachrichtendienstes Twitter auf seine neuesten Artikel hin und ist auch auf Facebook aktiv. Außerdem hat er sich den „Netzathleten“ angeschlossen, einem so genannten Vertical Content Network, das ausgewählte Artikel von Webseiten über Randsportarten bündelt und als Paket an Werbekunden verkauft.

Die so erzielten Einnahmen seien zwar gering, aber noch allemal höher als durch das vor einem Jahr noch hochgelobte Flattr. Das Micropayment System funktioniere für kleinere Blogs „überhaupt gar nicht“, sagt Juchem. Sein Blog sei derzeit noch kein finanzielles Standbein, aber die laufenden Kosten für Zugfahrten könne er damit decken. Geld verdient er als Texter im Auftrag des europäischen Fußball-Verbands UEFA. womensoccer.de ist für ihn vor allem ein großes Hobby, aus dem vielleicht einmal mehr werden kann.

Aber hat Juchems Blog die nötige journalistische Substanz für seriöse Berichterstattung? „Mir wird immer mal wieder nachgesagt, mehr über den einen oder den anderen Verein zu berichten. Das liegt aber mehr an der Erreichbarkeit der Spielorte als an einem potenziellen Lieblingsverein“, sagt er. Und natürlich sei sein Blog auch ein Terrain zum Ausprobieren und Austoben, auf dem er seine Freiheiten genieße. „Die Berichterstattung für die UEFA geht dann schon eher in Richtung PR-Journalismus, für den gewisse Dinge auch ausgeblendet werden.“ An seinen Blog aber lege er strenge journalistische Maßstäbe an, versichert Juchem.

Kameradschaft in der Nische

Nach dem Spiel, das mit einem Sieg und dem Finaleinzug Potsdams endet, nimmt der Blogger noch an der Pressekonferenz teil. Eben hat die Nationalspielerin Lira Bajramaj im ZDF ihren Wechsel von Potsdam zum Erzrivalen Frankfurt bekannt gegeben. Während seine Journalistenkollegen noch über die Gründe spekulieren und überlegen, wo „die Familie von der Bajramaj noch mal wohnt“, arbeitet Juchem schon an seinem Blogbeitrag über die vermutlichen Hintergründe des Vereinswechsels. Er weiß, dass sie in Frankfurt auch „näher dran an ihrer Familie in Mönchengladbach ist.“ Die Gründe für ihren Wechsel seien dann aber doch eher finanzieller und sportlicher Natur, vermutet er.

Mit 26.500 Unique Visits im Monat ist womensoccer.de im Bereich Frauenfußball der erfolgreichste deutsche Blog; bisher gibt es allerdings nur ein sehr begrenztes Angebot zum Thema. Neben Juchem füllen vor allem framba.de von Oliver Zimmermann und Astrid Labberts zuckerpass.com die Nische auf.

Wie die anderen Blogger distanziert sich Juchem vom Konkurrenzdenken im Netz. Im Gegenteil, man kennt und schätzt sich in der Szene, die Blogs verweisen aufeinander. Wohl auch, weil sich mit Journalismus im Bereich Frauenfußball noch kaum Geld verdienen lässt. Für die hauptberuflichen Journalisten, die nach der Pressekonferenz weiter unter sich fachsimpeln, sieht Juchem seinen Blog nicht als Konkurrenz, sondern eher als Ergänzung zu den traditionellen Medien: „Wichtig ist doch, dass wir das Grundrauschen der Berichterstattung über den Frauenfußball erhöhen.“

Anna-Lena Krampe ist freie Journalistin in Hamburg und begeistert sich ebenso für Männer- wie für Frauenfußball

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