Dortmunder Jung

Porträt Marco Bülow verließ die SPD und kämpft jetzt mit der PARTEI um den Wiedereinzug in den Bundestag
Ausgabe 36/2021
Die Linke war ihm zu zerstritten, von den Grünen hält er wenig
Die Linke war ihm zu zerstritten, von den Grünen hält er wenig

Foto: imago/Photothek

Er trägt eine Krawatte, könnte man meinen, doch aus der Nähe zeigt sich: Sie ist aufgedruckt, in Rot, sie ziert sein hellblaues T-Shirt. Früher Freitagabend in Dortmunds Innenstadt, Marco Bülow verteilt Werbeartikel, mit seinem Genossen Martin Sonneborn. Eine Band spielt, die Stimmung ist gelöst, stehen bleiben vor allem junge Menschen. Hier feiert die PARTEI den Auftakt ihrer Wahlkampftour, in der Stadt, die lange als „Herzkammer“ der Sozialdemokratie galt, wofür Bülow seit 2002 ja der lebende Beweis war: Wahl um Wahl hat er in seiner Heimat das Direktmandat geholt und ist dann als Mitglied der SPD-Fraktion in den Bundestag eingezogen. Das ist vorbei.

Bülow hat die SPD verlassen, im November 2018, das war das Ende eines langen Kampfes, wobei er dem widersprechen würde: Mit dem Kämpfen aufhören wird der jetzt 50-Jährige wohl nimmermehr. Er kam zu Beginn der zweiten Legislaturperiode von Rot-Grün unter Gerhard Schröder als einer der jüngsten Abgeordneten in den Bundestag und kämpfte gegen Hartz IV. Er wurde 2005 umweltpolitischer Sprecher seiner Fraktion und gab den Posten 2009 auf, um gegen die Umweltpolitik der GroKo zu demonstrieren. Seine Chancen auf einen guten Listenplatz wurden immer schlechter, er holte das Direktmandat im Wahlkreis Dortmund I. Er hörte den Rat erfahrener Kollegen – „Mitmachen, bis die echte Machtposition kommt“ – und schrieb das Buch Wir Abnicker, um die Entmachtung der Parlamente, die Profitlobby und allseitige Intransparenz anzuprangern. Er gründet eine „Progressive Plattform“, beteiligt sich an der Sammlungsbewegung Aufstehen, beides floppt. Jetzt kämpft Bülow mit der PARTEI.

In Dortmunds SPD hat das mindestens eine Sicherung durchbrennen lassen. Weil PARTEI und SPD jüngst Wahlkampfstände in nächster Nähe zueinander aufgebaut hatten, warf ein Unterstützer Jens Peicks, des neuen Kandidaten der SPD im Wahlkreis, Bülow „Störaktionen“ vor, die man „in Dortmund nur durch rechte Parteien“ kenne, und stellte ihn auf eine Stufe mit zwei stadtbekannten Neonazis. „Wir standen über 50 Meter entfernt“, entgegnete Bülow, „hatten extra die Rede von Jens Peick abgewartet und sie angehört, bevor wir unsere Mikroanlage angemacht haben. In meiner Rede ging es nur um Inhalte.“ Die SPD Dortmund distanzierte, der Peick-Helfer entschuldigte sich und löschte seinen Eintrag aus dem Internet.

Verfangen hätte der Vergleich in Dortmund ohnehin kaum – zu gut kennen sie Bülow hier, auch als Antifaschisten. Sein Abitur hat er auf einer Gesamtschule in der Dortmunder Nordstadt abgelegt, beide Eltern arbeiteten in der Krankenpflege, sein Journalistik-, Politik- und Geschichtsstudium an der hiesigen TU beendet er ohne Abschluss. In der Nachbarschaft kennt man sich, Familie und Freunde tragen das Herz am linken Fleck.

Enttäuscht hat es dennoch einige in der Stadt, dass er 2018 nach 26 Jahren sein Parteibuch ab- und nach 16 Jahren seine Fraktionsmitgliedschaft aufgegeben hat, im Zuge einer von der SPD mitgetragenen Erhöhung des Verteidigungshaushalts. Bülow selbst hat es erlöst. So jedenfalls liest sich sein Blog in der Community auf freitag.de, in dem er ein Jahr später Zwischenbilanz zog: „Der Bundestag ist nicht mehr die Entscheidungsmitte, er kontrolliert nicht die Regierung, erstellt nicht die Gesetze, sondern nickt sie meistens einfach nur ab. Von diesem Druck in den Fraktionen, dem ich auch früher immer versucht habe zu widerstehen, bin ich befreit. So kann ich die Anliegen offen ansprechen, die oft zu kurz kommen“, die von im Parlament „leider stark unterrepräsentierten Menschen“.

Sein Mandat hat er behalten. Bülow legt den Fokus jetzt auf die Vernetzung mit zivilgesellschaftlichen Akteur:innen, nimmt an Demos der Klimabewegung teil, holt deren Vertreter:innen in den Bundestag, spricht bei einer Protestaktion von Extinction Rebellion – auch fernab der Presse. Ende Juni erscheint sein Buch Lobbyland. Wie die Wirtschaft unsere Demokratie kauft, in dem er die Etablierung von Bürger:innenräten und die Stärkung des Petitionsrechts fordert. Warum aber hat er 2018 nicht einfach die Fraktion gewechselt?

Die Linke sei ihm intern zu zerstritten, sagt Bülow heute, und zu den Grünen meint er: „Es bringt nichts, nur eine Farbe im politischen Mosaik auszutauschen.“ Als Fraktionsloser darf er keine Gesetzesinitiative starten, hat kein Stimmrecht im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit; im Plenum reden darf er kürzer, aber dafür öfter und sich die Themen aussuchen. Zwei Jahre nach seinem SPD-Austritt, im November 2020, wird er zum U-Boot der PARTEI im Bundestag – schließlich halte Satire der Politik und der Gesellschaft den Spiegel vor, sagt er.

Am Freitagabend in der Innenstadt hat die Band ihr erstes Set beendet, als Bülow eine Satire-freie Rede beginnt, vor allem über Afghanistan. Martin Sonneborn bescheinigt ihm später „eine cholerische Persönlichkeit“. Satire sei auch ernsthaft und Bülow passe sich gut an, so der Tenor der anwesenden PARTEI-Mitglieder. Aber ein bisschen lockerer dürfe er schon gern noch werden.

Ob es mit der Verteidigung des Direktmandats klappt? Bülow setzt auf Politikverdrossene und bisherige Nichtwähler:innen. Zuletzt klopften häufiger überregionale Medien an. Dem ZDF hat er gerade gesagt, Olaf Scholz würde sich eher eine Hand abhacken, als mit der Linken zu koalieren. Mehr als die Möglichkeit eines Rot-Grün-Rot-Bündnisses beschäftigt ihn, dass die SPD in Sachsen-Anhalt jetzt einen Koalitionsvertrag mit CDU und FDP geschlossen hat, der eine Vertagung des Kohleausstiegs in den Bereich des Möglichen rückt.

Anna Lena Samborski ist Bloggerin aus Dortmund

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