Das Fremde in mir von Emily Atef

Kino Die Entdeckung in diesem Film ist die Hauptdarstellerin. Die Theaterschauspielerin Susanne Wolff zeigt in ihrer ersten großen Filmrolle, welche ...

Die Entdeckung in diesem Film ist die Hauptdarstellerin. Die Theaterschauspielerin Susanne Wolff zeigt in ihrer ersten großen Filmrolle, welche Wahrhaftigkeit und Intensität mit verhaltenem Spiel zu erreichen ist. Zu Recht wurde sie für die Rolle der Rebecca auf dem Filmfest in München als Beste Darstellerin gekürt.

Drei Phasen gilt es für sie in diesem Psychodrama zu bewältigen: die selbstbewusste junge Frau in froher Erwartung vor der Geburt ihres ersten Kindes, der galoppierende Absturz danach und der langsame und komplizierte Heilungsprozess. Alle Verstörung, die das Thema der scheiternden Mutterschaft mit sich bringt, geht im Film von Rebeccas verschlossenem Gesicht aus, ihrem ruhelosen Blick, ihrem angespannten Körper. Es ist bemerkenswert, wie ernsthaft und bar jeder oberflächlichen Dramatik Regie und Darsteller ein Thema angehen, das sich für Betroffenheitskitsch bestens angeboten hätte. Die Filmemacherin Emily Atef setzt aber in ihrem Film durchweg auf die bildliche Vermittlung einer Atmosphäre der Verlorenheit und wirbt gekonnt um Verständnis für eine schwierige Hauptfigur und ein Thema, das an den Grundfesten aller anthropologischen Gewissheiten rüttelt.

Die Geburt ihres Kindes katapultiert Rebecca unerwartet in einen Zustand emotionaler Taubheit. Entgegen aller Erwartung stellen sich Mutterinstinkte bei ihr nicht ein. Fremd wandelt sie durch ihren neuen Alltag. Die schöne Wohnung, in die sie mit ihrem Freund Julian (Johann von Bülow) gezogen war, ist liebevoll eingerichtet. Aber die Räume sind nicht erfüllt von seligem Mutterglück und Babyglucksen. Das Herz geht der Mutter nicht auf, sobald sie in die Wiege blickt und den kleinen Lukas betrachtet. Stattdessen herrscht leeres Schweigen. Pflichtschuldig und hölzern nimmt die Mutter das weinende Kind aus der Wiege, um es zu beruhigen. Vater Julian kommt spät nach Hause, versteht und sieht nicht, was vor sich geht, wird ungeduldig mit der Freundin. Diese richtet sich im Schweigen ein, sucht allein Auswege aus dem Zustand der quälenden Isolation mit dem Kind. Sie macht ihren Blumenladen wieder auf. Steht sie dort am Tresen, schaut Baby Lukas vom Maxi-Cosi aus zu. Wenn sie das Kind wegdreht, es ins Hinterzimmer bringt, um seinen Blicken zu entgehen, erzählt das mittelbar und ohne Worte, wie hier etwas grundsätzlich nicht stimmt. Rebeccas Depression geht mit einer fortschreitenden emotionalen Desorientierung einher, und es gehört zu den Qualitäten des Films, dass der Zuschauer niemals mehr weiß als Rebecca.

Die ersten Sequenzen de Films zeigen die völlig verstörte Rebecca im Wald, immer im Wechsel mit Rückblicken auf Momente von Pärchenglück in der frisch renovierten Altbauwohnung, von der Geburt, von Stillversuchen. Dann sitzt Rebecca mit ihrem Kind freudlos am Ufer eines Sees. In einer Traumsequenz, die den versuchten Suizid vorwegnimmt, geht sie in den See bis die Wasseroberfläche sich wieder schließt.

Rebecca wird gerettet und findet in einer Klinik Beistand. Ihr freundlicher Psychiater (Herbert Fritsch) erklärt ihren Zustand als postpartale Psychose, die von einer Empfindlichkeit gegenüber starken Hormonschwankungen herrührt. Mit Unterstützung von Mutter (Maren Kroymann) und Therapeutin (Dörte Lyssewski) entwickelt Rebecca nur sehr langsam Sehnsucht nach ihrem Kind, das inzwischen von Julian und seiner Familie versorgt wird. Susanne Wolffs Kunst, ihrem fragenden, tastenden Spiel ist es zu verdanken, dass und wie ihre nachträglich erwachten Gefühle den Zuschauer beglücken können.

Der Film schafft im engeren Sinn Verständnis für Frauen, die an einer Psychose nach der Schwangerschaft leiden. Darüber hinaus erzählt er unsentimental von der oft isolierten Lage der postmodernen Wohlstandsmutter, die jenseits von Großfamilie und Gemeinschaft in der Einsamkeit der perfekten Häuslichkeit ein Neugeborenes zu versorgen und dabei gefälligst glücklich zu sein hat.

Zwei Jahre haben Emily Atef und ihre Autorin Esther Bernstorff am Drehbuch für den Film geschrieben. Auf dem Filmfest Oldenburg wurde Das Fremde in mir zum Besten Deutschen Film gekürt.

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