Eine Frau lebt ihren Mann

Film Lola Randl hat mit "Die Besucherin" ein überraschend ausgereiftes Debüt vorgelegt, das trotz der bedächtigen Erzählweise einen starken Sog ent­faltet

Manche Menschen haben ihr Leben so gut organisiert, dass es eine Weile noch funktioniert, wenn sie sich daraus verabschiedet haben. Agnes (Sylvana Krappatsch) führt so ein Leben: Sie ist mit Walter (Samuel Finzi) verheiratet, der zu Hause alles regelt und nebenbei Krimis schreibt, während sie sich am Neuro-Institut für den wissenschaftlichen Fortschritt einsetzt. Agnes zahlt die Miete für das schöne Haus und greift mit arroganter Nachsicht ihrer schrillen Schwester (Jule Böwe) unter die Arme, die zu viel redet und sich in ihren chaotischen Beziehungen verliert. Agnes hat alles fest im Griff. Jeden Morgen isst sie aus derselben Müslischüssel, fährt zur Arbeit und weist, falls nötig, mit unbewegter Miene die Sekretärin zurecht.

In ihrem Debütfilm Die Besucherin beobachtet Lola Randl, Autorin und Regisseurin des Films, diese undurchdringliche Figur: Wie sie, tastend, dann immer entschiedener einen Ausweg aus den festgefahrenen Bahnen sucht, um sich selbst wiederzufinden. Ohne Zufall gelingt ihr das nicht: Als ein Fremder vom Balkon vor ihr Auto springt, löst das in Agnes Unruhe aus. Tags drauf drängt die Schwester ihr die Schlüssel zu einer Wohnung auf, wo sie nach dem Rechten sehen soll. Dort findet Agnes Hinweise auf die Lebensumstände der Bewohner und eignet sich nach und nach deren private Umgebung an. Als Bruno (André Jung), der Inhaber auftaucht, entspinnt sich eine merkwürdig vage Liebesgeschichte.

Begleitet von der Idee, die namenlose Besucherin könne für eine Weile in die Rolle von Brunos verunglückter Frau schlüpfen, fällt das Paar in einen so melancholischen wie flüchtigen Taumel des Jetzt. Agnes vernachlässigt ihre Arbeit, lässt sich das Haar kurz schneiden und steht nachts auf, um in die andere, die unbekannte Rolle zu schlüpfen. Das Hin und Her zwischen ihren Welten nimmt Fahrt auf.

Abwechslung von der Konvention

Am meisten verblüfft an diesem Film die Selbstverständlichkeit, mit der Agnes Dinge tut, die eigentlich männlich kodiert sind. Es ist amüsant, wenn Walter ihr vorhält, sie gehe ein und aus, wie es ihr passe, lasse ihre schmutzige Wäsche einfach liegen und kümmere sich um nichts. Zu beobachten, dass und wie Agnes, ohne jeden Überschwang, seltsam kontrolliert die Chance zur Hingabe sucht und es nicht für nötig hält, sich zu rechtfertigen, ist eine erholsame Abwechslung von der Konvention. Es bewahrt die Geschichte auch davor, als Seitensprungdrama missverstanden zu werden. Die Besucherin handelt nicht von Eitelkeit, sondern von der Sehnsucht nach Erneuerung des Ich, von der Faszination einer unmittelbaren Begegnung und den Regeln, die in einer solchen Konstellation zu beachten sind.

Die 1980 geborene Regisseurin Lola Randl hat ein überraschend ausgereiftes Debüt vorgelegt, das trotz der bedächtigen Erzählweise einen starken Sog ent­faltet. Der Film wird von der Faszination für die Hauptfigur getragen. Mit feinen Nuancen und gespannter Körperlichkeit gestaltet Sylvana Krappatsch die Widersprüchlichkeit einer Figur, die noch beim Liebesakt hochgradig introvertiert und zurückhaltend bleibt. Dem eigenen Begehren scheint sie selbst immer hinterherzuhinken. Samuel Finzi spielt seine Rolle mit leiser Ironie, wahrhaftig und liebenswert. Darstellerisch lobend zu erwähnen ist auch André Jung, der seiner Figur Bruno einen melancholischen Charme verleiht.

Die Besucherin Regie: Lola Randl, ab 14. Mai in den Kinos

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