Me too, ich auch“, flöten Riah und Lindy beim expliziten Sex-Talk-Duett. Und sie singen weiter: „I’m so happy, we’re doing this.“ Die beiden codieren das skandalträchtige Hashtag einfach um. Von der bekennenden Anklage zum süßen Einverständnis zum erotischen Spiel.
In ihrer Eröffnungspremiere Yes but No gehen Yael Ronen und ihr Ensemble am Maxim Gorki Theater einmal mehr von selbst Erlebtem aus. Diesmal sorgt das Operettengenre wirksam für Entkrampfung. Dank schmissiger Musik, dank anrührender Geschichten, dank eines glänzend aufgelegten Ensembles gelingt die zunächst irritierende Synthese von Aufregerthema und guter Unterhaltung.
Im Jahr eins nach der Affäre Weinstein und der sich anschließenden MeToo-Welle ist die Debatte über Machtmissbrauch auf den Spielplänen der Berliner Bühnen angekommen. Die überfällige Selbstbefragung hat es von den Podien auf die Bühnen geschafft. Was machen wir hier eigentlich? Welche Rolle(n) spielen Männer und welche spielen die Frauen auf und hinter den Brettern, die die Welt bedeuten? Kann aus derart hierarchisch strukturierten Institutionen heraus glaubwürdig Kritik an der Gesellschaft geübt werden? Sind lauter „straight white men“ am Drücker, die sagen, was gespielt wird und von wem? Und wie finden wir es, wenn sie Wohnungslosigkeit und Geschlechterdebatten als Themenschwerpunkte in ihrem Spielplan abhandeln, aber in Sachen Machtmissbrauch schön weitermachen wie bisher? Und wie weit geht die Freiheit der Kunst?
Das Maxim Gorki Theater arbeitet seit fünf Jahren unter der Führung einer Frau mit Migrationshintergrund erfolgreich an der Diversifizierung seiner Geschichten und Perspektiven. Die Dramaturgie stellt, wenigstens zeitweise, in einem gewissen Rahmen unterprivilegierten Gesellschaftsgruppen ihre Strukturen zur Verfügung. Ein Plus in Sachen Glaubwürdigkeit.
Zur Spielzeit-Eröffnung kamen dort nun zwei von der MeToo-Debatte angestoßene Stückentwicklungen heraus. Mit Yes but No präsentieren Yael Ronen und Ensemble eine interaktive Show, die es in sich hat. Lindy (Lindy Larsson) steppt und strahlt, während er erzählt, wie er als Sechsjähriger das erste Mal einen erigierten Penis sah. Auf einem Aufkleber! Die Welt stand still. Lustige Anekdoten von weiteren Protagonisten folgen, aber Achtung, unmerklich schleichen sich anders gefärbte Schilderungen ein. Der Stiefvater übt mit der Zwölfjährigen, wie sie sich im Vergewaltigungsfall verhalten soll – und tastet nach ihrer Vagina. Mutter schaltet den Föhn ein, um sich vor den Hilferufen ihrer Tochter abzuschirmen. Eine junge Frau bläst einem Typen einen, weil sie meint, dafür geradestehen zu müssen, dass sie ihn scharfgemacht hat.
Auf der Schauspielschule fordert ein berühmter Volksbühnen-Regisseur Taner (Taner Şahintürk) auf, nackt auf die Bühne zu kriechen. „So, dass das Publikum dein Arschloch sieht.“ Als Nächstes soll er in seine Hand „scheißen“, eine junge Kollegin beschmieren, sie „ficken“ und zum krönenden Abschluss die Deutschlandfahne mit seiner Scheiße beschmieren. Hier wird ein Klischee von Kunstfreiheit Wirklichkeit. Später am Abend wird der Berserker als Johann Kresnik geoutet. Leider ahnt man, dass diese Geschichte keine Ausnahme ist. Sondern eine von vielen Episoden, in denen ein (meist männlicher) Herrscher in der Theaterwelt die Reichweite seiner Privilegien testet und sie – wichtig: vor aller Augen – genießt. Die Verquickung von Prestige, subjektiver Abhängigkeit junger Künstlerinnen und Künstler sowie sexuellen Übergriffen ist in Deutschland bisher nur am Beispiel Wedel wirklich bekannt geworden. Denn wer redet, kann einpacken.
Die Episode sei, bemerkt Taner, in Kresniks Augen keineswegs ein MeToo-Fall gewesen, sondern seine Arbeitsmethode. Bis heute werden am Theater Prahlereien mächtiger Theaterleiter über ihre sexuellen Eroberungen nicht geächtet.
Leise diskutieren meine Lieder
Dass auf die bittere Probenepisode Lindy Larssons und Riah May Knights oben beschriebenes Duett Deal of Consent folgt, die süße Vision eines einvernehmlichen Miteinanders, tut gut. Und irgendwie ist die Sache insgesamt rund: keine durchgepeitschte These, sondern „discussion with songs“, wie der Abend im Untertitel heißt. Dass das Ensemble das Publikum anschließend zu Nähe/Distanz-Workshops im Foyer einlädt, wo es laue Achtsamkeitsübungen moderiert, nimmt dem Unternehmen wieder einiges von seinem Charme.
Weniger gelungen ist auch die zweite Stückentwicklung des Abends, die Männlichkeitsrecherche You are not the hero of this story von Suna Gürler und Lucien Haug. Das Stück wird als Ouvertüre zur Eröffnung im Studio Я von einem fünfköpfigen Ensemble gegeben. Aus dem Off reden Männer in O-Tönen über ihre Männlichkeit und die MeToo-Debatte. Es geht um wenig mehr, als dass Schwänze ein Erkennungszeichen von Männlichkeit sind. Der eine betrachtet MeToo als Gefahr für den Erhalt der Art: „Wie, bitte schön, soll man(n) jetzt noch eine Frau ansprechen?“ Der andere regt sich über genau diese Haltung auf.
Suna Gürler, die mit Stören in der letzten Spielzeit auf Erfolgskurs gegangen ist, stochert hier an der Oberfläche der Dialektik von Macht und Ohnmacht herum und gibt nichts zu denken oder zu staunen auf. Spielsituationen oder Thesen fehlen, unablässig gleiten die Akteure in ihren Unisex-Business-Outfits auf Knien oder Stühlen die Schräge hinab.
Auch am Berliner Ensemble wird in dieser Saison auf der Bühne über die Rollenverteilung der Geschlechter nachgedacht. Zwei Premieren stehen hierzu im Oktober auf dem Spielplan. Der junge australisch-schweizerische Regisseur Simon Stone hat sich in den vergangenen Jahren mit Aktualisierungen des bürgerlichen Repertoires einen exzellenten Namen gemacht. Tschechow, Ibsen, Strindberg, die bitterbösen Analytiker der bürgerlichen Familienhölle, hat er seziert. Sein tragikomisches Hotel Strindberg mit der Starbesetzung Martin Wuttke und Caroline Peters wurde jüngst in der Kritikerumfrage von Theater heute zur Aufführung des Jahres gewählt. In der neuen Produktion geht Stone seinem Staunen über die in den Texten vorgefundenen Geschlechterkonstellationen nach. Wo sind die unerschrockenen Heldinnen geblieben, die es in der Antike durchaus gab? Und wie kommt es überhaupt, fragt der Regisseur, dass er als „straight white man“ mit einem Exemplar derselben Gattung, mit Oliver Reese zum Beispiel, über Stoffe und Besetzung bestimmt? Was sagt das über unsere Gesellschaft, unser Theater aus? Eine griechische Trilogie experimentiert nun mit unterschiedlichen Texten aus der Ursprungszeit des Theaters. Nach dem Probentag schreibt Stone Szenen, stößt sich von den antiken Stoffen einerseits ab und von den Diskussionen, die er bei der Probe moderiert und miterlebt hat. So kristallisieren sich Themen und Figuren heraus, die sich mit den Schauspielerinnen und Schauspielern verbinden, ohne dass sie direkt biografisch motiviert wären. „Die Debatten werden auffällig kontrovers geführt, weil jeder etwas anderes erlebt hat. Bewegt man sich bei diesem Thema jenseits von Statistik, kommt man schnell in sehr private Gefilde. Das ist das Schöne, aber auch das Diffizile daran“, sagt Dramaturgin Sabrina Zwach über die Proben. Am Anfang habe die Idee gestanden, Szenen ausschließlich von weiblichem oder männlichem Ensemble spielen zu lassen. In solchen Konstellationen werde jetzt streckenweise geprobt. Wie das Mit- und Gegeneinander auf der Bühne konkret aussehen wird, ist in der jetzigen Probenphase noch offen.
Wischen für den Ex
Ist es Zufall, dass der zeitgleich vorbereitete „Fokus: Gender“ des Berliner Ensembles auf der kleinen Bühne gezeigt wird? Weniger Plätze, kleineres Budget, zwei Autorinnen an einem Abend? Das Herzstück des Fokus bildet jedenfalls ein doppelter Theaterabend, die Inszenierung zweier provokanter Texte, die um die marginale Rolle von Frauen in unserem System kreisen: Revolt. She said. Revolt again aus der Feder der jungen Britin Alice Birch und Mar-a-Lago. Letzteres ist ein Auftragswerk, das die österreichische Schriftstellerin Marlene Streeruwitz für das Berliner Ensemble geschrieben hat. Beide Texte spielen exemplarisch bestimmte Situationen durch, erklärt Kuratorin Clara Topic-Matutin. In Streeruwitz’ Text bleiben fünf Abhängige unter sich, Schauspielerinnen zwischen 23 und 68 Jahren. Sie kreisen um den Regisseur und Ex-Geliebten, für den sie anschaffen gehen, den sie – trotz aller Demütigungen, trotz besseren Wissens – nicht verlassen können. Mit gesenkten Köpfen, auf den Knien, wischen sie am Ende den Vorplatz zu seinem Märchenschloss. Aus Streeruwitz’ Text spricht Ernüchterung, was die feministische Sache angeht.
Die andere Dramatikerin, Alice Birch, ist 1986 geboren. In Revolt hadert eine Frau in diversen Revolutionsanleitungen damit, wie tief die Konzepte „aktiver Mann“ und „passive Frau“ in unserem Sprechen verwurzelt sind. In den Formeln, mit denen wir unser Begehren formulieren. Über Sex reden. Sex und Macht, auch bei Birch liegt die enge Verbindung auf der Hand. Ein wütender Text, der neugierig macht.
Die MeToo-Debatte hat den Raum geöffnet für eine neue Auseinandersetzung mit Geschlechterpolitik in unserer Gesellschaft. Dass auf den Bühnen die eigene Machtstruktur unter die Lupe genommen wird, ist eine gute Nachricht. Wie und wo dieser Raum besetzt wird, und von wem, das erzählt in dieser Spielzeit an den Berliner Bühnen eine eigene Geschichte.
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