In der Dominanzfalle

Feminismus Manches wirkte wie ein Backlash, aber dem gerade will man doch etwas entgegensetzen, Kunst von unten, vom Rand zeigen. Über den 4. Herbstsalon im Berliner Gorki-Theater

„Wir kotzen in den Gendergap“, diese Zeile aus einem Text der schweizerischen Dramatikerin Katja Brunner blieb haften nach der feministischen Tour de Force Jedem das Seine, die am ersten Wochenende des diesjährigen Herbstsalons auf der großen Bühne des Maxim Gorki Theaters zu sehen war. Marta Gornickas Arbeit wurde als Koproduktion mit den Münchner Kammerspielen im Mai 2018 auf dem Höhepunkt der MeToo-Debatte in der bayrischen Metropole uraufgeführt.

Jetzt, anderthalb Jahre später, wirkt das Chorstück mit seiner stampfenden Aggressivität leicht überholt. Kommt das so rüber, weil wir seither weiter gekommen sind mit der feministischen Debatte? Weil die „Die Zukunft ist weiblich“ inzwischen schon den Titel des National Geographic ziert? Es muss nicht mehr ganz so laut gebrüllt werden. Trotz Backslash und Populismus stehen, gesamtgesellschaftlich gesehen, die Zeiten nicht schlecht für den Feminismus.

Die Leitung des Hauses knüpft mit dem Herbstsalon an eine Tradition aus dem Jahr 1913 an. Vor hundert Jahren war Internationalität am Festungsgraben nämlich schon mal state oft he art. Damals führte der Avantgardist Herwarth Walden am selben Standort den ersten Salon mit sensationellen Setzungen durch: Er zeigte Kunst der Gegenwart! In diesem Jahr steht er unter dem Motto „De-Heimatize!“. Ein Begriff, der den identitätspolitischen Ansatz weiterentwickelt, den Intendantin Shermin Langhoff seit 2013 in ihrem Haus am Festungsgraben etabliert hat. Schon seit den Anfängen ihrer Theaterarbeit am Hebbel am Ufer und am Ballhaus Naunynstraße hat Langhoff sich darauf spezialisiert, die Perspektiven der vermeintlich Anderen ins Licht zu holen. Den Roma, den Geflüchteten, Afrodeutschen und Generationen von Migrantinnen stellt die Erfinderin des postmigrantischen Theaters ihre Strukturen zur Verfügung. Sie sollen ihre Geschichten erzählen. Und zwar möglichst selbst.

Im Herbstsalon vor zwei Jahren forderte das Haus „Desintegriert euch“, denn, so Langhoff: Demokratie bedeutet Herrschaft der Vielen, plurale Gesellschaft – und eben nicht Integration in ein Starres, Bestehendes. Mit „De-Heimatize“ galt es nun, neue Formen von Zusammengehörigkeit zu entwickeln. Jenseits von Nation, Vaterland – und damit eben auch jenseits von Patriarchat.

Humor als kritisches Tool ist gut vertreten

In diesem Jahr haben die Kuratorinnen um Shermin Langhoff deshalb vor allem auf internationale Arbeiten gesetzt. Dass damit weniger bekannte, strukturell unterdrückte Ausschnitte der Realität erzählt werden, ist Sinn der Sache. Die Kunstausstellung war während des Salons im Palais am Festungsgraben zu sehen. Sehr konkret ist der weibliche Blick im Wandteppich Cuma fixiert. Als dekoratives Motiv zeigt er, was Frauen in der Moschee sehen: die Hinterteile betender Männer. Das ist provokant und witzig zugleich. Humor ist als kritisches Tool insgesamt gut vertreten.

Beim Rundgang durch die Ausstellung überzeugt die Auswahl der Arbeiten weiblicher Künstlerinnen durchweg. Nicht das Prinzip „großer Wurf“, sondern viele Videoarbeiten und Fotoserien sind zu sehen, die ländliche Welten und vermeintlich unwichtige, randständige Existenzen reflektieren. Sexarbeiterinnen, alte Frauen, Dorfbewohnerinnen, schwarze Künstlerinnen und ihr Blick auf den klassischen Kanon großer Frauenrollen. Die Ausstellung zeigt Kunst von unten, bietet Einblicke in Winkel, wo der Scheinwerfer sonst nicht hinfällt.

Was die darstellenden Künste angeht, geraten vor allem die leichten, leisen Performances überzeugend. Im Godess-Tempel nehmen PerformerInnen unter der Überschrift Untamed (ungezähmt) das Publikum in kleinen, partizipativen Einheiten an die Hand. Marta Malikowska bringt in Malina, einer Yoga-Performance, interessierten TeilnehmerInnen in selbstironisch grundierten Übungen bei, wie frau das Patriarchat überlebt. Die barbusigen Peformerinnen tragen knallbunte Leggings und angeklebte Oversized-Bärte. Zuversichtlich verlässt man die Jurte, die vorübergehend im Theatergarten steht. Ernst oder Quatsch? Neues kommt nun mal oft schräg rüber. Und da ist er wieder, der Humor mit seinem subversiven Potential.

Insgesamt lassen sich die feministisch inspirierten Premieren des Herbstsalons in zwei Kategorien unterteilen. Jene, die das patriarchale System kritisieren und dabei selbst in die Dominanzfalle tappen. Hierzu gehörte die oben erwähnte Chorproduktion Jedem das Seine aus der Werkstatt der polnischen Theatermacherin Marta Gornicka. Eigentlich ist diese Künstlerin für ihre differenzierten Chorkompositionen bekannt. In diesem Fall jedoch setzte sich der ungute Eindruck fest, dass das Prinzip Gewalt auf die Produktion abgefärbt hat. Das politisch korrekt gesampelte Ensemble brüllt martialisch gegen die Verdinglichung des weiblichen Körpers an, indem es von nichts andrem redet als genau davon. So wird reproduziert was doch eigentlich kritisiert werden soll. Zwischentöne oder gar Ausblicke fehlen.

Ähnliches war während einer Uraufführung während des Herbstsalons zu erleben. Die israelisch-stämmige Dramatikerin Sivan Ben Yishai, bekannt für ihre wuchtigen Texte, stellt in Oder: Du verdienst deinen Krieg die Intimität einer Gruppe von Soldatinnen der kriegerischen Dominanz des Militärs gegenüber. Die jungen Frauen, liegen in ihren XXL-T-Shirts nachts im Zelt, von kollektiven Alpträumen heimgesucht. Mögliche Todesarten geistern durch ihre Träume – Vergewaltigung durch Mitsoldaten, Todesstrafe wegen Regelverstoß, Unfall auf dem Schießplatz. Die Regisseurin Sasha Marianna Salzmann erliegt der Versuchung, das Drastische, Gewaltvolle im Text zu betonen. Die hyperreale Sinnlichkeit des Textes geht dabei fast vollständig unter. So wird eine Opfer-Täter-Dialektik zwischen den Geschlechtern festgeschrieben, nicht mehr weit von Ideologie. Aber sind Frauen wirklich die besseren Menschen? Muss es nicht darum gehen, das Prinzip Unterdrückung zu überwinden?

Utopien entwickeln anstatt Gewaltverhältnisse reproduzieren. Die erwähnte Produktion Malina, leider nicht weiter im Spielplan, verfolgt diesen Ansatz. Dafür wird die Kunst als Schwester der Phantasie nämlich gebraucht.

Die israelisch-stämmige Regisseurin Yael Ronen, sie inszeniert seit Jahren erfolgreich am Gorki, ist bekannt für die Leichtigkeit, mit der sie sich fast allen Themen nähert. Ihre Stücke erarbeitet sie mit ihrem Ensemble während der Probe zusammen. Die kapitalismuskritischen Essays der marxistisch geprägten Wissenschaftlerin Silvia Federici, die unter dem Titel Hexenjagd. Die Angst vor der Macht der Frauen in diesem Jahr In Künstlerinnenkreisen herumgereicht wurden, sind vermutlich Ronens Ausgangspunkt gewesen, die Hexe wieder in Europa wieder ansiedeln zu wollen. Rewichting Europe heißt die neue Inszenierung. Sie beginnt als kraftvolles Ritual, zittert aber bald vor der eigenen Courage. Im Versuch, die Hexenidee im Realen zu verankern, wird das visionäre Potential dieser mythischen Figur von Albernheiten zugedeckt. In Sachen Ästhetik (Bühne Heike Schuppelius, Kostüme: Delaine Le Bas, Video: Hanna Slak) überzeugt das Konzept. Leider führt der Abend nicht viel weiter als bis zur nächsten Pointe.

Trotzdem: Der Spirit am Maxim Gorki Theater stimmt in diesen Tagen. Nur besteht die Gefahr, sich auf Kosten der Kunst und ihres Eigensinns in den Fallstricken von "politischer Korrektheit" und "Gutmenschentums" zu verheddern. Wir brauchen Phantasie, wir brauchen die Vielstimmigkeit, wir brauchen das Kollektiv als Produktionsmaschine. Alles ist schon da. Es muss nur noch abheben. Aber Achtung: zu viel Konsens schadet der Kunst.

4. Herbstsalon De-Heimatize!, Maxim Gorki Theater Berlin, bis 17.11.

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