Lasst uns reden

Bühne Vor 25 Jahren startete She She Pop als Chaostruppe an der Gießener Kaderschmiede für postdramatisches Theater. Heute ist ihre Arbeitsweise auf der Höhe der Zeit
Ausgabe 41/2018

Nichts richtig können, das gut verkaufen. Mit dieser Disziplin ist das feministische Performancekollektiv She She Pop gerade 25 Jahre alt geworden. Es ist schon erstaunlich, dass She She Pop es mit der spezifischen Lässigkeit des Einfach-mal-Loslegens ziemlich weit in den Theaterolymp geschafft haben. Und dass ihre auf Konsens gebürstete Arbeitsweise heute als adäquate Antwort auf die Debatten nach MeToo rüberkommt. All das gibt den Künstlerinnen und ihrem langen Weg recht. Vor 25 Jahren als Chaostruppe gestartet, lange durchgehalten, um heute, im Jahr 2018, auf der Höhe der Zeit zu sein.

Das vollendete Vierteljahrhundert wurde am Hebbel am Ufer, der Berliner Produktionsstätte von She She Pop, mit dem Festival Shame, shame, shame! gefeiert. Eine Mini-Retrospektive unter dem Motto Peinlichkeit. Schließlich gehört dieses Gefühl dazu, wenn man sich überwindet, sorgsam gehütete Wahrheiten zu veröffentlichen. Und darin sind She She Pop ganz groß. In der jüngsten Arbeit Oratorium werden die Zuschauerinnen in Wohlstandskategorien eingeteilt: die Selbstständigen, die Mütter mit prekärer Altersvorsorge etc. Die aus der Kategorie Erbinnen werden auf die Bühne gebeten und aufgefordert, ihr Erbe zu beziffern. Und die Welt scheint geteilt in solche, die Immobilien besitzen, und den Rest. Während des Festivals wurde auch die Produktion Testament zum allerletzten Mal gezeigt, jene Arbeit aus dem Jahr 2010, die sich vage auf den Lear bezieht und das ökonomische Verhältnis zwischen den Generationen sehr konkret zum Thema machte.

Das Prinzip Kollektiv

Am Ende des Festivals stand die selbstironische Jubiläumsparty, mit allem, was dazugehört: Torte, Reden, Rückblicke, Offenbarungen, Gesangseinlagen und von den Gästen vorbereiteten Überraschungs-Acts. Sie gab den Blick frei auf einen künstlerischen Weg, auf dem es den Performerinnen gelungen ist, Kunst und Leben selbstbestimmt und stabil zu verbinden:historische Videos mit schwangeren Performerinnen, Kinder und Partner auf der Tanzfläche am Galaabend – und das alles begonnen zu einer Zeit, in der es kaum weibliche Vorbilder gab.

Wie sie das geschafft haben? Im Jahr 1993 persiflierte eine Horde Theaterstudentinnen mit künstlichen Bärten die Rocker von ZZ Top auf einer Probebühne des Gießener Instituts für Angewandte Theaterwissenschaft. She She Pop war geboren als Künstlerinnengruppe, die entschieden ihr eigenes Ding machte. Sie entschieden sich für das Prinzip Kollektiv. Und meinten damit mehr als eine Organisationsform. Das Kollektiv, die Auseinandersetzung mit Unterschieden, die nicht in den Sieg einer Position mündet, war und ist die Basis einer gleichberechtigten Arbeitsweise: Charisma, Genie oder das individuelle Ego zählen nicht.

Mit freundlich-ironischem Gestus produzierten She She Pop eine Aufführung nach der anderen, residierten ab 1998 in der freien Theaterszene Berlins. Als Anträge nicht durchgingen, thematisierten She She Pop in Trust. Schließlich ist es ihr Geld, genau das. Was ist Kunst eigentlich wert? Und so ging es weiter. Immer über das nachdenken, was gerade ansteht.

She She Pop entwickelten die aufwendige, weil langwierige Methode des Ausdiskutierens. Bei der Gala zitierte eine ehemalige Assistentin den Mitschnitt einer Diskussion. Das Kollektiv nimmt sich selbst und die eigene Geschichte als Material in die Hand, schreibt sich mit Arbeiten wie Testament und Frühlingsopfer in den Kanon ein. Ausgangspunkt ist immer die Annahme, dass wir alle gleich sind. Dass jede sich eignet als aussagekräftiges Beispiel für die interessanten Fragen der Zeit.

Auch andere bastelten damals an neuen Konzepten theatralischer Repräsentation. Die Kollektive Show Case Beat le Mot und Gob Squad, ebenfalls Absolventen der Gießener Kaderschmiede des postdramatischen Theaters, arbeiteten zwischen Performance und Theater. Erfanden ein Theater, das den Dialog mit dem Publikum sucht. Literatur, Schauspielkunst, Fiktion – die klassischen Zutaten rückten in den Hintergrund zugunsten der Gegenwärtigkeit des Akteurs und seiner Fragen.

Im Jahr 2011 durchbrachen She She Pop mit Testament. Verspätete Vorbereitungen zum Generationenwechsel nach Lear, einem originellen Dialog mit ihren Vätern, die gläserne Theaterdecke: Das Kollektiv wurde zum Berliner Theatertreffen eingeladen! Als eine der zehn „bemerkenswertesten“ Inszenierungen der Saison.

She She Pop haben gezeigt, dass künstlerische Arbeit anders funktionieren kann. Antipatriarchal und freundlich. Mit Aenne Quinones, Kathrin Tiedemann und Carena Schlewitt hatten sie von Beginn an im Podewil, auf Kampnagel, am FFT Düsseldorf und am HAU wichtige Komplizinnen an ihrer Seite.

Pünktlich zum Jubiläum ist im Alexander-Verlag die Publikation Sich fremd werden erschienen, im Untertitel Beiträge zu einer Poetik der Performance. Versammelt sind programmatische Vorträge der „She She Pop“-PerformerInnen Lisa Lucassen, Ilia Papatheodorou und Sebastian Bark und Bildmaterial sowie eine Würdigung der Kuratorin Aenne Quinones.

Nicht alles, was She She Pop produzieren, ist große Kunst. Es gibt und hier und da die Tendenz zum Banalen. Aber das Projekt ist beispielhaft, wenn es um eine egalitäre Arbeitsweise geht. Unverkrampfte, freundliche Haltung, Mangel an Aggression, Überschuss an Kommunikation. Und die Gewähr, dass nicht hinter den Kulissen das Patriarchat tobt, während auf der Bühne Befreiung gepredigt wird.

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