Malchow ist nicht untergegangen. Weil es mitten im Wasser und in wunderbarer Landschaft liegt, wird es in Reiseführern liebevoll "Perle der Mecklenburgischen Seenplatte" genannt. Seit dem Mauerfall ist der gesamtdeutsche Tourismus hier vergleichsweise gut angelaufen. Im restaurierten Dorf-Idyll konnten sich sogar ein "Diesel"- und ein "Mexx"-Shop etablieren, zwei nobel-teure Klamotten-Läden, aber die Malchower kaufen hier kaum, dazu reicht das Geld nicht. Und wirklich angekommen in der westlichen Welt, der Überflussgesellschaft, wie eine Anwohnerin sagt, sind die wenigsten.
Stattdessen archiviert man die Details der eigenen Geschichte bis zur Wende. Im einstigen "Film-Palast" neben der Kirche wurde von der Stadt ein DDR-Museum eingerichtet, das 2004 fünfjähriges Jub
hriges Jubiläum feiert. Eigentlich sollte das Kino abgerissen werden, doch dagegen protestierten die Anwohner, und so wächst seit 1999 eine Ausstellung, die Alltägliches der Vergangenheit zum Eintrittspreis von zwei Euro erinnern lässt und große Resonanz erfährt. Alles was von "damals" ist, wird wertvoll und bekommt hier seinen Platz. Die Spenden reißen nicht ab, sogar Lebensmittel, Eingemachtes und Gurken finden den Weg hierhin. "Einkaufen kann man in unserem Konsum nicht mehr, aber doch schmunzelnd vieles wieder entdecken", steht im Flyer Museen der Stadt Malchow.Ein unglaublicher Wust hat sich schon angesammelt, der die räumlichen Kapazitäten der ehemaligen Veranstaltungsstätte überfordert.Allein das Foyer präsentiert fünf Themenbereiche, die - optisch kaum gegliedert - nebeneinander aufgestapelt sind: Die Hochzeit in der DDR, das Baby in der DDR, Schulanfang, Jugendweihe und Foto-, Fernseh- und Rundfunktechnik in der DDR. Weil der Fundus sich kontinuierlich erweitert, ist die Ausstellung in ständigem Wandel begriffen, einiges liegt noch unorganisiert in Haufen, anderes scheint in der Probephase und zwischen den Themen zu schweben, wie ein ausgehöhlter Fernseher, der ein Rotkäppchen-Szenario aus Puppen beherbergt.Ausführlich ist die Darstellung des Babys in der DDR mit einem Potpourri aus Babypuppen, Pflegeutensilien, Söckchen, Schnullern, Windeln und Ratgebern ausgefallen, der sich zur Rechten die weniger umfassenden Fundstücke zu Schulanfang und Jugendweihe anschließen.Ebenso bunt bestückt zeigen sich die Zimmerentwürfe, da ist komplettes Wohnraum-Mobiliar plus Inhalt aufgebaut und frei zu begehen. Zum Beispiel das Badezimmer. Etwa fünf Quadratmeter misst der vollgestopfte Raum, der unter vielem anderen eine Rotlichtlampe, Handtücher, Föne und Kosmetika en masse ausstellt. Direkt gegenüber im Treppenhaus ist eine Freizeit-Ecke eingerichtet. Um den zentralen Strandkorb verteilen sich ungezwungen und auf engstem Terrain, nämlich unter der Treppe zur ersten Etage, Angeln, Bademode und Zubehör, Postkarten, ein Fahrrad, sowie Campingaccessoires. Auch das biedermeierliche Schlafzimmer ist komplett, in dem eine zombiehafte Figur - wohl eine Frau darstellend - in flauschiger Bettwäsche bei Schlummerlicht, beide Augen weit aufgerissen, vor sich hin starrt. Der Treppe folgend passieren Besucher einen Flur mit Uniformen und ein Arbeitszimmer mit Honecker-Porträt, bevor sich das Kinderzimmer in der DDR als Schwerpunkt des oberen Ausstellungsteils eröffnet. Prall gefüllte Regale mit Puppen, Büchern und Nippes wölben sich der Besucherin entgegen, das meiste davon kann angefasst und herausgenommen werden. Kinder spielen mit Mecki, ein älterer Herr untersucht im Flur die schmucken Uniformen und eine Dame schmökert versunken in den Kinderbüchern. Die DDR als Erlebnispark. Ununterbrochen läuft dazu ein Kassettenrekorder im Hintergrund, es erklingen DDR-Kinderlieder abwechselnd mit kämpferischen Brechtvertonungen von Hanns Eisler.Inmitten der überquellenden Spielsachen liegt auf einem Tisch ein Gästebuch aus. "Beim Anblick der blauen Strumpfhose werden Erinnerungen wach ...", steht da geschrieben, und "damals wurde die Würde des Menschen noch geehrt. Alles war billig, praktisch und gut. Ach, wie schön war es doch damals!" Das Politische hätten sie absichtlich außen vor gelassen, bekräftigt die Dame am Eingang. Hier sei der Alltag Thema. "Was bringt schon eine Playstation?", fragt einer im Gästebuch, geantwortet hat ihm niemand.Im Foyer unterhalten sich Mitarbeiterinnen des Museums lautstark mit zwei männlichen "Wessis" um die 30. "Wir hatten früher zwar weniger Geld, aber auch weniger Ausgaben. Hätten die uns reisen lassen, wären wir doch gerne geblieben." Und dass der Westen damals besser gewesen sei, reicher und so, das sei die größte Illusion gewesen. "Wenn man die West-Verwandten nach der Wende mal besucht hat, dann stand da auch nur ein Auto, und die Wohnung bloß im dritten Stock." Ob es denn wirklich keine Apfelsinen gegeben habe, will der eine Wessi daraufhin wissen. Es gab nicht nur Apfelsinen, sondern eigentlich alles, nur von allem eben nicht zuviel, "und wenn wir uns für Winterjacken angestellt haben und die waren aus, dann hat man eben Unterhemden genommen, war ja nicht teuer". Die zweite fasst zusammen: "Wir konnten uns wenigstens noch freuen."In Malchow eröffnet sich im alten Kino ausschließlich das Bild einer heilen Welt. Das Private, so wollen es die Gestalter darstellen, war intakt und ein Hort der Geborgenheit. Die Erinnerung daran bleibt heute, so legt es dieses gut besuchte Museum nahe, das Lebenselixier in einer haltlosen Welt, das hier verklärt ausgestellt wird. Dabei sollen die massenhaften Ausstellungsstücke wohl auch eine oft bezweifelte materielle Fülle beschreiben, wie auch an bescheidenere, aber dennoch glücklichere Zeiten denken lassen.Ob das in Magdeburg anders werden wird? Hier bastelt man daran, das "ultimative Museum rund um das Leben in der Deutschen Demokratischen Republik" auf die Beine zu stellen. 2005 soll es fertig sein. Auf samtig rotem Untergrund flackert im World Wide Web unter www.nostalgiemuseum-ddr.de schon die gute alte Hammer-und-Zirkel-Fahne, auch der "Ostalgie-Shop" ist bald online und - das mal vorweg - "im Vordergrund steht nicht die politische Geschichte", sondern der Alltag, eine sandmännchenweiche Wirklichkeit.Im Gästebuch des DDR-Museums Malchow ist schließlich der folgende Diskurs zu verfolgen, süffisant angeführt von Herrn Schmitz, dem Wessi: "So war offensichtlich die DDR immer bemüht, aber immer nur drittklassig. Man sollte froh sein, dass dieser Staat untergegangen ist." Darauf ein Ossi: "Alter Wessi!! Sack!" Und schließlich die Schlichtung: "Schmitz hat Recht, alle haben etwas recht." Und wenige Seiten weiter: "Baut ´ne neue Mauer!" - "Arschloch". Nichts wie weg hier!Beim nachmittäglichen Tee außerhalb des Malchower Zentrums bleiben die übrigen Tische leer. Hier sitzt niemand sonst, am vorherigen Tag sei kein einziger Gast erschienen, sagt die Kellnerin, die hier als ABM-Kraft arbeitet schulterzuckend. Kaffee brüht sie gar nicht erst auf, der würde nur verkommen.
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