Luxussiedlungen stellt man sich im Allgemeinen anders vor. Würde sich tatsächlich einmal ein Vertreter des Großkapitals auf der Suche nach einer neuen Bleibe in seinen Wagen schwingen und dem kleinen Sträßchen folgen, das zum Gipfel des Teufelsberges im Berliner Bezirk Grunewald führt, dann würde er vermutlich denken, das sei doch alles nur Müll. Und Recht hätte er, denn unter seinen Füßen befänden sich, vom Gras nur oberflächlich verdeckt, 26 Millionen Kubikmeter gestapelten Trümmerschutts aus Kriegszeiten, der hier bis 1951 entsorgt und anschließend mit einer grünen Hülle versehen worden ist. Vor seiner Nase aber hätte er auch nur Müll: ein grünes, rostiges Tor, das ein verlassenes Gelände abschottet, das längst zum Randalierspielplatz geworden ist. Da nützte es dann auch nicht mehr viel, dass ihm der Ausblick von hier oben aus 115 Metern Höhe eine Augenweide sondergleichen wäre. Er würde die Nase rümpfen und diesen ungastlichen Ort stante pede und auf Nimmerwiedersehen verlassen.
Es ist also ganz und gar nichts zu sehen von den luxuriösen Hotels samt glamourösen Wohneinheiten, die die "Investorengemeinschaft Teufelsberg" hier ankündigt. 1996 hatte die Gruppe um den Kölner Architekten Hartmut Gruhl das 48.000 Quadratmeter große Gelände zum Schnäppchenpreis von etwa 5,2 Millionen D-Mark vom Land Berlin erworben und luxuriöses Bauen versprochen. Doch Interessenten, die Geld für ein so aufwändiges Projekt springen lassen würden, bleiben bislang fern oder kommen nicht wieder, und so liegen die Arbeiten für das geplante First-Class-Ambiente, das der spitznamenfreudige Berliner vorab kurzerhand "Millionärs-Ghetto" getauft hat, weiterhin auf Eis.
Durch die Gitterstäbe am Ende der Straße schaut man auf das Werbeplakat der Investorengemeinschaft für die "Teufelsberg-Wohnungen", das sich einzig tapfer dem fortschreitenden Verfall des Areals entgegen zu stellen scheint. Es könnte falscher nicht platziert sein, als in diesem Szenario eines herrenlosen Ortes. Im Kalten Krieg war hier Sperrgebiet und Ho(r)chbetrieb. Briten und Amerikaner arbeiteten im Schichtdienst, um eine der wichtigsten westlichen Abhörstationen zu betreiben. Vom Teufelsberg aus konnte der Funkverkehr im Osten belauscht und gestört werden. Seit 1992 kümmert sich nun niemand mehr um die Anlage, die auch der Bundesrepublik ehemals Investitionen um die 300 Millionen Mark wert gewesen war.
Zwar ist das Betreten immer noch offiziell untersagt, aber die verwaiste Lauschbastion ist längst nicht mehr gesichert. Das schwere Eingangstor ist zur Seite geschoben und nur notdürftig mit einem Provisorium verstellt. Das Gelände zu besichtigen ist so ein illegales Kinderspiel. Während der beauftragte Immobilienmakler Thomas du Chesne im Internet noch optimistisch für Luftschlösser auf dem Luxus-Berg wirbt, haben die Zuständigen längst die Kontrolle über ihr Grundstück verloren und vielleicht auch die Zuversicht. Telefonisch kann jedenfalls keinerlei Auskunft zu den weiteren Plänen gegeben werden.
Das Wachhäuschen am Eingang ist aufgebrochen, und die Auffahrtstraße liegt voller Scherben. "If you don´t work here - don´t park here", steht da auf einem Schild geschrieben. Geparkt wird hier nicht mehr, aber gearbeitet: am Zerfall. Alle erreichbaren Fenster wurden systematisch zerdonnert, jeder Schritt knirscht unangenehm auf Glas. Zur Linken liegen Schnapsflaschengruppen und zur Rechten ein Porno-Heftchen - vermutlich Feierrelikte von gutsituierten Grunewald-Jugendlichen. Die Auffahrt mündet schließlich in einen Platz, der von mehreren Gebäuden umgeben ist. Die charakteristischen Kuppeln der Alliierten-Radarstation sind nun zu sehen und an diesem Nachmittag deutlich belebt. Es donnert und kracht hallend aus den riesigen weißen Bällen; die Destruktion, die insbesondere nachts von Jugendlichen seit geraumer Zeit betrieben wird, geht offenbar auch tagsüber weiter. Tatsächlich lädt alles auf dem Areal dazu ein. Keiner passt auf, und das ehemals militärische Gelände ist als riesiger Abenteuerspielplatz ein Angebot zum Austoben.
Unheimlich bleibt die Kulisse allemal. Kein Mensch ist zu sehen, das Dröhnen kommt aus unbestimmter Richtung. Aus der lautstarken Innenstadt angereist, eröffnet sich in dieser Ruinenlandschaft so eine ungewohnte Geräuschkulisse: der Wind fegt um die Ohren, plötzlich mutet das Vogelgeschrei exotisch an, in den unbewohnten Gebäuden hallt jeder Schritt, Türen fallen im Rücken quietschend zu und die Flure führen von Zimmer zu Zimmer in undefinierbares Dunkel.
In der Kinderbuchserie Die Drei Fragezeichen mit den Helden Peter, Justus und Bob gibt es eine Geschichte gleichen Namens - Der Teufelsberg... Akustisch sind die hügeligen Namensvetter durchaus vergleichbar mulmig, auch wenn im Innern des stöhnenden und heulenden Berges im "Tal der Wehklagen" kein Müll, sondern ein beträchtliches Rohdiamantendepot lagerte - vielleicht sollte die Investorengemeinschaft Teufelsberg besser umplanen und ihr High-Society-Viertel in die Vereinigten Staaten oder in die Literatur verlegen. Die kalifornischen Geister um den Betrüger "El Diabolo" sind schließlich schon in die Flucht geschlagen.
Die Berliner Geister haben auf der ehemaligen Abhörstation mittlerweile alles zugänglich gemacht, jede Tür, jedes Fenster, jeder Raum steht offen. Vereinzelt finden sich zurückgelassene Möbel, aber auch Gasflaschen und alte Schilder. Ein kleiner, recht unversehrter Radarturm ist an diesem Nachmittag noch "frei". Die Holztür ist nur angelehnt und öffnet sich in einen kreisrunden Raum, von dem aus eine Leiter in den zweiten Stock führt. Von dort aus kann man den stählernen Balkon betreten und erlebt ein grandioses Panorama. Der Blick schweift in alle Himmelsrichtungen über ganz Berlin, das sich hinter dem grünen Gürtel in weiter, dunstiger Ferne befindet. Jeder Jugendliche, der hier nicht hinkommt, muss verrückt sein. Dieser Ort ist ein Geschenk mit Nervenkitzelgarantie. Und da es auch in Berlin nicht mehr viele dieser Freiräume gibt, kann man nur hoffen, dass dieser hier weiterhin luxuslos bleibt.
Die Chancen stehen derweil gut, denn für die Investoren wird die Zeit knapp. Wenn bis zum September diesen Jahres auf dem Teufelsberg nichts steht, läuft ihre Baugenehmigungsfrist ab - und alles ist wieder offen.
Plötzlich erscheint an der gegenüberliegenden Radarkugel jemand am Fensterloch, und mein journalistischer Auftrag scheint mir augenblicklich erfüllt - ich will weg hier, bin ja nicht Justus.
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