Vom Adel verpflichtet

Konflikt Er will Reisende für Ghanas Traditionen begeistern. Nun könnten gerade die den Reiseführer und Prinzen Abdallah Kwadanaab daran hindern

Irgendwann wird die Nachricht kommen. Er wartet nicht darauf, aber er rechnet damit, jeden Tag. Sein Handy wird klingeln, wie so oft, aber dieses Mal wird der Palast dran sein. Er wird in den Norden fahren, in seine Heimat Tongo, und er wird sich dort mit drei Männern aus den anderen Stammesclans um den Thron bewerben müssen. Es sei sehr wahrscheinlich, sagt er, dass er gewählt werde. Und dann wird Prinz Abdallah Balomani Kwadanaab mit dem Leben beginnen, das seit seiner Geburt für ihn vorgesehen war: Er ist der Auserwählte, der zukünftige Häuptling von Tongo und dem Stamm der Talensi.

Eigentlich hätte er schon vor vier Jahren Stammesoberhaupt werden sollen. Damals war sein Vater gestorben, im Alter von mehr als hundert Jahren. Sein Sohn Abdallah bat um Aufschub. Der Ältestenrat beriet sich lange, und schließlich sprang sein Onkel für ihn ein. Doch auch der sei jetzt in einem Alter, sagt Abdallah Kwadanaab, in dem man damit rechnen müsse, dass sich die Erde den Menschen wieder zurückholt.

Macht der Prophezeiung

Kwadanaab hofft, dass das noch lange dauern wird. Denn er ist einer der wenigen Reiseführer in Ghana – und er hat eine Mission: Er möchte Menschen ins Land holen, Touristen, und ja, auch ihr Geld. Mehr Touristen würden mehr Arbeitsplätze schaffen, eine stärkere Wirtschaft, und wenn man es richtig macht, könnte das Land einen Schritt nach vorne tun, ohne seine Traditionen zu Folklore verkommen zu lassen. Viele seiner Landsleute, sagt Kwadanaab, glaubten, so werden zu müssen wie Europäer oder Amerikaner. Er jedoch kämpft dafür, dass Ghana mit dem wirbt, was es ausmacht: mit seiner Natur, seiner Tierwelt, seinen Mythen und den Jahrhunderte alten Traditionen.

Und nun ist es die Tradition, die er doch bewahren möchte, die sich ihm in den Weg stellt. Er hat keine Erklärung dafür, warum sein Vater unter allen seinen Geschwistern ausgerechnet ihn zum „Balomani“, zum Auserwählten erklärte, oder warum die Wahrsager prophezeiten, dass er eines Tages den Thron von Tongo besteigen wird, der Hauptstadt des Landkreises Talensi-Nabdam an der Grenze zu Burkina Faso.

Wer Abdallah Kwadanaab das erste Mal begegnet, trifft einen schlanken 31-Jährigen, der oft auf seinem Handy herumtippt. Neuen Reisegruppen bringt er zuallererst bei, wie man sich begrüßt: Man gibt sich nicht einfach nur die Hand, sondern schlingt die Finger umeinander und löst sie wieder mit einem lauten Schnipsen. Jeder aus der Reisegruppe muss diesen Handschlag lernen, und Kwadanaab wird nie müde, ihn mit seinen Gästen zu üben.

Ghana erklärte sich als erster westafrikanischer Staat 1957 unabhängig, im Vergleich zu den Nachbarländern sind Korruption und Armut geringer, ethnische Unruhen gibt es kaum. Dennoch kommen jährlich nur etwa 400.000 Gäste, das sind so viele wie auf Mallorca in einer Woche. Einige mögen die vorgeschriebenen Impfungen und die Malaria-Prophylaxe abschrecken. Ein weiterer Grund für den Besuchermangel ist jedoch wohl, dass es bisher nur wenige Leute gibt, die Pionierarbeit leisten.

Sollte Abdallah Kwadanaab wirklich gewählt werden, wird er kaum mehr mit Reisenden arbeiten dürfen. Denn als Häuptling wird er zu einer lokalen Autorität, ausgestattet mit gewissen Veto-Rechten gegenüber Vorhaben der Zentralregierung – aber eingezwängt in einem Korsett von Pflichten. So muss ein Häuptling vorsichtig mit seinen Energien umgehen, darf keinesfalls auf den Boden spucken oder außerhalb des Palastes essen und trinken, er trägt breite Ringe und Sandalen mit dicken Sohlen, um den Boden nicht zu berühren, in dem die Vorväter ruhen. Und er trifft sich mit den Ältesten, um zu beratschlagen, über den Bau neuer Häuser oder Brunnen, über Ackerflächen oder Geschäftslizenzen. So will es die Tradition.

Es war in den 90er Jahren, als die ersten Touristen bei seinem Vater anfragten, ob sie durch Tongo reisen dürften. Während viele sich von den Weißen lieber fernhielten, zeigte Abdallah Kwadanaab ihnen seine Heimat: das Palastmuseum mit den Talismännern; den Tengzug-Schrein der Gottheit Ba’ar Tonna’ab Jaa-re und die singenden Felsen in den Talensi-Bergen, die in der Zeit der trockenen Harmattan-Winde melodisch pfeifen. Nach einer Weile schrieb er die erste Broschüre über die Region, und das Fremdenverkehrsamt fragte, ob er offizieller Reiseführer für die Nordostregion werden wolle.

Nur nicht nerven

Im einzigen deutschsprachigen Reiseführer über Ghana heißt es: „In Bolga wird Prinz Abdallah als Fremdenführer heiß empfohlen. Mit ihm vermeidet man Diskussionen über Preise.“ Kwadanaab ist stolz auf diesen Eintrag. Er ärgert sich, wenn Händler höhere Preise verlangen als angekündigt. „Man darf Touristen nicht nerven“, sagt er. Im Dorf Bonwire, bekannt für die kunstvollen Kente-Webarbeiten, hat er einmal um ein Gespräch beim dortigen Häuptling gebeten, weil die Verkäufer den Touristen nicht von der Seite wichen. Er hatte Erfolg, der Mann machte sich das Anliegen zu eigen: „Die Touristen“, sagte er im Dorf, „wollen lieber alleine laufen.“

Seit 2005 ist Abdallah Kwadanaab fester Mitarbeiter im Kasapa-Zentrum bei Accra, einem Feriendorf für nachhaltigen Tourismus. Kasapa heißt „die gute Rede“, und genau das ist es, was er tun möchte: gut über sein Land reden. „Selbst wenn ich Häuptling bin“, schrieb er vor kurzem in einer E-Mail, „will ich mich für den Tourismus einsetzen.“ Inzwischen hat er einige Gästehäuser in Tongo aufgebaut und eine Agentur gegründet. Und er hat begonnen, andere zu Reiseführern auszubilden. Bis die Tradition ihn ruft, und sein Platz frei wird, so hofft er, wird es jemanden geben, der sich Kwadanaabs Mission zu seiner eigenen gemacht hat.

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