Twitter nervt ...

Literatur ... aber Twitterature bringt's. 60 Werke der Weltliteratur wurden auf 140 Zeichen gestutzt, in einen Umschlag gepresst und von einem Traditionsverlag gedruckt

Wem das T-Wort schon sauer aufstößt: Endlich kann man die Twitterei als Kunst schätzen lernen. Hier etwa: „@TheTemptations: Hübscher Song, Mädels, aber wir können nicht anhalten! @MyMen: Bindet mich fester, schnell!“. Das ist Homer, die Odyssee, der Kampf gegen die Sirenen. So liest sich der Klassiker, wenn er durch die T-Maschine geschleust wurde.
Das Ganze nennt sich Twitterature, jüngst ausgerechnet vom Traditionsverlag „Penguin“ publiziert. Darin: über 60 Werke der Weltliteratur, von John Miltons Paradise Lost über Nicolai Gogols Mantel bis hin zu Thomas Manns Tod in Venedig, alles in einzelne Tweets zerlegt. Kein Stück länger als zwei, drei Seiten, selbst Moby Dick ist derart zum Kondensat geronnen.

Nur: Braucht man so was? Die Kulturredaktionen rümpfen beim Wort „Twitter“ längst die Nase, die Medienressorts sowieso, überbewertet, heißt es, der Hype ist durch. Erst recht, die Verlautbarungsmaschine mit ihren Kurznachrichten für fiktionale Zwecke einzusetzen. Aus einzelnen Tweets zusammengesetzte Romane auf twitter.com braucht niemand. Ebensowenig wie die SMS-Romane, die vor ein paar Jahren vor allem in Japan populär wurden, SMS-Gedichte in 160 Zeichen, Blogromane, Email-Novellen - all das ist nur eines: bemüht. Oder wie Rainald Goetz es einst im eigenen Fall nannte: Abfall für alle.

Doch Müll in eine andere Form zu bringen und ihn so gleichsam aufzuwerten, ist ein Wesensmerkmal unserer postmodernen Recyclingkultur. Es ist ein Akt, der eine selbstreferentielle Ebene einzieht und so einen doppelten Boden schafft, den ein Werk so dringend benötigt, um Kunstwerk zu sein. Und eben dies macht Twitterature nun vor: Es übersetzt die medienspezifischen Elemente des Onlinedienstes in Buchform. Dass das charmant funktionieren kann, hat Daniel Glattauer mit seinem zweibändigen Email-Dialog ja unlängst bewiesen. Und nun eben Twitter, gedruckt.

Postpupertärer Schalk

Die beiden Transformatoren Alexander Aciman und Emmett Rensin konzentrierten sich dabei aufs Wesentliche der 140-Zeichen-Form. Die verkürzten Sätze, die Neigung zu Versalien und Banalitäten, die zum Selbstdarstellertum der Ich-Erzähler gehören. Diese Stilelemente setzten Aciman und Rensin wie Werkzeuge ein, um die bekannten Plots auf die Spitze zu treiben. So kündigen allein die ersten vier Tweets von Nutzer „@ACockAndBallsStory“, dem Usernamen Tristram Shandys, das Schreiben der eigenen Geschichte an. Bei Sherlock Holmes rückten sie seinen Alltag, nicht die Fälle, in den Fokus - die Charakterstudie eines Lebemanns. Und selten sah man den Narzissmus eines Protagonisten so deutlich wie in ihrer Interpretation von Goethes Werther: „Have I noted how upset I am? I am very upset. #pain #angst #suffering #sexdep.“

Die beiden Autoren sind Erstsemester aus Chicago, der postpubertäre Schalk ist den Texten anzusehen. Nur zwei Jungs wie diese konnten das Projekt zu stemmen: Ihre Sprache ist authentisch. Indem sie den akronymgeladenen Stakkato-Sprech für Sophokles oder Shakespeare einsetzen, entblößen sie am Ende Twitter selbst. Das Ganze gerät zur pointierten Karikatur.

Aber Achtung, als Abkürzung für Lesemuffel taugt es nicht. Der Witz offenbart sich nur denen, die die Originale kennen. Und die Twitter-Version des Beat-Romans Unterwegs sucht man sowieso vergeblich. Dafür, heißt es auf Seite 51, möge man doch bitte On the Road von Jack Kerouac lesen.

Alexander Aciman, Emmett Rensin, Twitterature. The Worlds Greatest Books Retold Through Twitter, Penguin, London 2009. 160 Seiten. 8,10 Euro.
www.twitterature.us

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