Bildet Banden!

Schauspiel Die strukturelle Benachteiligung von Frauen in der Branche ist bekannt. Helfen könnte, wenn sie sich besser vernetzen
Wenn der Vorhang fällt, lohnt ein Blick hinter die Kulissen
Wenn der Vorhang fällt, lohnt ein Blick hinter die Kulissen

Foto: imago/Felix Abraham

Am 20. Januar dieses Jahres fand das Symposium “Performances von [weiblichkeit] in den darstellenden Künsten” an der Universität der Künste Berlin statt. Am Ende des sechsstündigen Programms steht fest: Das Bewusstsein für strukturelle Diskriminierung von Frauen in der Branche "Darstellende Kunst" wächst und der Wunsch nach Veränderung ist groß. Helfen könnte vor allem eines: Zusammenschließen!

Diskriminierung schwarz auf weiß

Samstagmorgen, zehn Uhr. Zu Beginn des Symposiums füllen sich die Stuhlreihen im Vortragsraum der Berliner Universität der Künste nur schleppend. Bloß ein Dutzend Frauen ist anwesend. Nach kurzer Verzögerung macht Dr. Cornelie Kunkat, Referentin für „Frauen in Kultur und Medien“ beim Deutschen Kulturrat, den Auftakt. Kunkats Job wird es bis 2020 sein, den Diskurs zur Geschlechtergerechtigkeit zu unterstützen und konkrete Maßnahmen zur Verbesserung zu entwerfen. Ihre Stelle wurde aufgrund der Ergebnisse der 2016 durchgeführten Studie „Frauen in Kultur und Medien“ geschaffen. In Auftrag gegeben hat das 496 Seiten schlanke Papier Monika Grütters, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien. Die Studie stellt Fragen in den Mittelpunkt, die im Kultur- und Medienbetrieb bisher gerne unbeantwortet blieben: Wie viele Frauen studieren und arbeiten in künstlerischen Fächern und was verdienen sie? Sind sie in führender Position? Wie steht es um die Geschlechtergerechtigkeit im Kultur- und Medienbetrieb?

Wie schlecht es um die Stellung der Frau in der Branche der darstellenden Künste bestellt ist, präsentiert Cornelie Kunkat den Besucherinnen anhand erwähnter Studie schwarz auf weiß. Souverän führt sie in ihrer Präsentation durch die ellenlangen Tabellen, die nahezu alle zu ein und demselben Ergebnis kommen: Wo immer Frauen mit Männern im Bereich darstellende Künste, Film, Fernsehen und Theater konkurrieren, werden sie benachteiligt. Das beginnt schon während der universitären Ausbildung. Knapp zwei Drittel der Studierenden sind weiblich, im Gegensatz dazu nur ein Drittel der Lehrenden. An positiven Vorbildern für junge Frauen in puncto gerechtes Geschlechterverhältnis fehlt es also von Anbeginn des Studiums. Ein noch geringerer Prozentsatz der Absolventinnen arbeitet im Verlauf der Karriere in Führungspositionen. Im Theater beispielsweise sind 43 Prozent des Personals weiblich - aber auf welchem Posten? Gut 20 Prozent der Bühnenleitungen sind in weiblicher Hand, Souffleusen hingegen werden zu 80 Prozent von Frauen besetzt. Frauen sind in nahezu allen Häusern Deutschlands auf den weniger prestigeträchtigen, verantwortungsvollen Posten. Und selbst, wenn sie es bis dorthin geschafft haben sollten, werden sie schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen. Beim Schauspiel ermittelt die Studie die frappierende Zahl von 46 Prozent Gehaltsunterschied im durchschnittlichen Jahreseinkommen. Die 21-prozentige Gender Pay Gap, die das Statistische Bundesamt 2016 berufsübergreifend ermittelt hat, wirkt dagegen fast lächerlich klein. Die Gründe für den Gehaltsunterschied sind vielfältig. Einer davon ist, dass es, gemessen an der Masse gut ausgebildeter Schauspielerinnen, nur wenige weibliche Rollen und noch weniger Hauptrollen gibt. Frauen ab vierzig verschwinden quasi ganz vom Bildschirm oder der Bühne. Wer dort erscheint ist in der Regel jung und schön. Diese Ausschlussmechanismen schaffen wiederum eine Struktur, in denen die Schauspielerinnen hochgradig von den führenden Regisseuren und anderen Entscheidungsträgern abhängig sind. Und das sind meistens Männer. Dass dies wiederum Machtmissbrauch, beispielsweise in Form von sexueller Gewalt, Vorschub leisten kann, beweist der Fall des Regisseurs Dieter Wedel. Wedel wird von mehreren Schauspielerinnen vorgeworfen, er habe sie sexuell belästigt. Die betroffenen Frauen schwiegen oft jahrelang, zu sehr fürchteten sie Macht und Einfluss Dieter Wedels, der ihnen drohte, ihre Karriere zu beenden, sollten sie mit irgendjemandem über das Geschehene sprechen.

Liegt der Fehler bei mir?

Von struktureller Ungleichbehandlung können die Regisseurin France-Elena Damian und Janina Benduski, Produktionsleiterin und Vorsitzende des Bundesverbands Freie Darstellende Künste, ein Lied singen. Als France-Elena Damian sich an der renommierten „Ernst Busch“ Hochschule für Schauspielkunst beworben hat, wurden vier männlichen Bewerber nach den Prüfungen sofort aufgenommen, ihre Mitanwärterin und sie mussten zwei weitere Prüfungen absolvieren, bevor sie angenommen wurden. Also „zwei mal noch beweisen müssen, dass man Talent hat”, wie es Damian formuliert. Erst nach und nach wurde der Regieabsolventin klar, dass es nicht reicht, einfach hart zu arbeiten, sodass sich der Erfolg dann von alleine einstellt. “Das ist ein Märchen. Und wenn man dann nicht auf der Bühne ist, nicht in den Feuilletons vorkommt, dann existiert man quasi nicht. Man ist einfach nicht präsent.” Diese Realität, die France-Elena Damian in persönlichen Anekdoten schildert, greift der Bundesverband freie darstellende Künste in seinem Leitbild auf: Die ungleichen Karrierechancen für Frauen hängen nur teilweise damit zusammen, dass Familienplanung und Karriere bei Frauen parallele laufen. Vielmehr werden Männer von anderen Männern wie Frauen überschätzt, Frauen hingegen von Männern und ihren Geschlechtsgenossinnen unterschätzt. France-Elena Damian hat als eine Konsequenz aus ihren Erlebnissen im Oktober 2017 den Verein Pro QuoteBühne mit gegründet. Die Forderung: 50 Prozent Regisseurinnen auf den großen Bühnen, als Hausregisseurinnen und in der Intendanz. Die Theater reagierten auf diesen Vorschlag verhalten: Gerade einmal ein Prozent, also zwei, drei der angeschriebenen Häuser, reagierten auf den Vorschlag von Pro QuoteBühne über eine gemeinsame Zusammenarbeit. Oft stehe ein unausgesprochenes Argument gegen die Quote im Raum: Frauen sollten sich einfach auf die vakanten Stelle bewerben, wenn sie sie wollten. Kämen sie nur via Quote auf eine Position, hätten sie die Stelle nicht verdient. Das ignoriert die Realität, wie sie die Studie von Grütters zeigt: Frauen und Männer werden bei gleicher Voraussetzung ungleich behandelt.

Es gibt mehr als Jungfrau und Hure

Zur Mittagspause ist das Publikum gut auf das Doppelte angewachsen. Bei Suppe und Eintopf wird rege diskutiert, Erfahrungen und Tipps werden ausgetauscht. Es ist so erstaunlich wie offensichtlich: Frauen vernetzen sich seltener als Männer in der Branche. Oft sehen sie sich dadurch alleine mit ihren Problemen, obwohl sie sie mit unzähligen Kolleginnen teilen.

Nach der Pause kommen mit Nora Abdel Maksoud und Suna Gürler zwei fachliche Hybride auf die Vortragsbühne: Beide sind als Schauspielerinnen und Regisseurinnen am Maxim Gorki Theater Berlin tätig. Mit dem Verve und Humor eines eingespielten Teams präsentieren die beiden ihr “Toolkit für dreidimensionale Frauenfiguren”. Denn charakterliche Mehrdimensionalität bei weiblichen Performances ist selten. Meistens bedienen sich Regisseurinnen aus dem Repertoire Jungfrau, Hure, oder Mutter. Gemeinsam haben alle Figuren, dass sie sich über ihre Sexualität und ihr Verhältnis zum Mann definieren. Als Handlungsoption scheint es für Frauenrollen außerdem genau zwei zu geben: Lieben und Heiraten in der Komödie oder Lieben und Sterben in der Tragödie. Wirklich viel dazwischen gibt es nicht. Und dass Frauen Männerfiguren spielen, die großen, tragenden, wie Hamlet oder Mephisto, kommt quasi nicht vor. Zu unüberwindbar scheint das Geschlecht auf der Bühne. Damit die Frauenfiguren die auftauchen wenigstens mehr als eine Eigenschaft besitzen, empfehlen Nora und Suna beim Schreiben von Stücken ein paar Mechanismen des Hinterfragens: Kann ich die Rolle auch mit einem Mann besetzen, obwohl eine Frau im Skript vorgeschlagen wird und andersherum? Definiert sich die Frauenrolle über mehr, als ihre Sexualität? Hat sie beispielsweise einen Job und redet sie über etwas anderes als Männer?

Und noch ein Tipp: Nur, weil mal eine unsympathische Frau auf der Bühne zu sehen ist, geht es nicht gleich um Hardcore-Feminismus, wie ihn ein Kritiker wohl in ein Stück von Nora Abdel Maksoud hineingelesen hat. Frauen sind nun mal mehr als nur nette, dauerlächelnden Wesen.

Von Nora kommen noch ganz konkrete Ratschläge an die anwesenden Schauspielerinnen: „Wenn ein Regisseur dir bei der Probe sagt, du sollst dich ausziehen – ist das dann wirklich notwendig für die Entwicklung des Stückes oder riecht das ganz streng nach Alt-Herren-Phantasie?“ Viele der Anwesenden sind dankbar für die Ratschläge und das Empowerment der Regisseurinnen. Immer deutlicher wird: Hier geht es nicht nur um Performances auf der Bühne, sondern um konkrete Lebensrealitäten, die weit über das Berufsfeld hinausgehen. Nur, dass sie im Theater, wo traditionell eine krasse Hierarchie herrscht, umso augenscheinlicher werden.

Lasst uns einfach sein – wie wir sind

Eine weitere Facette des Diskurses um Geschlechtergerechtigkeit bringen abschließend die Autorin und Regisseurin Sophia Hembeck und das Kollektiv Frauen&Fiktion, aufs Tapet. Hembeck erzählt außerdem von ihren Erfahrungen im Studiengang Szenischen Schreiben an der UdK und wie sie sich drei mal überlegt, ob sie einen persönlichen Text vorlesen soll, weil dann wieder ein Kommilitone meint, diese emotionale Frauenlyrik nerve. Die Autorin spricht dabei ein Dilemma an, das den meisten Frauen bekannt sein dürfte: Sprechen wir über Emotionen, sind wir verständnisvoll oder schlicht freundlich, wird das als mangelnde Stärke und fehlender Biss ausgelegt und oft als Grundlage herangezogen, wieso wir für diesen oder jenen Job nicht geeignet sind. Darauf hat Hembeck eine klare Antwort: Fuck. This. Shit.

Eine weitere Facette des Frau-Seins im Bühnen-Business thematisieren Eva Kessler und Anja Kerschkewicz vom Kollektiv Frauen&Fiktion. In ihrem Stück „Lust“ stellen sie das weibliche Begehren in den Mittelpunkt und geben eine sinnliche Antwort auf die Frage, wie weibliche Körper dargestellt werden können, die begehren – anstatt nur begehrt zu werden. Was selten geschieht, denn die allermeiste Zeit dominiert der „male gaze“, der „männliche Blick“ auf die Welt. In diesem sind Frauen die passiven, begehrenswerten Geschöpfe, die darauf warten erobert zu werden. Die Herausforderung des Kollektivs bestand darin, genau diese Sichtweise zu brechen: Wie stellt man überhaupt einen weiblichen Körper, weibliche Lust, dar, ohne den omnipräsenten „male gaze“ zu bedienen, der auch unsere Sehgewohnheiten bestimmt? Das Projekt war nicht nur inhaltlich eine Herausforderung, auch die Produktion sollte sich als schwierig erweisen, denn auf die Förderanträge kam die Antwort, dass das Thema ja jetzt wirklich nicht mehr aktuell sei. Dabei sind, wie einige Stimmen aus dem Publikum bestätigen, Stücke über die weibliche Lust mehr als rar gesät.

Am Ende der sechs Stunden ist der Raum bis in die letzte Stuhlreihe und darüber hinaus gefüllt. Jede der Vortragenden hat auf ihre Art und Weise sichtbar gemacht, worum es bei dem Geschlechterdiskurs geht: Um das Recht auf Chancengleichheit, auf mehrdimensionale Repräsentation und auf Deutungshoheit darüber, was Frau-Sein in all seinen Facetten bedeutet. Das alles ist leichter zu erreichen, wenn Frau sich zusammenschließt und gemeinsam für die Sache einsteht.

Organisisert haben die Veranstaltung Anna Bergel, wissenschaftlich-künstlerische Mitarbeiterin Bühnenbild, Jeanne Louët, Master-Studentin Bühnenbild und nebenberufliche Frauenbeauftragte der Fakultät Darstellende Kunst der UdK , sowie Klothilde Habrant, die im Bachelor Bühnenbild studiert.

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