Erik Marquardt, Bundestagskandidat für Bündnis 90/Die Grünen, war als Fotograf und Helfer drei Wochen lang an Bord des privaten Rettungsschiffs "Sea Eye“ der gleichnamige Nichtregierungsorganisation (NGO). Im Seegebiet zwischen Malta und der Küste Libyens hat er beobachtet, wie kriminelle Seeleute Motoren von Geflüchteten-Booten klauen und dabei zur Gefahr für die Menschen in Seenot und ihre Retter werden. Die libysche Küstenwache tut nichts oder bereichert sich an dem illegalen Geschäft.
der Freitag: Herr Marquardt, Sie waren drei Wochen an Bord der „Sea Eye“ und haben erlebt, wie dort die Motoren von Geflüchteten-Booten geklaut wurden. Wie muss man sich diese Situation vorstellen?
Erik Marquardt: Wir haben oft, sobald wir uns Geflüchteten-Booten genähert haben, kleinere Boote entdeckt, die mit relativ hoher Geschwindigkeit näher kamen, ohne, dass wir wussten, um wen es sich da handelt: Sind es sogenannte Engine-Fischer, die die Motoren der Boote zu stehlen, sind es Schlepper oder ist es die libysche Küstenwache? So oder so mussten wir uns in Acht nehmen, denn man kann nie wissen, wie die Leute auf die NGO-Schiffe reagieren, ob sie aggressiv sind und möglicherweise bewaffnet.
Zur Person
Erik Marquardt arbeitet als Fotograf sowie Fotojournalist und dokumentiert als solcher unter anderem Hilfseinsätze entlang von Fluchtrouten. Er ist außerdem Bundestagskandidat für Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Bezirk Treptow-Köpenick
Wer stiehlt die Motoren und warum?
Manchmal ist nicht ganz klar, ob das jetzt Schlepper selbst sind oder besagte Fischer. Fest steht, die Motoren werden für ein Heidengeld verkauft und an anderen Booten wiederverwendet. Daran haben Schlepper natürlich ein Interesse, so ein Motor kostet. Und das italienische Gesetz besagt, dass die Boote nach der Rettung zerstört und die Motoren versenkt werden, damit sie nicht wiederverwendet werden können. Sogenannte Engine-Fischer passen daher bewusst Boote mit Geflüchteten ab und klauen die Motoren, bevor das passiert. Manchmal noch während die Rettung läuft!
Wie reagieren Flüchtende und Seenotretter auf diesen Übergriff?
Die Leute sind auf den Booten eingepfercht und ihrem Schicksal ausgeliefert. wenn dann noch Engine-Fischer versuchen, Motoren zu stehlen, während die Rettung läuft, bricht auf den überladenen Booten manchmal Hektik und Panik aus, Menschen fallen ins Wasser und da viele von ihnen nicht schwimmen können, ertrinken sie innerhalb weniger Minuten.
Was können die NGOs in diesem Moment tun?
In solchen Situationen hat die Rettung der Menschen Vorrang, da hat man keine Möglichkeit noch Engine-Fischer zu vertreiben oder gar zu verfolgen. Einmal kamen wir mit der „Sea-Watch“ dazu, als zwei von denen im Schnellboot ein noch volles Boot beklauen wollten. Wir haben dann mit Vollgas Kurs auf sie genommen und sie damit vertrieben. Normalerweise ist das aber zu riskant, denn sie könnten ja eine Kalashnikov dabei haben. Es ist nicht unsere Aufgabe, uns für Strafverfolgung in Gefahr zu begeben.
Wäre es nicht Aufgabe der zuständigen Küstenwache so etwas zu verhindern?
Doch, aber das tut sie nicht. Als ich auf der „Sea Eye“ war konnte ich beobachten wie die libysche Küstenwache sich in dem ihnen unterstellen Gebiet, in dem etwa vier bis fünf Geflüchteten-Boote trieben, Engine-Fischerbooten näherte und sich mit ihnen ganz in Ruhe unterhielt. Nachdem die NROs ihre Arbeit getan hatten hat die Küstenwache die Motoren der Boote an sich genommen. Einen haben sie den Engine-Fischern überlassen, die restlichen hat die Küstenwache selbst behalten. Sie haben keine ihrer eigentlichen Aufgaben erfüllt: Die Fischer zu überprüfen, die Situation zu dokumentieren und vor allem die Kriminellen wegzuschicken, da sie die Rettung behinderten.
Die libysche Küstenwache scheint ja ohnehin eher auf Kriegsfuß mit den NGOs zu stehen...
Die libysche Küstenwache hat ein Interesse daran, illegale Grenzübertritte zu verhindern und die Leute nach Libyen zurückzuführen, dafür werden sie schließlich von der EU bezahlt. Deshalb wollen sie natürlich keine privaten Seenotretter, die die Leute vor ihnen finden und sie retten. Das kriegen die NGOs auch zu spüren, Dienstag dieser Woche hat die libysche Küstenwache Warnschüsse auf ein Boot der spanischen Organisation „Proactiva Open Arms“ abgegeben und mit Erschießung gedroht, sollten sie der Wache in die Quere kommen. In internationalen Gewässern, wohlgemerkt.
Das klingt nach einer ziemlich absurden Situation auf Kosten der Geflüchteten
Das ist es auch. Und die Asyl-Politik der EU provoziert das. Italien will genauso wenig, dass die Geflüchteten die Grenze übertreten, beziehungsweise überschiffen und bei ihnen ankommen. Denn das Land steht mit dem Andrang an Menschen und den daraus entstehenden Problemen alleine da, die anderen EU-Länder ducken sich weg. Die politischen Forderungen der Friedensnobelpreisträgerin lassen sich offensichtlich in zwei Punkten zusammenfassen. Erstens: Bitte kommen Sie nicht. Und zweitens: Bitte sterben Sie nicht vor unserer Haustür. Hört sich hart an, aber sonst gäbe es doch sichere Fluchtwege. Stattdessen kreiert man Verschwörungstheorien um die Rettungsorganisationen, die die Menschen bergen, und behindert damit ihre Arbeit.
Worauf beziehen Sie sich mit den „Verschwörungstheorien“?
Im Februar dieses Jahres hatein italienischer Saatsanwalt behauptet, er hätte Beweise dafür, dass NGOs mit Schleppern zusammenarbeiten. Das hat einen Shit-Storm gegen die NGOs und eine öffentliche Debatte über ihre Arbeit ausgelöst. Die meisten Menschen dachten: „Wenn das der Staatsanwalt sagt, dann wird das schon stimmen.“ Am Ende hat sich rausgestellt, dass es keine Beweise für die Vorwürfe gab, der Staatsanwalt meinte dann, das sei mehr eine Arbeitshypothese. In der Folge dieser Diffamierungs-Kampagne sind die Spenden der NGOs um 40 Prozent zurückgegangen. Es ist absurd, wie sie behandelt werden. Während sie tausende Menschenleben retten, lesen sie in den Medien Vorwürfe, dass sie mit Schleppern und Kriminellen zusammenarbeiten. Ich weiß auch nicht, wie die Leute am Schreibtisch sich das vorstellen. Aber es ist nicht schön, wenn man Leute, die man Anfang des Tages noch im Boot gesehen hat, abends in Leichensäcke steckt, weil man sie nicht retten konnte. Das ist keine Abenteuertour, die da stattfindet. Da sterben täglich Menschen, die durch staatliche Schiffe oder sichere Fluchtwege gerettet werden könnten. Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz meinte, „der NGO-Wahnsinn müsse gestoppt werden“. Tatsächlich muss der Regierungswahnsinn in dieser Frage endlich gestoppt werden.
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