1933!

Zeitgschichte 1933 Versuch einer Annäherung an das Jahr 1933

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Schicksalsjahr 1933

- „man hatte es kommen sehen. Aber wie konnte man glauben, daß dieses Land Deutschland mit seiner hoch entwickelten Kultur, seinen führenden Geistern (…) sich in eine Hölle niedrigster Gesinnung und brutalster Mordlust verwandeln könnte? Von einem Tag auf den anderen brach diese Welt zusammen, und keine Stütze, die sich diesem heillosen Unglück entgegenstellte. Unfaßbar war es für die wenigen, die noch zu sehen fähig waren, wie Männer von Rang aus allen Gebieten der Wissenschaft, der Wirtschaft, Industrie und der Armee vor diesem häßlichen, phrasendreschenden Unhold ihren Kotau machten und in schmählicher Feigheit Deutschland seinen Klauen, seinen zerstörerischen Welteroberungsplänen auslieferten.“, die Frage sollte den Verleger Gottfried Bermann Fischer noch Jahrzehnte nach dem Debakel -das Schicksalsjahr 1933- bewegen. In seinen Memoiren, in jeder Hinsicht exemplarisch und fasst ein Jahrhundert deutscher Geschichte umspannend, lässt er sie noch einmal Revue passieren, jene Speerspitzen der akademischen Zunft, die nach der Machtergreifung im Januar 1933 nicht schnell genug Hitler ihre „Ergebenheit“ bekunden konnte: der Philosoph von Sein und Zeit (1927) Martin Heidegger. Der verweigerte nicht nur umgehend seinem Lehrer, Edmund Husserl, dem die Nazis schließlich den Freiburger Lehrstuhl entzogen, den Gruß, „wenn er ihm auf der Straße begegnete.“ Heidegger verstieg sich schließlich zu den Worten: >>Nicht Lehrsätze und >Ideen< seien die Regeln Eures Seins. Der Führer selbst und allein ist die heutige und künftige deutsche Wirklichkeit und ihr Gesetz.<< Dann der Staatsrechtler Prof. Carl Schmitt. In seiner Schrift Staat, Bewegung, Volk (1933) erteilt er im vorauseilenden Gehorsam den Verbrechern sakrale Weihen, indem erdie mythische Trinität des neuen Systems“ – die >>Dreigliederung der politischen Einheit<< huldigte.

Die Mediziner konnten auch nicht schnell genug den Arm zum Hitlergruß erheben, erinnert sich Bermann Fischer. Bis zu seiner Heirat mit der Verlegertochter Brigitte Fischer im Jahre 1925 und dem Eintritt in den S. Fischer Verlag als dessen Leiter 1932, arbeitete er als Arzt in München und schließlich in Berlin. Der >>Aufruf des nationalsozialistischen Ärztebundes<< muss ihn hart getroffen haben. „Bereits am 23. März 1933“, schreibt er, hieß es im Völkischen Beobachter: >>Volksgenossen! Kollegen!“, (…) Dass die Deutschen „mit Dankbarkeit die Besinnung unseres Volkes auf sich selbst und die Werte seines Blutes“, erleben und (…) „in allen Ständen und Berufen sehen wir das völkische Erwachen und die Abkehr von artfremden, liberalistischen Irrwegen.“ Abseits habe man immer gestanden, obwohl es doch kaum einen Beruf gäbe, der für die Größe und Zukunft unserer Nation so bedeutungsvoll wie der ärztliche wäre; und kein anderer seit Jahrzehnten schon so straff organisiert. Aber keiner sei auch so verjudet wie er und hoffnungslos in volksfremdes Denken hineingezogen worden.“ Und schließlich folgt der Aufruf an die Deutsche Ärzteschaft zur Säuberung: „Deutsche Ärzte! Ehre und Pflicht verlangen von uns, daß diesem unhaltbaren Zustand ein Ende gemacht wird! (…) Säubert die Führung unserer Organisationen, fegt alle hinweg, (…) macht unseren Stand in Leitung und Geist wieder deutsch(…) Nationalsozialistischer deutscher Ärztebund gez. Dr. med. Gerhard Wagner“

Jahre später habe ihn der Aufruf zur Arisierung der Ärzteschaft, an all die mörderische Experimente denken lassen, die durch deutsche Mediziner, entgegen des Hippokratischen Eids, Leben zu erhalten, an lebenden Frauen, Männern, Kinder verübt wurden.

1936 emigrierten Gottfried Bermann Fischer, seine Frau, ihre drei Töchter mit dem verfemten Teil des S. Fischer Verlags nach Wien. Über die Beweggründe heißt es:„ Bald erschienen die Hyänen bei mir im Verlag, manche mit dem Hakenkreuz im Knopfloch, manche heimlich hinter dem Aufschlag ihrer Jacken versteckend, aber alle gierig, den S. Fischer Verlag zu verschlucken, so billig wie nur möglich.“ Zwei Jahre später glückte der Familie, unter Zurücklassung ihres Besitzes in Wien, die Rettung nach Schweden. 1942 erfolgte die Auswanderung in die USA, von dort leitete Bermann Fischer den Stockholmer Verlag. 1947 führte er den Emigrationsverlag mit dem deutschen Teil wieder zusammen. Gottfried Bermann Fischer, geb. 1897 verstarb fast hundertjährig auf seinem Altenteil in der Toskana. Er und seine Familie sind davon gekommen.


„Herrlichen Zeiten wird tüchtig/ Jetzt entgegenmarschiert“

,heißt es in einem Gedicht, das drei Tage nach der Machtergreifung Hitlers am 2. Februar 1933 in der Wiener Arbeiter Zeitung erscheint.Es ist eine historische Anspielung auf Kaiser Wilhelm. Der hatte 1914 die Deutschen >>herrlichen Zeiten entgegengeführt<<. Erinnerungen sollen geweckt werden, wie herrlich das Verrecken auf den Kriegsfeldern im Drahtverhau und das Hungern im Hinterland waren. Der Verfasser des Gedichts war den Lesern kein Unbekannter. Viel später, als die Arbeiter Zeitung längst verboten, der Dichter und Journalist längst tot ist , heißt es hinter vorgehaltener Hand: „Er hat’s vorausgesagt.“

Jura Soyfer! 1912 im ukrainischen Charkow geboren, 1921 mit seiner Familie aus Furcht vor den Bolschewiken geflohen, wurde der Industriellensohn im Roten Wien zum Sozialisten. Als Mittelschüler liest er bereits Marx und Engels. Zum politischen Initialerlebnis wird für ihn der 15. Juli 1927. Es ist der Tag, an dem in Wien der Justizpalast in Flammen aufging. Es ist das erste für die Erste Republik schwere Ereignis. Ein Fehlurteil, demnach Arbeiter das Gebäude in Brand gesetzt haben sollten, forderte 90 Tote und 600 Verletzte. Was beim acht Jahre älteren Elias Canetti den Entschluss hervorrief, sich ein Leben lang der Erforschung der Masse zu widmen, die ihn, an diesem Tag, „ von innen und außen überwältigt hatte“, führte bei dem 15-jährigen Jura Soyfer zum Eintritt in die österreichische Sozialdemokratie, zuerst in die Vereinigung Sozialistischer Mittelschüler (VSM)und später in die SDAP und den Republikanischen Schutzbund.

Die linke Presse druckte früh die Reportagen, Tages- und Zeitgedichte, Lieder des Hochbegabten. 1932 zieht der gerade 19 –jährige Linkssozialist durch Deutschland und kommentiert als unbezahlter Berichterstatter die am Abgrund delirierende Weimarer Republik. „Viele kleine, lokale Proben auf die Hitlerseligkeit sollten es werden“, notierte er, „sehr nützlich, weil sie weitaus weniger gefährlich sind, als eine große, und die Kenntnis von ihnen erspare viele bittere Enttäuschungen“.

In Oldenburg, einer deutschen Provinzstadt, entdeckt Soyfer einen Lokalpolitiker, den er mit Hitler vergleicht. Auch er „versprach (…) jedem alles. Als er an die Macht kam, verriet er „seine Versprechungen in einem Eiltempo so grotesk, daß der Geschichte seiner Herrschaft in den Annalen des Faschismus ein Ehrenplatz sicher ist.“ Im Reich der deutschen Schlotbarone nimmt er sich die Krupps und ihre Waffenproduktion vor.

Wie ein roter Faden durchzieht diese kleinen journalistischen Pretiosen die Frage nach dem Entstehen von Krieg und Diktatur. Und deshalb auch die eindrücklichen Schilderungen über „die braune Mordpest“: Auf dem Kinderspielplatz: „Niemand ist mehr seines Lebens sicher, wo die braune Mordpest einbricht. Da spielen in Biskupitz bei Hindenburg in Schlesien auf dem städtischen Spielplatz mehrere Kinder. Die Mütter sind froh, ihre Lieblinge munter und fröhlich zu wissen. Plötzlich füllen sich die Straßen mit wild ratternden Lastautos, auf denen sich SA Leute befinden. Ohne Grund und Ziel beginnen die Nazihorden zu schießen. Und mit angstvollem Aufschrei stürzen auf dem Spielplatz zwei Kinder nieder, sie haben schwere Bauchschüsse und schweben in Lebensgefahr.“ Oder in SA Schlächter : Sie machen „(…) nicht einmal halt vor dem häuslichen Herd, jenem heiligen deutschen Herd, den Hitler geradezu als Lebensbestimmung der deutschen Frau bezeichnet. (…) So haben in Halle SA-Leute, die in selben Hause wohnen, einen Reichsbannermann im Hausgang vor seiner Wohnung überfallen und ihn mit einem Schlächterbeil den Kopf gespalten.

Die Reportagen aus der Arbeiter Zeitung, schreibt Werner Schneyder , „rufen in Erinnerung, was Journalismus sprachlich leisten kann, wenn man ihm Raum gibt, wenn man ihn nicht zu Bildtext ohne Bild degenerieren läßt. Wenn man von ihm die Beschreibung des Geschehenen verlangt, den Bericht.“

Im September 1932 nach seiner Rückkehr defilieren die Wiener Nazis bereits auf der Ringstraße vor den deutschen Nazi-Bonzen. Jura Soyfer erkennt die Bedrohung. Er bekämpft sie in seiner Politlyrik, in Lieder „ohne Schnörkel und in einer Direktheit, wie sie nicht nur in solchen Gefahrenzeiten von Nöten sind, eben „Haltung und Literatur sind“, so Schneyder. Der Einfluss Heines, Börnes, Nestroys, Villons, Brechts ist nicht zu überhören. Von Karl Kraus, den er als Schüler in Lesungen hörte und den er so sehr bewunderte, wendet sich Soyfer schließlich ab. „Bedingungslose Bewunderung“, schreibt sein Herausgeber Horst Jarka, „schlägt um in Spott“, als Karl Kraus‘ sich für Dollfuß erklärte, die bürgerkriegsähnlichen Zustände auf Wiens Straßen hinnahm. Vor allem Kraus' Anwürfe gegen die Sozialdemokratie enttäuschen Soyfer zutiefst.

So starb die Partei

Was war das? Wie kam es dazu? Welche Menschen sind das, die mit „Heil Hitler! zu grüßen bereit sind? Jura Soyfer entwickelte die Frage nach der Genese des Austrofaschismus entlang einer kritischen Analyse der österreichischen Sozialdemokratie. Auf dem Hintergrund der historischen Ereignisse im Winter 32 bis Februar 1934, so der Literaturkritker Alfred Pfabigan, als es unter Dollfuß um die „Selbstausschaltung des Parlaments ging; Vorwand zur Etablierung des autoritären Regimes, entstand das lange verschollene Romanfragment So starb die Partei. Es ist das Portrait einer Partei im Verfall. Ihr oligarchisches Führungsmodell, lautet die Kritik des Linkssozialisten Soyfer, führte zur Selbstentmachtung. Wegen ihrer Tendenz, breite Teile der Partei zu entmündigen, wurde jegliche Kritik erstickt. Statt eigenständige politische Analysen mit entsprechenden Schlussfolgerungen für Aktionen in der Opposition zu erarbeiten, verschanzten sich die Führer und Theoretiker der österreichischen Sozialdemokratie hinter unklaren Äußerungen und sprachlich meisterhaft gedrechselten Nebelkerzen : „War man damals in der Partei gewohnt, hinter den Worten führender Genossen, Sinn zu spüren, der aus vielerlei Rücksichten meisterhaft nur andeutungsweise vorgebracht werden durfte (…) gleichzeitig wurde das Gegenteil gemutmaßt. So saßen sie die ahnungslosen Propheten von jeher an ihren Sektions- und Wirtshaustischen, über alles und jedes spekulierend. Sie wollten noch eine Spanne Zeit sitzen, mit dem Fingernagel Worte aus der Arbeiter-Zeitung unterstreichend, den erloschenen Virginiastengel zwischen überlegen gekräuselten Lippen, mit pfiffigen Blick und kurzem Gedächtnis, streitsüchtig, in ihrer Art glücklich.“ Um die innerparteiliche Kommunikation stand es katastrophal. Das „angebliche Ohr der Führung zu den Massen“ war " nur mehr eine ritualisierte, inhaltlose Veranstaltung". Der Politiker Dworak, für den die Partei zwar eine Art Familie ist, "hatte keine hohe Meinung von den Menschen im allgemeinen. Im Vergleich zu den hohen Idealen der Vernunft (…), warum sie ihm immer als ziemlich verächtliche Geschöpfe erschienen, sie bedurften im hohen Maße der Obhut verantwortlicher Funktionäre.“

Als Flucht aus der Malaise bleiben Scheinaktivitäten: Kassieren von Parteibeiträgen; Kleinigkeiten, wie das Gerede über „die Flitsche mit Lebenswandel“.

Bei der Analyse der Motivation ihrer Führer, sortiert nach Typen, fallen die Antworten unterschiedlich aus: der Nationalrat Dreher, ein zeitloser Aufsteigertyp und die am meisten ausgearbeitete Figur im Romanfragment - ein Delegierter auf dem Parteitage 1937 soll das Stichwort für ihn geliefert haben: „Oberschicht (…) die sich nicht mehr unterscheidet von den Allüren des Bürgertums.“ Dreher übersetzt das für sich so:„Ich habe lange genug selbstlos dem Proletariat gedient, jetzt darf ich mir zu recht die Früchte ernten.“ Soyfers Sicht eines Linkssozialisten auf die innerparteiliche Wirklichkeit, das Aufdecken von Auswirkungen verkrusteter Herrschaftsmechanismen auf das Verhalten der Parteimitglieder, heißt es, zerstörte "die vielen Mythologeme um den neuen Menschen, der solidarisch handelt, und Ähnliches zerstört". Sein Fazit: Die österreichische Soziademokratie hat die Entwicklungen verschlafen : „Dworak wußte nichts. Zufall (…) seit 25 Jahren Parteimitglied, Ortsgruppenobmann, Personalausschußmitglied, Schutzbandkommisar, Mitglied des Bezirksvorstands, hatte seine Arbeiter-Zeitung nicht gelesen, ging am 31. Januar durch menschenleere Straße seines Bezirks und wußte nicht, daß am Vortag Hitler Reichskanzler geworden war.“ Und der Nationalrat Dreher? Der versteckt sich am Ende hinter der Schutzbehauptung: „Österreich ist nicht Deutschland.“

1935 greift die Zensur. Der Sozialist und Jude Jura Soyfer kann nur noch unter Pseudonym schreiben: Rezensionen, in denen er die „Demokratisierung von Theater und Film“ fordert; für die Kellertheater Wiens volkstümliche Parabeln im Stile Nestroys. „Witz und Humor und Einfühlung in die Welt der Armen, Traumszenen und harte Realistik. Phantastik und Politik, Nestroy und Karl Marx. Zarte Lyrik und ätzende Satire“, vereinen sich in Soyfers charakteristischer Dramatik. Sein Lechner Edi ist der Gegenentwurf zum Erfolgsstück Hofmannsthals. Nicht der reiche Prasser ist der Jedermann seiner Zeit, sondern der entrechtete Erwerbslose. In Astoria, eine Schilderung der Genese des Faschismus, ist der Missbrauch der Utopie das Thema. Broadway Melodie 1492 und Vineta sind Metaphern für Hitlers drohende Okkupierung Österreichs; „Vineta bereits jene surreale Schreckensvision“ einer toten Welt, schreibt Jarka, die bald Realität wurde. Soyfers Weltuntergang, eine Groteske auf die Untergangsbereitschaft einer Gesellschaft, wird am 11. Jul 1936 zum letzten Mal aufgeführt, am Tag als Österreichs Untergang in Berchtesgaden besiegelt wurde.

Nach kurzer Verhaftung wegen „staatsfeindlicher Betätigung“ im November 1937, kommt Jura Soyfer frei. Jedoch die Flucht in die Schweiz misslingt. Am 13. März 1938 wird er festgenommen. Trotz Schwerstarbeit in Dachau entsteht hier sein letztes Gedicht. Sechsundzwanzig-jährig stirbt Jura Soyfer am 16. Februar 1939 in Buchenwald an Typhus. In nur fünf Jahren schuf er ein Werk von fast tausend Seiten. Jura Soyfer gehört zu den wenigen österreichischen Autoren, die inzwischen in mehr als 30 Sprachen übersetzt wurden. Obwohl scharfer Beobachter und Kritiker in einer schlimmen Zeit, schreibt Horst Jarka im Nachwort seines empfehlenswerten Auswahlbands, „überzeugen“ Soyfers „ Stücke durch ein hoffnungsvolles: „Auf uns kommt es an.“

Gottfried Bermann Fischer. Wanderer Durch Ein Jahrhundert. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 1994.

Jura Soyfer. Herrlichen Zeiten entgegen. Reportagen, Gedichte, Satiren. 1931-1938. Hrsg. von Horst Jarka. Mit einem Vorwort von Werner Schneyder. Wien, München: Europaverlag, 1996.

Die Kunst zu leben. Max Mannheimer ist einer der letzten Holcaust-Überlebenden. Bis heute berichtet er regelmäßig in Schulklassen von seinen Erfahrungen. Wie spricht man über Ausschwitz.

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Geschrieben von

anne mohnen

Der Verstand ist Brod, das sättigt; der Witz ist Gewürz, das eßlustig macht." Ludwig Börne.

anne mohnen

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