So wird Heroin in der Zelle gekocht

Eventkritik Eine Regisseurin zeigt ihren Film dort, wo er entstand: in der JVA Berlin-Lichtenberg. Wie reagieren die Insassinnen?
Filmszene: Kübra Baytok, eine frühere Insassin, und Anstalsleiter Matthias Blümel
Filmszene: Kübra Baytok, eine frühere Insassin, und Anstalsleiter Matthias Blümel

Filmstill: Edition Salzgeber

Vor dem Besuchereingang der JVA für Frauen in Berlin-Lichtenberg sammelt sich eine kleine Gruppe. Alle sind etwas nervös. Die Cutterin, jemand vom Film-Verleih und einige Journalisten – die Gefängnisleitung wollte niemanden von der Springerpresse dabeihaben – sind zu einem besonderen Ereignis eingeladen.

Die junge Regisseurin Diana Näcke zeigt ihren Film Meine Freiheit, Deine Freiheit heute an dem Ort, an dem er entstanden ist: in der Haftanstalt. Der Film handelt von den Lebensbedingungen im Knast, er fragt am Beispiel zweier Frauen und ihrer Biografien nach den Umständen, die dazu führen, dass jemand straffällig wird. Für ihren Dokumentarfilm hat Diana Näcke zwei Gefangene über drei Jahre zunächst im Gefängnisalltag und dann auf ihrem schwierigen Weg in die Freiheit begleitet. Wie werden die anderen Häftlinge auf den Film reagieren, der so nah an ihrem eigenen Leben dran ist?

Zuerst ist eine Führung durch das Gefängnis geplant – die Journalisten können sich ein Bild vom Drehort machen – danach werden wir zusammen mit den Insassinnen den Film anschauen.

Kurz bevor wir die JVA bertreten, klingelt Näckes Handy. Kübra ist dran. Sie ist eine der Protagonistinnen aus dem Film, die einzige weibliche Intensivstraftäterin Berlins wurde mit Anfang 20 nach knapp fünf Jahren Haft inzwischen entlassen. Die Regisseurin redet beruhigend auf sie ein. Kübra geht es nicht gut. Sie hat den Entzug abgebrochen und lebt auf der Straße.

Haft wegen Schwarzfahren

Diana Näcke hat die beiden Protagonistinnen, die im Film sehr einfühlsam und differenziert porträtiert sind, bei einem Foto­shooting im Knast kennengelernt. Da kam sie mit Kübra und der bedächtigen Salema, damals gerade 40, ins Gespräch. Sie wollte deren Lebensgeschichten erzählen, ihre Motive verstehen.

Es ist ihr gelungen, Matthias Blümel, den Anstaltsleiter, einzubeziehen. Er hat es ihr ermöglicht, viel Zeit mit den beiden Frauen zu verbringen, um sich ihren Erfahrungen zu nähern. Und er hat dafür gesorgt, dass die Vorführung hier stattfinden kann.

Blümel, gut gelaunt, ist um die sechzig, weißhaarig, trägt Poloshirt und Schnauzbart. Er empfängt die Besucher an der ersten schweren Metalltür und führt sie in einen Versammlungsraum.

Am Kaffeetisch redet er über Zahlen, Fakten und die formalen Schritte, wenn eine Frau in seinem Gefängnis landet wie etwa medizinische Untersuchung, Überprüfen und in-Ordnung-Bringen der Meldepapiere. Eine Sozialarbeiterin kümmert sich um die Dinge, die draußen noch zu regeln sind, etwa zurückgelassene Kinder oder Haustiere. Er berichtet, dass ungefähr vierzig der hundert Inhaftierten in der Folge von Schwarzfahren und nicht gezahlten Bußgeldern hier gelandet seien. Eine externe Drogenberaterin sitzt mit an der Kaffeetafel. Sie erzählt, dass sie regelmäßig das Gespräch mit den Häftlingen sucht, die hier in Lichtenberg ausnahmslos drogenabhängig sind.

Sie kommt zweimal die Woche, fragt die Frauen, wie es ihnen geht, klärt sie über Möglichkeiten auf, Therapien in Anspruch zu nehmen, die auch auf Bewährungsstrafen anrechenbar sind. Kaum eine werde hier nicht an harte Drogen herangeführt. Die Versorgung reißt auch im Gefängnis nicht ab.

Raum für Suizidgefährdete

Im Anschluss führt Blümel die Besucher durch die Anstalt. Lange Flure, enge Treppenhäuser, dann zeigt der Anstaltsleiter eine gerade unbewohnte Zelle auf der Jugendstation. Sechs Quadratmeter groß, mit Bett und Tisch, einem großen vergitterten Fenster und einer schweren Metalltür mit Schloss. Es geht weiter durch graffitibemalte Flure und Gemeinschaftsräume. Bücher und Spiele stehen bereit, eine Polstergarnitur soll Gemütlichkeit schaffen.

Es wird beklemmend, als wir uns dem „besonders gesicherten Haftraum“ nähern: Hier werden akut suizidgefährdete oder randalierende Gefangene tageweise eingesperrt. Der weiß gekachelte Raum ist mit einem Waschbecken und einer Toilettenschüssel aus Stahl ausgestattet.

In der Mitte steht die Pritsche mit der Matratze. Zwei Überwachungskameras glotzen von oben herunter. Im Film wird Kübra erzählen, sie habe während ihrer Haftzeit beinahe sechs Monate in diesem Raum verbracht.

Im Gemeinschaftssaal im zweiten Stock haben etwa sechzig weibliche Gefangene und einige Betreuerinnen Platz genommen. Die Regisseurin fragt in die Runde, wer Kübra und Salema überhaupt noch kenne. Dass sich nur zwei Frauen melden, wertet sie als gutes Zeichen. Alle anderen sind entlassen. Kübra aber hat seit Ende des Films bereits eine weitere Haftstrafe hier verbüßt.

Meine Freiheit, Deine Freiheit erzählt am Beispiel von Kübra und Salema, dass gute Vorsätze nicht genügen, um sich von Sucht und Beschaffungskriminalität zu befreien. Der Film zeigt Realitäten. Menschen, die wenig Halt haben.

Während der Vorführung reagieren die Frauen verhalten, manche lachen. Zwei verlassen unter leisem Protest den Raum, als der Leiter im Film von seinem Traum spricht, die Anstalt für ein paar Tage zu schließen. Als Salema zu sehen ist, wie sie in ihrer Zelle Heroin aufkocht, geht ein Raunen durch den Saal. „Ist das hier im Knast gefilmt worden?“ „Ja“, antwortet Näcke nur. Abspann. Die meisten verschwinden gleich auf ihren Stationen, andere gehen zum Rauchen auf den Hof. Sie sind betroffen von der Frage: Wie wird es weitergehen nach der Entlassung? Was soll man mit der Freiheit anfangen?

Die Mutter ihrer Freundin werde sich um sie kümmern, wenn sie im August nach drei Monaten Haft rauskommt, erzählt eine junge Frau mit grünen Augen und einem schmalen Gesicht. Sie ist 21, hat einen Hauptschulabschluss. Drogen und Alkohol kamen in ihren Alltag, „aus Langeweile“. Draußen will sie eine Ausbildung machen, eine Wohnung suchen. Und einen geregelten Tagesablauf finden.

Meine Freiheit, Deine Freiheit läuft am Sonntag, den 10. Juni, noch einmal in den Berliner EVA-Lichtspielen, Blissestraße 18. Die Regisseurin ist anwesend und lädt zum anschließenden Filmgespräch ein.

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