Gedanken zum Politcamp

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http://farm1.static.flickr.com/71/161114986_39e18f1dce_m.jpgIn Berlin findet an diesem Wochenende das 'Politcamp' statt. Ich hatte in den letzten Wochen viel zu tun und ich gebe zu, dieses Event ist weitgehend spurenlos an mir vorbeigezogen. Inzwischen ärgert mich das ein bisschen, weil es so aussieht, als ob da doch allerhand Interessantes und vor allem interessante Leute dabei wären. Allerdings ist es inzwischen ausverkauft und damit bin ich weitgehend einfach selber schuld.

Aber wieso habe ich das vorher nicht bemerkt? Beim Politcamp geht es um Politik. Das reißt mich in etwa so mit wie die Aussage, dass morgen die Sonne scheint. Auch schön, aber hat nicht alles irgendwie mit Politik zu tun? "Politik trifft Web 2.0. Barcamp zu Netzpolitik und politischer Kommunikation". Ich glaube, für Barcamps bin ich entweder zu alt oder zu konservativ, aber für Veranstaltungen, bei denen ich vorher nicht weiß, was passiert, ist mir meine Zeit zu schade - oder auch die meiner Kinder, die mich sowieso viel zu selten sehen. Die riskiere ich nicht für etwas, von dem ich nicht weiß, ob es sich lohnt. Und wenn ich mir parallel gerade im Stream die Session-Planung angucke - die Workshops (heute "Sessions") werden Sonntagfrüh um 10 vor einem weitgehend leeren Saal vorgestellt und ein Meinungsbild erstellt, wie viele das interessant finden. Da kann traditionelle Programmplanung locker mithalten.

Klar habe ich in den letzten Wochen mal einen Blick auf die Website geworfen. Die 'großen Veranstaltungen', jenseits der Barcamperei, wurden schon beworben. Prominent plaziert und stolz vorgestellt: unsere extreme Familienministerin. Wenn die da Zugpferd ist, dann ist das nicht meine Veranstaltung, sagen Erfahrungswerte. Es gab übrigens vor Ort Protest, schreibt Adrian Lang.

Ein bisschen Empirie: Unter 35 vorgestellten 'Speakern' sind fünf Frauen. 15 Prozent. Uiuiui. Wahrscheinlich laufe ich jetzt Gefahr, als Dauer-Frauen-Ninglerin in die Geschichte des Web 2.0 einzugehen. Das fände ich allerdings bedauerlich, weil ich mich zu anderen Themen ja mehr und meiner Ansicht nach qualifizierter äußere. Auch nichts neues in der Geschichte der Frauenbewegung.

Bei den Sessions gibt es vermutlich auch Frauen und, weil weiter hinten im Programm, wahrscheinlich ein paar Prozentpunkte mehr. Leider kann ich das Programm nicht sehen, weil es mit Google Spreadsheets erstellt wird und ein Google-Account nötig ist, um sich einzuloggen. Den habe ich bis heute nicht und werde mir deswegen auch keinen anlegen. Update: das Programm für Sonntag gibt es auch als PDF.

Es gibt eine Twitterwall: also eine Leinwand, auf der die mit #pc10 markierten Tweets für alle sichtbar hinter (?) dem Podium eingeblendet werden. Vorher war gefragt worden, ob es das geben soll. Leider hat das Politcamp-Team nicht erkennbar mitgeteilt wie die Entscheidunge ausgefallen ist und warum. Update: Nach der ersten gestreamten Veranstaltung heute morgen wird gesagt, dass die Twitterwall erst nach den Vorträgen eingeblendet wird.

Zu Twitterwalls (was übrigens ein schönes Beispiel für neudeutsch anglifizierte Vokabeln ist - in den USA heißen die 'Backchannel') gibt es durchaus auch Kritik. Ganz bekanntes Beispiel ist Danah Boyd, die gerade eine großartige Keynote (Eröffnungsvortrag) zur SXSW® Interactive 2010 gehalten hat: Making Sense of Privacy and Publicity. Über das Verhältnis von Privatsphäre und Öffentlichkeit in sozialen Netzwerken.

Sowas bei einer Konferenz hier - das wär's.

Ich muss sagen, dass mich das Programm auf den ersten Blick ja nicht primär deswegen nicht bewegt hat, weil da sowenig Frauen dabei sind, sondern weil nichts erkennbar Prickelndes dabei ist. Irgendwer, den man nicht schon zigmal gesehen und gelesen hätte? Ist von prominenten Politikern tatsächlich irgendwas anderes als Sprechblasen zu erwarten?

Danah Boyd also hat bei einer anderen Keynote bei einer anderen Konferenz (der Web2.0 Expo) ein ziemlich unangenehmes Erlebnis mit so einer Twitterwall gehabt. Und aufgeschrieben, wie es ihr ging, als sie mitten im Vortrag bemerkt hat, dass hinter ihr offenbar über sie negative Kommentare getwittert wurden und wie sich das dann auf ihren Vortrag ausgewirkt hat: "spectacle at Web2.0 Expo… from my perspective".

Unter der Frage des Politcamps, ob es nun sowas geben soll, gab es verschiedene Vorschläge (z.B. Moderation). Warum die Entscheidung so ausfiel, wie sie ausfiel, ist im Blog dort leider nicht erkennbar.

Insgesamt ein klassischer Fall von Fuchs und Trauben - klar.

Wie gesagt, es ärgert mich durchaus, dass ich erst mit dem Start gestern bemerkt habe, dass das Politcamp sicher eine gute Möglichkeit ist, interessante Leute zu treffen und interessante Diskussionen zu führen. Das hier ist auch nicht als umfassende Kritik gedacht, schließlich weiß ich mangels Teilnahme fast nichts darüber. Es sind nur ein paar Gedanken, die mir durch den Kopf gingen.

Hoffentlich wird es bald viele spannende Artikel zu den Inhalten des Politcamps geben.

Sehr nett fand ich übrigens, dass sich gestern Nacht noch jemand ins Zeug gelegt hat und dem Politcamp-Team eine Mail schrieb, ob es nicht doch eine Möglichkeit gäbe, dass ich noch kommen kann. Danke! Die Antwort war negativ. Das Leben geht weiter.

Bild: Erdmännchen, von Joachim S. Müller (Flickr), CC-Lizenz

Original bei annalist

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Geschrieben von

Anne Roth

Anne Roth schreibt ins Netz seit 1999 / beruflich Referentin für Netzpolitik der Linksfraktion im Bundestag / parteilos / Fokus: DigitaleGewalt

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