Linksextremismus im Bundestag

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http://farm3.static.flickr.com/2036/2401222385_96ae7109b0_m.jpg Während ich gerade noch darüber nachdenke, ob ich mein Themenfeld von "Terrorismus" auf "Extremismus" erweitern sollte, weil die Regierung so putzige Ideen dazu hat, weil die Familienministerin ja eigentlich Extremismus-Expertin ist, habe ich ein sehr schönes Exemplar der Gattung gefunden.

Gibt es eigentlich eine Richtlinie, dass das Familien(.. und so, Gedöns, wie hiess das noch..)-Ministerium vor allem mit Frauen besetzt werden soll, die sich gern in totaler Ignoranz mit Nicht-Familienthemen beschäftigen sollen, damit der Laden irgendwann ganz zugemacht werden kann?

Jedenfalls:

Zu den völlig verkannten Highlights der parlamentarischen Demokratie gehört die Fragestunde des Bundestages. Da dürfen Abgeordnete kurze Fragen an die Regierung stellen, die sehr zeitnah beantwortet werden sollen. Weil die Regierung diese sehr lästige und zeitraubende Kontrolle seitens des Parlaments nicht mag, gibt es meist ein mehr oder weniger unterhaltsames Gerangel darum, wie eine Frage elegant nicht beantwortet werden kann.

Gestern hatten einige Abgeordnete von der Linken und den Grünen Fragen zu den geplanten Programmen von Frau Köhler gegen "Linksextremismus und Islamismus".

Sinngemäß wurde gefragt: was haben Sie denn da vor?
Antwort: Wir gucken das erstmal an.
Frage: Was denn und warum überhaupt?
Antwort: Das wissen wir noch nicht, deswegen gucken wir das ja erstmal an.
Frage: Aber wenn Sie nichts darüber wissen, warum unternehmen Sie dann überhaupt was?
Antwort: Das können wir erst sagen, wenn wir mehr wissen.

Mit ein paar Einsprengseln seitens der Fragenden dazu, dass es sehr ernste Auswirkungen haben kann, wenn den Programmen gegen Rechtsextremismus, die immerhin mit konkreten Morden an Menschen umzugehen haben, das Geld gekürzt wird zugunsten von Programmen, bei denen jedenfalls Morde eigentlich keine Rolle spielen. Ach ja, und Linksextremismus ist vor allem in Hamburg und Berlin ein Problem.

Es sieht zunächst als Lektüre nicht attraktiv aus, aber ich verspreche: es lohnt sich. Und habe es deswegen mal aus dem gesamten Protokoll rauskopiert:

Protokoll des Deutschen Bundestages vom 9. Februar 2010, S. 1820 - 1824:

Wir kommen zu den Fragen 3 bis 8. Sie befassen sich alle mit den Pilotprojekten gegen Linksextremismus und Islamismus.
Ich rufe die Frage 3 der Kollegin Cornelia Möhring auf:

Welche beispielhaften Träger hat die Bundesregierung im Auge, die sie für eine Beteiligung an den Pilotprojekten gegen Linksextremismus und Islamismus gerne gewinnen würde?

Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bun­desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend:
Frau Präsidentin, ich bitte darum, die Fragen 3 und 4 zusammen beantworten zu dürfen.

Vizepräsidentin Petra Pau:
Dann rufe ich auch die Frage 4 der Kollegin Cornelia Möhring auf:

Liegen der Bundesregierung belastbare Erkenntnisse für den Bedarf an Projekten gegen Linksextremismus vor, und wo ist dieser Bedarf bisher dokumentiert?

Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju­gend:
Zur Vorbereitung der beiden Pilotprojekte gegen Linksextremismus und Islamismus, die im Laufe dieses Jahres gestartet werden sollen, ist zunächst eine Sondie­rungsphase vorgesehen. In dieser Phase werden mögliche Forschungsthemen, Forschungsfelder, Vorgehensweisen, Zielgruppen sowie Trägerstrukturen identifiziert. Hierbei werden auch bereits vorliegende wissenschaftliche und behördliche Erkenntnisse zur Ideologie, zur Entwicklung und zur Struktur des Linksextremismus sowie des Isla­mismus einbezogen. Mit staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren des Bundes, der Länder und der Kommunen, zum Beispiel mit Berlin und Hamburg, werden Fragen der praktischen Prävention von Islamismus und Links­extremismus erörtert.

Das Ziel ist es, im zweiten Quartal 2010 Ideen für Forschung, Expertisen und Modellprojekte zu entwi­ckeln und zu realisieren. Im Rahmen dieser Sondie­rungsphase werden Träger angesprochen, die die Bun­desregierung für eine Beteiligung an den Pilotprojekten gewinnen möchte. Die Verfassungsschutzberichte des Bundes und der Länder, die in diesem Zusammenhang veröffentlichten Zahlen zur politisch motivierten Krimi­nalität, aber auch die Aussagen des Berliner Innensena­tors und der Leiterin des Berliner Verfassungsschutzes und die von ihnen am 11. November 2009 vorgestellte Studie Linke Gewalt in Berlin belegen, dass es neben dem Rechtsextremismus auch linksextremistische Ten­denzen gibt, die undemokratisch sind und Menschen­rechte verletzen. Diese müssen beobachtet werden, und auf sie muss reagiert werden. Der Staat darf sich unserer Auffassung nach auf solche Bestrebungen nicht nur mit Mitteln der Strafverfolgung einlassen, sondern er muss diese auch präventiv und nachhaltig bekämpfen. Das ist der Ansatz von Aktivitäten im Bereich des Jugendminis­teriums.

Vizepräsidentin Petra Pau:
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Cornelia Möhring (DIE LINKE):
Danke, Herr Dr. Kues. – Wenn ich Sie richtig verstan­den habe, wird die Bundesregierung direkt Träger an­sprechen, die diese Modellprojekte mit durchführen sol­len. Ich würde gerne von Ihnen wissen, welche Träger Sie ins Auge gefasst haben.

Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bun­desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend:
Wir sind im Moment noch nicht so weit. Ich habe ja gesagt, dass wir uns noch in der Sondierungsphase be­finden. Das ist ein neuer Ansatz, eine neue Entwicklung. Wir führen verschiedene Gespräche. Wir gehen davon aus, dass wir dann in der Lage sind, sowohl die Frage­stellungen, die angegangen werden können und müssen, zu identifizieren als auch Trägerstrukturen auszuma­chen, die dafür infrage kommen. Wir werden dabei alle Informationen, die ich eben beschrieben habe, natürlich auch die vom Verfassungsschutz – ich habe ja auf die Studie Linke Gewalt in Berlin hingewiesen –, zugrunde legen.

Wir gehen davon aus, dass wir einen eigenen Ansatz finden. Ich glaube, dass jede Form von Extremismus ge­sondert betrachtet werden muss; denn die Ursachen sind unterschiedlich. Insofern müssen auch die Ansätze un­terschiedlich sein. Das ist ein neuer Weg, den wir dort gehen. Daher brauchen wir eine gewisse Vorbereitungs­zeit.

Vizepräsidentin Petra Pau:
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.

(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Dieselbe Soße!)

Cornelia Möhring (DIE LINKE):
Ich gehe einmal davon aus, dass Sie Ihre Planungen nicht nur auf die Berliner Studie beziehen. Daher würde ich gerne von Ihnen wissen, wo Sie in der Auseinander­setzung mit dem Linksextremismus Schwerpunktregio­nen sehen.

Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bun­desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend:
Das kann ich jetzt nicht im Einzelnen darstellen,

(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Berlin!)

weil wir dabei sind, dies zunächst zu erfassen. Berlin ist sicherlich eine Stadt, über die man reden muss.

(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Genau! Wo die Linke regiert!)

Der Berliner Senat sagt dies ausdrücklich. Er hat ja auch deswegen eine Studie in Auftrag gegeben. Von daher ist es sinnvoll, dort anzuknüpfen und sich dann Gedanken zu machen, wie man damit umzugehen hat.

(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Branden­burg! Wo die Stasi an der Regierung ist!)

Vizepräsidentin Petra Pau:
Zu einer weiteren Nachfrage hat nun der Kollege Volker Beck das Wort.

Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ursprünglich wollte ich gar nichts fragen, aber Ihre Antworten haben mich stutzig gemacht. Ich habe den Eindruck, das funktioniert nach dem Motto: Wir hätten da gerne einmal ein Problem.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Sie wissen nicht, wo die besondere Belastung ist, also wo Sie eine Notwendigkeit, einen Bedarf für Projekte sehen. Es ist ja nicht so, dass wir uns nicht einig sind, dass gewalttätiger Extremismus von allen hier im Hause abgelehnt werden muss. Die Geschichte der Programme gegen den Rechtsextremismus geht ja darauf zurück, dass Gruppen in der Gesellschaft regelmäßig Opfer von fremdenfeindlicher Gewalt, homophober Gewalt oder antisemitischer Gewalt wurden. Um die Opfer sicherer zu machen, hat man gesagt, dass man Strategien und Programme dagegen entwickeln muss. Können Sie mir sagen, welche Personenkreise besonders gefährdet sind, Opfer gruppenbezogener Gewalt linker Gruppen zu wer­den,

(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das ist je­der Autofahrer in Berlin!)

oder ist die Problemlage so grundverschieden, dass man sich vielleicht die Frage stellen muss, ob der neue An­satz des Hauses angesichts der unterschiedlichen For­men von Extremismus überhaupt sachgerecht ist?

Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bun­desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend:
Zunächst einmal ist es gut, dass Sie gesagt haben, dass wir uns hinsichtlich der Notwendigkeit der Be­kämpfung von Extremismus jeglicher Art einig sind. Ich habe Ihnen auch zwei Standorte genannt, die ausweislich dieser Studie, die ich eben erwähnt habe, aber auch aus­weislich der Berichte des Verfassungsschutzes und von Polizeiorganisationen offenkundig Zentren linksextre­mistischer Gewalt sind. Wir werden uns damit auseinan­derzusetzen haben, und wir werden dann zu überlegen haben, wie wir damit umgehen.

Ich sage noch einmal ausdrücklich: Wir sind nicht für die Sicherheitspolitik zuständig – das ist Aufgabe der Innenminister und der Innensenatoren –, sondern für die Entwicklung pädagogisch-präventiver Konzepte; diese müssen genau überlegt werden.

Ich bestreite allerdings nicht, dass auch andere Formen des Extremismus existieren, allerdings mit anderen Ur­sachen und Begründungen, die ebenfalls eine Herausfor­derung darstellen; darüber haben wir bereits verschie­dentlich gesprochen.

Vizepräsidentin Petra Pau:

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch für die Opferhilfe, oder?)

Da die Fragen 3 und 4 im Zusammenhang beantwor­tet wurden, hat die Kollegin Möhring die Möglichkeit, zwei weitere Nachfragen zu stellen. – Kollegin Möhring, bitte.

Cornelia Möhring (DIE LINKE):
Vielen Dank. – Da ich davon ausgehe, dass sich die Bundesregierung, bevor sie einen Haushaltsentwurf vor­legt, Gedanken darüber macht, welchen Bedarf sie zu­grunde legt, möchte ich gern von Ihnen wissen, ob Sie von einem gleichmäßigen Bedarf an Projekten gegen Linksextremismus, Rechtsextremismus und Islamismus ausgehen, also von ungefähr einem Drittel für jeden Be­reich.

Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju­gend:
Nein, davon gehen wir nicht aus.

Vizepräsidentin Petra Pau:
Ihre letzte Nachfrage, wenn Sie noch eine haben.

Cornelia Möhring (DIE LINKE):
Wovon gehen Sie aus?

Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju­gend:
Wir haben gesagt – danach haben Sie auch im Aus­schuss schon gefragt –, dass wir zunächst zwei Projekte auf den Weg bringen. Diese werden wir zunächst identi­fizieren. Dann werden wir Schlussfolgerungen zu ziehen haben. Das können wir im Fachausschuss gern im Ein­zelnen erörtern.

Vizepräsidentin Petra Pau:
Da die Fragestellerin der Fragen 5 und 6 – –

(Abg. Heidrun Dittrich [DIE LINKE] meldet sich zu einer Nachfrage)

– Entschuldigung, jetzt waren Sie ein bisschen spät, Kol­legin Dittrich. Aber ich gehe davon aus, dass Sie, da die­ser Komplex noch weiter behandelt wird, Ihre Nachfra­gen noch unterbekommen. Noch einmal: Da die Fragen 5 und 6 von der Abge­ordneten Petra Pau gestellt wurden, die erkennbar anders beschäftigt ist, werden sie schriftlich beantwortet.

Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Jörn Wunderlich auf:

In welcher Form und bis wann sollen die angekündigten Pilotprojekte gegen Linksextremismus und Islamismus ausge­schrieben werden?

Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju­gend:
Frau Präsidentin, ich würde die Fragen 7 und 8 gerne im Zusammenhang beantworten.

Vizepräsidentin Petra Pau:
Dann rufe ich auch die Frage 8 des Kollegen Jörn Wunderlich auf:

Werden sich Vereine, Initiativen etc. für die angekündigten Pilotprojekte gegen Linksextremismus und Islamismus be­werben können, oder sollen vor allem staatliche Träger ange­sprochen werden?

Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju­gend:
Übrigens würde ich auch der Präsidentin eine Frage beantworten, wenn sie sie stellen würde. Aber ich glaube, das geht im Hinblick auf den parlamentarischen Ablauf nicht.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Kollege Wunderlich, einige Inhalte meiner Antwort ergeben sich aus dem, was ich bereits gesagt habe. Ich will Ihre Fragen trotzdem wie folgt beantworten: Wir sind in der Tat dabei, im ersten Quartal dieses Jahres mögliche Felder, Vorgehensweisen, Zielgruppen und Trägerstrukturen zu identifizieren; das gilt hier in glei­cher Weise. Wir werden dabei alle Erkenntnisse, die be­reits vorliegen, einbeziehen: wissenschaftliche Untersuchungen, das, was Behörden zusammengetragen haben, und die Erkenntnisse zur Entwicklung der Ideologie und zur Struktur des Linksextremismus sowie des Islamis­mus. Dann werden wir mit staatlichen und nichtstaatli­chen Akteuren von Bund, Ländern und Kommunen die Fragen der praktischen Prävention von Islamismus und Linksextremismus erörtern.

Das Ziel ist nach wie vor, im zweiten Quartal 2010 Ideen für Forschung, Expertisen und Modellprojekte zu entwickeln und zu realisieren. Im Rahmen dieser Son­dierungsphase werden wir auch festzulegen haben, wann und in welcher Form ein Auswahlverfahren durchge­führt wird. Das hängt auch von der jeweiligen Nachfrage und davon ab, was als vernünftig angesehen wird. Da­rüber kann zu gegebener Zeit im Einzelnen informiert werden.

Vizepräsidentin Petra Pau:
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Jörn Wunderlich (DIE LINKE):
Herr Dr. Kues, schönen Dank erst einmal. – Da Sie von Modell- oder Pilotprojekten sprachen und ich die Argumentation Ihres Ministeriums im Hinblick auf Mo­dell- und Pilotprojekte kenne, frage ich Sie: Wurde schon darüber nachgedacht, wie lange diese Modell- oder Pilotprojekte laufen sollen und wie die regionale Verteilung ausgestaltet werden soll?

Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju­gend:
Da es sich nach Auskunft des Ministeriums bis jetzt um zwei Projekte handelt, ist die Frage nach der regiona­len Verteilung relativ einfach zu beantworten. Ich habe eben zwei regionale Schwerpunkte genannt. Ob man im Verlauf des Verfahrens weitere Erkenntnisse gewinnt, bleibt abzuwarten.

Über den Zeitraum haben wir schon heute Nachmit­tag im Ausschuss diskutiert. Diese Projekte sind immer zeitlich befristet, in der Regel auf maximal fünf Jahre. Die Befristung wird man im Einzelfall zu prüfen haben, je nachdem, was notwendig ist. Auf jeden Fall sind sie befristet. Es handelt sich nicht automatisch um eine Dau­erförderung. Im Übrigen gilt auch für alle anderen Pro­gramme gegen Extremismus, dass sie immer wieder eva­luiert werden. Das tun wir auch bei den Projekten gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Fremdenfeind­lichkeit. Hierzu gibt es ausführliche Studien von Fach­leuten, deren Ergebnisse dazu geführt haben, dass wir unsere Strategie in diesem Bereich völlig geändert ha­ben.

Wir sagen: Wir müssen die Länder und die Kommu­nen einbeziehen, weil es keinen Sinn macht, über die ganze Bundesrepublik verstreut einzelne Projekte iso­liert zu fördern. Wir müssen die lokale Ebene einbezie­hen; das ist ganz wichtig. Insofern gilt generell für alle Programme, dass sie ausgewertet werden müssen.

Im Übrigen will ich noch sagen: Sie wissen – Sie ken­nen sich da ja aus –, wie der Kinder- und Jugendplan ge­staltet ist, wie Verbandsjugendarbeit und politische Bil­dungsarbeit gefördert werden. Das sind letztlich alles Maßnahmen für Vielfalt, Toleranz und Demokratie und damit gegen Extremismus und Fremdenfeindlichkeit.

Vizepräsidentin Petra Pau:
Ihre zweite Nachfrage.

Jörn Wunderlich (DIE LINKE):
Wo die Mittel ja zum Teil gekürzt werden. – Sie sa­gen, dass es im zweiten Quartal losgehen soll. Das zweite Quartal beginnt am 1. April. Von wie vielen Ein­zelprojekten geht die Regierung, das Ministerium gegen­wärtig aus?

Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju­gend:
Ich habe nicht gesagt, dass es im zweiten Quartal los­gehen soll, sondern ich habe gesagt, dass wir dann iden­tifizieren wollen. Danach, hoffen wir, können wir die Projekte irgendwann benennen. Wann es losgehen wird, wird sich zeigen. Ich gehe davon aus, dass wir nach un­gefähr einem halben Jahr so weit sein werden, sagen zu können, um welche Projekte es sich handelt. Dann wird auch feststehen, wann sie im Einzelnen beginnen.

Vizepräsidentin Petra Pau:
Eine weitere Nachfrage?

Jörn Wunderlich (DIE LINKE):
Sie sprachen von zwei Schwerpunkten. Gehen Sie von weiteren Schwerpunkten in Deutschland aus, wo Linksextremismus, wie er sich nach Ihrer Überzeugung darstellt, vorhanden ist?

Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju­gend:
Sie können die Berichte des Verfassungsschutzes le­sen. Wir richten uns zunächst einmal auf Berlin und Hamburg aus, weil wir da konkrete Anhaltspunkte ha­ben.

Vizepräsidentin Petra Pau:
Eine weitere Nachfrage? – Nein.
Dann hat die Kollegin Dittrich zu einer Nachfrage das Wort. – Sie hat inzwischen verzichtet.
Der Kollege Liebich hat aber noch eine Frage. Bitte.

Stefan Liebich (DIE LINKE):
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort auf die Fragen des Kollegen Wunderlich auf die Ausgaben für die Programme zur Bekämpfung des Ex­tremismus Bezug genommen. Davor haben Sie viel über das Land Berlin gesprochen. Ist Ihnen eigentlich be­kannt, dass das Land Berlin sehr gut in der Lage ist, die Bekämpfung von Kriminalität – wozu das Anzünden von Autos zweifellos gehört – selbst zu bewältigen?

(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das ist doch nicht Ihr Ernst, oder? Das ist doch ein Witz, oder?)

Niemand im Land Berlin – schon gar nicht die zustän­dige Senatorin für Integration, Carola Bluhm – hat um pädagogische Hilfe, wie sie die Bundesregierung gerne leisten möchte, gebeten. In der Regierung des Landes Berlin herrscht vielmehr die große Sorge vor, dass die sehr wichtigen Projekte zur Bekämpfung des Rechts­extremismus gefährdet sein könnten.

(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Der Kol­lege Liebich probt für einen Gastauftritt im Rheinland! – Gegenruf des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]: Die FDP ist wieder da! Sie haben ja lange gefehlt!)

Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär zur Beantwortung der Frage des Kollegen Liebich.

Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju­gend:
Ich kann zunächst einmal feststellen: Bei allen Pro­grammen gegen Extremismus, die bisher auf Bundes-ebene aufgelegt worden sind, ist das Land Berlin dabei gewesen. Wir haben die Projekte immer auch mit dem Land Berlin abgestimmt. Ich gehe davon aus, dass das auch in diesem Fall selbstverständlich ist. Warten Sie erst einmal ab! Der Innensenator des Landes Berlin hat klar gesagt, dass dort Maßnahmen ergriffen werden müssten. Wir werden uns im Einzelnen ansehen, in wel­chem Umfang wir dort hilfreich sein können.


[Damit war dieser Teil der Fragestunde beendet. Fragen von nicht anwesenden Abgeordneten werden schriftlich beantwortet, die kommen jetzt, im Protokoll S. 1875 - 1876]

Anlage 2 - Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die Frage der Abgeordneten Ulla Jelpke (DIE LINKE) (Drucksache 17/633, Frage 1)

Sieht die Bundesregierung im Bundesprogramm „Förderung von Beratungsnetzwerken“ ein allgemeines Antiextremismusprogramm, obwohl hier explizit nur von Rechtsextremismus gesprochen wird, und soll dieses Programm im Sinne des sogenannten Extremismusansatzes ausgebaut werden?

Das Bundesprogramm „kompetent. für Demokratie – Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus“ richtet sich nach den in den Leitlinien verankerten Programm­zielen nicht nur gegen die Verfestigung rechtsextremisti­scher Strukturen, sondern in gleicher Weise gegen fremdenfeindliche und antisemitische Strukturen im Ge­meinwesen und deren gezielte Einflussnahme auf die Einstellungen der Bürgerinnen und Bürger, die die demo­kratische Grundordnung unserer Gesellschaft bedroht.

Der Bundesregierung ist bewusst, dass es sich bei Linksextremismus, Rechtsextremismus und Islamismus um jeweils unterschiedliche Phänomene handelt, die auch jeweils unterschiedlicher präventiver und beraten­der Ansätze bedürfen.

In der vorgesehenen Sondierungsphase wird auch festzustellen sein, in welcher Weise die thematische Er­weiterung der Extremismusbekämpfung um die Berei­che Linksextremismus und Islamismus erfolgen soll.

Anlage 3 - Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die Frage der Abgeordneten Ulla Jelpke (DIE LINKE) (Drucksache 17/633, Frage 2):

Hat die Bundesregierung gegenwärtig Anhaltspunkte dafür, dass Projekte, die über die Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus gefördert werden, „extremistische Bestrebungen“ verfolgen, und, wenn ja, um welche Projekte handelt es sich hierbei?

Die Bundesregierung hat gegenwärtig keine Anhalts­punkte dafür, dass Projekte, die über die Bundespro­gramme „Vielfalt tut gut.“ und „kompetent. für Demo­kratie“ gefördert werden, „extremistische Bestrebungen“ verfolgen.

Anlage 4 - Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die Frage der Abgeordneten Petra Pau (DIE LINKE) (Drucksache 17/633, Frage 5):

Reicht nach Ansicht der Bundesregierung eine Pilotphase von weniger als einem Jahr aus, um auf dieser Grundlage einen Umbau der vorhandenen Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus auch zur Bekämpfung des Linksextremismus und Islamismus vorzunehmen?

Die Bundesprogramme „Vielfalt tut gut.“ und „kom­petent. für Demokratie“ werden bis zum Start einer neuen Programmphase ab dem Jahr 2011 unter Einbezie­hung der Erkenntnisse der wissenschaftlichen Begleitun­gen und der Programmevaluation weiterentwickelt. Die Bundesregierung erachtet die vorgesehene Zeit der Pilot­phase für eine thematische Erweiterung der Extremis­musprävention um die Themenfelder Linksextremismus und islamischer Fundamentalismus für ausreichend.

Anlage 5 - Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die Frage der Abgeordneten Petra Pau (DIE LINKE) (Drucksache 17/633, Frage 6):

Wer soll die geplanten Pilotprojekte im Bereich Linksextremismus und Islamismus wissenschaftlich begleiten, und wird es eine Evaluation zu dieser Arbeit geben?

Zur Vorbereitung der beiden Pilotprojekte gegen Linksextremismus und Islamismus ist zunächst eine Sondierungsphase vorgesehen. In dieser Phase werden mög­liche Forschungs- und Themenfelder, Vorgehensweisen und Zielgruppen sowie Trägerstrukturen identifiziert werden. Hierbei werden auch bereits vorliegende wissenschaftliche und behördliche Erkenntnisse zur Ideologie, Entwicklung und Struktur des Linksextremismus sowie des Islamismus mit einbezogen. Mit staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren des Bundes, der Länder und der Kommunen Berlin und Hamburg werden Fragen der praktischen Prävention von Islamismus und Linksextre­mismus erörtert. Das Ziel ist es, im 2. Quartal 2010 Pro­jektideen für Forschung, Expertisen und Modellprojekte zu entwickeln und zu realisieren. Im Rahmen dieser Son­dierungsphase wird auch festgelegt, wie die Evaluation dieser Projekte vorgenommen wird.

Original bei annalist

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Anne Roth

Anne Roth schreibt ins Netz seit 1999 / beruflich Referentin für Netzpolitik der Linksfraktion im Bundestag / parteilos / Fokus: DigitaleGewalt

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