Sieben Monate Einzelhaft für zwei Berliner Jugendliche

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Seit dem 1. Mai '09 sitzen in Berlin zwei Jugendliche in Untersuchungshaft. Vorwurf: versuchter Mord. Eine Frau wurde von einem Molotow-Cocktail getroffen, ihre Kleidung fing Feuer. Yunus K. und Rigo B., 16 und 19 Jahre alt, werden festgenommen. Seit September findet in Berlin-Moabit das Verfahren gegen sie wegen versuchter und vorsätzlicher Tötung und schwerer Körperverletzung statt.

Soweit, so relativ unspektakulär diese Geschichte aus Berlin. Natürlich ist das mal was anderes, weil es bisher noch keine angenommenen Mordversuche am 1. Mai gab. Trotzdem werden die meisten, die Artikel darüber gelesen haben, diesen Fall als "eins von diesen Verfahren nach den 1. Mai-Krawallen" abgebucht und nicht weiter drüber nachgedacht haben.

Was mir persönlich die Schuhe ausgezogen hat, war ein Video mit einem Interview mit dem Großvater eines der beiden am Rande des Prozesses in Moabit. Er beschreibt die Haftbedingungen. Seine Fassungslosigkeit ist ihm anzumerken. Die beiden sitzen seit sieben Monaten in Einzelhaft. Alle zwei Wochen eine halbe Stunde Besuch.

www.youtube.com/v/Do_5Sq0TRx4

Abendschau vom 23.11., Min. 1:46

Ich fand es sehr schwer auszuhalten, als Andrej unter solchen Bedingungen drei Wochen in U-Haft war. Andrej ist erwachsen und es waren nur drei Wochen.

Die beiden sind Schüler. Sie wohnen noch zuhause. Sie haben im Knast ihre Schulabschlüsse gemacht - Abitur der eine und MSA der andere. Ich finde das unglaublich. Unglaublich hart.

Nun könnte man sagen, dass das in einem Rechtsstaat bei Mordvorwurf so sein muss.

Eine der AnwältInnen der beiden ist Christina Clemm. Sie ist auch Andrejs Anwältin. Christina hat ein Talent, sich unglaubliche Verfahren an Land zu ziehen. Seit sie mit unseren Kindern im Nebenzimmer Bilderbücher anguckte, während Andrej in Handschellen aus der Wohnung geführt wurde, glaube ich ihr alles.

Die beiden bestreiten die Vorwürfe.

Die Anklage beruht einzig auf den Aussagen von zwei Polizeibeamten, die sich bezüglich der Festnahmesituation und des -ortes widersprechen. Es gibt viele Zeugen, die die beiden Waldorfschüler entlasten. Sie haben andere Personen beim Werfen des Brandsatzes beobachtet. An der Kleidung der Angeklagten wurden keinerlei Spuren von brennbarer Flüssigkeit festgestellt, obwohl bei dem Wurf aus der Brandflasche viel davon verspritzt worden sein muß. Die Angeklagten hatten keine Rucksäcke o.ä. bei sich, worin sie einen Brandsatz hätten transportieren können. Das wird von Zeugen bestätigt und auch bei der Festnahme hatten sie nichts dabei. Sie wollten den Platz verlassen, als sie überraschend festgenommen wurden. (Soli-Website)

Der Staatsanwalt glaubt den beiden Polizei-Zeugen, die sagen, sie hätten sicher gesehen, dass die beiden den Molli geworfen haben.

Christina Clemm in der Abendschau:

Wenn man ... sieht, dass das eine völlig unüberschaubare Situation war, dass da eine junge Frau tatsächlich zu brennen angefangen hat, dass man auch dahin gerannt ist, um dieser Frau zu helfen, dann kann man sich gar nicht vorstellen, wie die eine ununterbrochene Beobachtung veranstalten wollen.

Am Abend des 1. Mai haben sich Zeugen bei der Polizei gemeldet, die ein Foto der tatsächlichen Werfer gemacht hatten. Es gibt weitere Zeugen. Mittlerweile wird auch gegen zwei andere Beschuldigte ermittelt. Das alles bringt das Gericht nicht dazu, nach sieben Monaten die Untersuchungshaft aufzuheben.

Die Familien bitten inzwischen, die beiden wenigstens zu Weihnachten auf Kaution rauszulassen - dazu gab's diese Umfrage in der Morgenpost.

Was tun

http://annalist.noblogs.org/gallery/3244/previews-med/yunus-rigo-plakat.jpgEs gibt eine ausgesprochen rege Unterstützungsgruppe, die zu verschiedenem aufruft:

  • Mahnwache, Sonntag 13.12., 16 Uhr am Alex, Nähe Rotes Rathaus, Ecke Rathausstraße / Jüdenstraße
  • Info-Veranstaltung 14.12., 18 Uhr, Rudolf-Steiner-Schule Zehlendorf
  • Info-Veranstaltung 14.12., 18 Uhr, Humboldt-Uni Raum 2002
  • Demo am 19.12., 14 Uhr, Weinmeisterstr., Waldorfschule
  • Kundgebung 21.12., 12 Uhr, Gericht Moabit, Turmstrasse

und noch mehr.

Mehr Informationen

Im November gab es in der Waldorf-Schule Berlin-Mitte eine Infoveranstaltung, die als Video auf der Website zum Prozess zu sehen ist, wie auch diverse andere Videos.

Letzten Montag ging es etwa eine halbe Stunde bei Herrn Klein im Bluemoon bei Radio Fritz um den Fall mit reichlich sehr seltsamen Details aus dem Verfahre (MP3)

Soli-Video von einer Gruppe aus Freunden, Eltern, Geschwistern, Mitschülern und Prozessbeobachtern:

www.youtube.com/v/GYjBXoxS3tA

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Geschrieben von

Anne Roth

Anne Roth schreibt ins Netz seit 1999 / beruflich Referentin für Netzpolitik der Linksfraktion im Bundestag / parteilos / Fokus: DigitaleGewalt

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