Wichtige Blogs

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Top-Artikel bei Rivva war gestern ein Blog-Post von Philip Banse, der "für dctp.tv gerade eine Reihe von Interviews mit bekannten deutschen Bloggern" führt. Weiter unten werden sie etwas despektierlich 'Alpha-Tiere' genannt. Vorgestellt werden dort, unter der Überschrift Meinungsmacher, Markus Beckedahl (Netzpolitik), Stefan Niggemeier (Bildblog), Johnny Häusler (Spreeblick) und Sascha Lobo. Frag- und neidlos Leute, die relevant sind.

Mein nicht totzukriegender feministischer Impuls bemerkte als erstes, dass die bekannten deutschen Blogger alles Männer sind. Was bei nur vier Ausgewählten nicht soo überraschend ist, aber früher, im letzten Jahrhundert, gehörte noch zum guten Ton, zumindest eine Alibi-Frau dazu zu setzen. Das ist heute anders.

Nach einer kleinen unüberlegten getwitterten Reaktion habe ich meiner Erfahrung vertraut, dass es allemal besser ist, feministische Emotionalien mit sehr guten Faktenchecks untermauern zu können. Selbst dann sind die Reaktionen keine Freude, aber doch besser abzufangen.

Wie also bemisst sich, was ein bekanntes Blog, wer ein bedeutender Blogger ist? Das ist nicht eindeutig wissenschaftlich zu belegen. Es gibt verschiedenste Web-Projekte, die mit mehr oder weniger nachvollziehbaren Methoden versuchen, Blog-Rankings zu erstellen. Im deutschsprachigen Raum sind das bspw. die deutschen Blogcharts, die Rivva-Leitmedien (wobei hier dezidiert auch Nicht-Blogs eine Rolle spielen), und häufig wechselnde Bewertungsautomatismen wie lange Zeit Technorati, inzwischen Blogoscoop, Wikio, Lesercharts, etc. etc.

Komplizierter wird das ganze durch die ungeklärte Frage: Was ist ein Blog? Letzten Endes, praktisch betrachtet, eine Website mit einem Content Management System ("Software zum Verwalten von Inhalten"), das erlaubt, ohne besonderes technisches Wissen chronologisch sortiert neue Inhalte zu veröffentlichen. Dann gibt es aber ein sehr spezielles Blogger-Ethos (vermutlich eher mehrere), das beinhaltet, dass ein Blog vor allem selbsterstellte Inhalte enthalten soll, viel zu anderen verlinkt, einigermaßen häufig aktualisiert wird, nicht kommerziell betrieben wird (wahlweise: auf jeden Fall Kommerzialität anstreben sollte), sich deutlich von 'anderen Medien' (= klassische Medien, die sich mit dem 'völlig anderen' Journalismus-Ethos identifizieren) abgrenzt. Hierzu gibt es mittlerweile Bücher.

Ich würde eine Definition bevorzugen, die in etwa so aussieht: ein Blog ist eine persönliche Website, die regelmäßig aktualisiert wird und chronologisch sortiert ist. Eine Art Online-Tagebuch, wobei 'Tagebuch' impliziert, dass eher Privates veröffentlich wird - das meine ich nicht. Ich lese am liebsten Blogs, die eine eindeutige Themensetzung habe, gern, aber nicht zwangsläufig politische Themen oder Was-mit-Medien. Sicher, weil das die Themen sind, die mich am meisten interessieren (und über die ich folglich selber meist schreibe).

Zurück zur Empirie, was Alpha-Blogger angeht. In der letzten Ausgabe der deutschen Blogcharts taucht das erste Blog, das von einer Frau geschrieben wird, mit Mondgras auf Platz 35 auf. Ich gebe zu, das hat mich erschüttert. Sogar die schwarz-gelbe Regierung kann das besser.

Auch bei den Blogcharts gibt es allerhand Websites, die ich eher nicht mehr mit 'Blog' beschreiben würde: iFun.de/iPhone, t3n News, Macnotes.de, iPhone-notes.de oder das Wahlkampf-Portal der Piraten Klarmachen-zum-Ändern. Was die Beteiligung von Frauen angeht, gibt es einige gemeinschaftlich betriebene Projekte unter den ersten 50 wie Carta (3 Frauen von 39 AutorInnen) oder Ruhrbarone (5 Frauen von 38 AutorInnen, einige uneindeutige Vornamen), dazu eine Reihe gemeinschaftlich betriebene reine Männerprojekte.

Das ist den diversen anderen Rankings sicher anders, aber der Trend ist der gleiche. Frauen kommen nicht vor. Warum ist das so? Ist das überhaupt relevant? Sind wir in Zeiten von Gender nicht irgendwie alle gleich? Anderes Thema. Anderer Artikel.

Frauen können nicht schreiben? Frauen mögen nicht online? Können sich nicht mit Computern anfreunden? Nachweislich alles Quatsch.

Es auf aktive Ausgrenzung zu schieben, wäre deutlich zu einfach (und würde ich auch tatsächlich den meisten mir bekannten männlichen Bloggern nicht unterstellen wollen). Diese Rankings haben die Eigenart, dass sie tatsächlich eher von Maschinen als von Menschen erstellt werde. Sicher, die Maschinen werden programmiert und selbst über das Geschlechtsspezifische der Software-Produktion und der Auswirkung davon gibt es Seminare und Bücher. Trotzdem macht das allenfalls einen Bruchteil dessen aus, was hier die Gründe sind.

Der Mikrokosmos der Blogs, die sog. Blogosphäre, ist zu einem nicht geringen Teil ein Perpetuum Mobile (siehe Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt, großartiges Buch). Sie reproduziert sich selbst. Bemerkt wird, was andere bemerken, also verlinken. Je mehr Links, desto bedeutsamer. Das könnte ein Indikator für eine wahrhaft demokratische Meinungsbildung sein. De fakto führt es aber dazu, dass relativ wenige Artikel (Blogs) von sehr vielen beobachtet und zitiert werden, in der Hoffnung, so auf der Aufmerksamkeitswelle ein wenig mitschwimmen zu können. Das wäre die sehr negative Auslegung.

Eine mögliche These wäre, dass insbesondere Männer erfolgreicher bei dieser Sorte Aufmerksamkeitsgenerierung sind, oder schlicht stärker daran interessiert. Oder zufällig diejenigen Menschen, die sich prioritär mit Themen wie Netz, Medien, Web2.0, Internet & Politik, Technik, Zensur, Bürgerrechten beschäftigen. Die wiederum zufällig in großer Mehrheit Männer sind.

Ich habe eine Weile mitgespielt, interessiert beobachtet, dass das tatsächlich funktioniert (morgens Rivva lesen, kleinen Beitrag schreiben, der eins der Top-Themen aufgreift, die entsprechenden Blogs velinken, selber da auftauchen, deutlichen Anstieg der Zugriffszahlen beobachten und selber mehr verlinkt werden). Da die Themen, die hier eine Rolle spielen, zufällig auch die sind, die mich interessieren (Netzpolitik, Datenschutz, Überwachung, Technik&Gesellschaft), kostete mich das nicht enorm viel Überwindung. Nach einer Weile begann es mich aber zu langweilen. Wenn ein Thema schon geschrieben ist, ist eigentlich überflüssig, es nochmal aufzuwärmen. Sicher, meine LeserInnen lesen nicht zwingend die Blogs, die ich lese, und könnten sich dafür interessieren. Trotzdem macht es mehr Spass, selber neue Themen zu finden statt alte zu wiederkäuen. Und für das Verweisen auf kluge Texte anderer gibt es ja zum Glück mittlerweile Twitter.

Außerdem ist das enorm zeitintensiv und soviel Zeit habe ich einfach nicht (mehr). Wenn man davon leben kann, ist das eine andere Sache, aber das ist selten. Meine hochverehrte LeserInenschaft fängt schon an zu zetern, wenn ich Pixel der VG Wort einbaue - an Werbung ist nicht zu denken. Ich blogge also eher nur, was mich interessiert und habe dem Sinken des Sterns annalist gefasst ins Auge gesehen (was auch damit zu tun hat, dass dieses Blog durch die Beschreibung der Auswirkungen der Anti-Terror-Fahndung bekannt wurde und mit dem Abnehmen offensichtlicher polizeilicher Maßnahmen natürlich weniger gelesen wird). So ist die Welt. Irgendwie schade, aber auch in Ordnung.

Das ist meine persönliche Situation, die noch nichts darüber sagt, warum alle anderen Frauen(-Blogs) nicht vorkommen. Frauen haben weniger Zugang zu Technik - das ist so, seit mit Computern Geld zu verdienen ist. Damit ist schon die Ausgangssituation ungleich balanciert, weil ganz ohne Computer das Bloggen schwierig ist. Frauen haben weniger Zeit (Kinder, Haushalt, schlechtere Bezahlung) für unbezahlte Hobbies daheim allein am Schreibtisch. Frauen können schlechter allein sein (= bevorzugen Aktivitäten in Gesellschaft). Und werden eher übersehen - hier sind wir dann wieder bei dem Problem, das Erfolg mit Aufmerksamkeit anderer zu tun hat. Um den ganz traditionellen Feminismus aus der Tasche zu ziehen: wenn sich Frauen auffällig benehmen, wird das eher negativ wahrgenommen - wenn sich Männer auffällig benehmen, wird es anerkannt (allen, die jetzt zig Gegenbeispiele aus ihrem persönlichen Erleben anführen wollen, empfehle ich einen Gang in die nächste gesellschaftswissenschaftliche Bibliothek: ich habe mir das nicht ausgedacht). Ausnahmen dieser Regel entstehen vor allem dann, wenn sich Frauen überanpassen, also *sehr* girly, *sehr* schön, *sehr* "Oooooh, ich kann einfach nicht ohne diese neue Handtasche" sind.

In diesem Stereotyp angekommen, müssen sie dann allerdings mehrere Dissertationen mit Summa cum Laude abschließen, um wieder als denkendes Wesen wahrgenommen zu werden.

[Es gilt beständig, dass Ausnahmen die Regel bestätigen.]

Nicht zuletzt spielt sicher auch irgendeine Rolle, dass Feminismus total mausetot ist und in der Konsequenz sich die Situation von Frauen in Deutschland nicht direkt verbessert (wer jetzt zuckt: bitte hier entlang -> Statistisches Bundesamt, Suchbegriff Frauen).

Was nicht erklärt, warum die Blogosphäre deutlich frauenfreier ist als die reale Welt.

Oder geht es eher darum, was als Blogosphäre definiert wird? Vielleicht wäre alles anders, wenn die Mutti-Foren, Strickvorlagen und Kochrezepte-Blogs mitgezählt würden. Aber warum werden sie das nicht?

Ich bin weitgehend rat- und ahnungslos und an sachdienlichen Hinweisen sehr interessiert, inkl. Linktips. Auch dazu, wie das zu ändern wäre, oder ob eigentlich wünschenswert ist, dass sich das ändert.

Von Kommentaren, die die spezielle Benachteiligung von Männern in den unterschiedlichsten Lebenslagen beschreiben, bitte ich abzusehen. Die kenne ich alle schon. Und es ist ein völlig anderes Thema.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Anne Roth

Anne Roth schreibt ins Netz seit 1999 / beruflich Referentin für Netzpolitik der Linksfraktion im Bundestag / parteilos / Fokus: DigitaleGewalt

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