So stellt man sich in der CDU traditionell blühende Landschaften vor
Foto: Rupert OBerhäuser/Imago
Ein Huhn ist in die Tomaten entwischt. David Dresen fängt es vorsichtig wieder ein. Der 30-Jährige hat die Zucht von seinem Opa übernommen, hat sich eingearbeitet in artgerechte Haltung und alte Hühnerrassen: Bielefelder Kennhuhn, Le Bleu, New Hampshire.
Dresen ist nach dem Studium wieder auf den Hof seiner Familie im rheinländischen Kuckum gezogen. Als Aktivist in eigener Sache und fürs Klima. Denn Kuckum im Kreis Heinsberg ist eines der letzten fünf Dörfer, die Bagger zerstören sollen, damit der Braunkohletagebau Garzweiler sich weiter in die Landschaft fressen kann. Der Stadtteil von Erkelenz ist ein idyllisches Fleckchen: alte Backsteinhöfe und aufgeräumte Vorgärten, darin hier eine Pferdefigur, dort ein Rosenstrauch. Dazwische
Dazwischen stehen aber immer wieder Häuser leer, die Rollläden heruntergelassen. Um die 60 Prozent der Menschen sind bereits umgesiedelt nach „Kuckum (neu)“ oder dabei, zu gehen. Die Dresens aber kämpfen noch immer dafür, dass sie bleiben können.Hier in Nordrhein-Westfalen ist Klimapolitik vor allem auch Kohlepolitik. Verantwortlich dafür seit 2017 ist jener CDU-Ministerpräsident, der Deutschlands nächster Kanzler werden will: Armin Laschet. Das Beispiel Kuckum ist deshalb auch ein guter Gradmesser für dessen Klimapolitik.Vor seiner Runde zu den Hühnern sitzt Dresen in Leinenhose und Ringelshirt am großen Holztisch im Wintergarten und frühstückt. Er schaut auf Obstbäume und weite grüne Wiesen, seine Schwester dreht Runden auf Pony Luke. Dresens Familie wohnt hier mindestens seit dem 19. Jahrhundert.An diesem Holztisch saß 2018 auch Armin Laschet. Er hörte Dresens Oma zu, die ihm erklärte: lieber vorher sterben als umsiedeln. „Da hat er sich sehr betroffen gezeigt“, sagt Dresen. Taten aber folgten keine. Als 2020 das Kohleausstiegsgesetz kam, enthielt es eine Bestandsgarantie für den Tagebau Garzweiler in seinen ursprünglich beantragten Grenzen. „Da hat Laschet sich zusammen mit RWE stark für eingesetzt“, sagt Dresen. „Das hieß für uns: Jetzt haben wir verloren.“Kuckum soll für RWE weichenSpäter kam heraus, dass das Bundeswirtschaftsministerium ein selbst in Auftrag gegebenes Gutachten unter Verschluss gehalten hatte. Nach dessen Szenario hätten die Dörfer bleiben können. Auch weitere Studien, etwa vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, ergaben, dass die Umsiedlung energiepolitisch nicht notwendig sei. Und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung berechnete in diesem Jahr, wie viel Kohle in Garzweiler noch abgebaut werden dürfte, um die 1,5-Grad-Grenze nicht zu reißen. Fazit: deutlich weniger als geplant – und nicht so viel, dass Kuckum und die anderen Dörfer weichen müssten.Trotzdem ist das Schicksal der Dörfer unklar. In einer Leitentscheidung zur Braunkohle im März dieses Jahres legte die Landesregierung sich nicht fest: Nun soll 2026 geschaut werden, ob die Dörfer noch abgebaggert werden müssen. Was heißt: noch etwas Hoffnung. Aber auch: fünf weitere Jahre Hängepartie in Kuckum. „Das Leben hier geht nicht weiter“, sagt Dresen. „Das bleibt im Stillstand.“ Das schwammige „Weder-noch“ der Leitentscheidung nennt Dresen: den „Laschet-Style“.Tatsächlich sagt Laschet, er wolle das Klima schützen, klar, aber „praktikabel“ muss es sein und „sozial verträglich“ und NRW müsse Industrieland bleiben. Laschet will alles gleichzeitig, es allen recht machen. Ergebnis: eine miserable Bilanz beim Klimaschutz und beim Ausbau der erneuerbaren Energien.Zwar betont Laschet im Wahlkampf gern die angebliche Vorreiterrolle seines Landes. Doch einem genauen Blick hält die nicht stand. Der Kohleausstieg läuft zu langsam für die 1,5-Grad-Grenze. Bei vielen Kennzahlen, etwa der Photovoltaikleistung pro Kopf, dümpelt NRW bestenfalls im Mittelfeld herum. Beim Anteil der Erneuerbaren an der Stromerzeugung steht es mit 17,6 Prozent besonders schlecht da. Als FDP-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart kürzlich verkündete, bis 2030 sollten es 50 Prozent sein, fragten sich Fachleute, wie das gehen solle.Denn den allermeisten Strom erzeugt NRW nach wie vor aus Kohle. Zwar war das Land 2020 beim Windräderzubau Spitzenreiter. Allerdings schaffte es das mit viel weniger neuen Anlagen, als in den Jahren vor Laschets Regierungsantritt entstanden waren. Zudem dürfte NRW den ersten Platz keineswegs halten. Seine selbst gesetzten Ausbauziele bis 2030 wird es aller Voraussicht nach verfehlen. Ein Grund: Laschets Regierung hat kürzlich beschlossen, dass Windräder nun 1.000 Meter Abstand zu Wohnhäusern haben müssen – ein umstrittener Schritt, der den Ausbau erheblich bremsen dürfte. Zuvor hatte die Regierung es bereits erschwert, Windräder im Wald aufzustellen.Damit verärgerte Laschet viele Waldbesitzer, oft auch solche mit CDU-Parteibuch. Der Landwirt Heinrich-Wilhelm Tölle aus dem Kreis Lippe etwa würde gern gemeinsam mit anderen Waldbauern und einem Energieunternehmen 15 Windräder im Arnsberger Wald aufstellen. Oder eher dort, wo zwar offiziell noch Wald ist, aber keine Bäume mehr stehen, weil erst 2007 der Orkan Kyrill kam und dann die Dürre und der Borkenkäfer, gegen den trockene Bäume wehrlos sind. Mit den Regelungen der Vorgängerregierung wäre der Bau möglich gewesen. Schwarz-Gelb aber erlaubt Windkraft im Wald nur ausnahmsweise. Ob das Projekt die 2018 beantragte Genehmigung erhält, steht noch in den Sternen. „Ich erwarte von einem zukünftigen Bundeskanzler, der viel über die nötige Energiewende spricht und sich damit positiv positionieren will, eine klare Meinung“, sagt Tölle. „Gerade im Windkraftbereich fühle ich mich in dieser Partei überhaupt nicht mehr zu Hause.“Ähnlich sehen sie es in Bad Laasphe im Kreis Siegen-Wittgenstein. Nach Kyrill baute die Wittgenstein New Energy (WNE) hier den ersten Windpark im Wald in NRW. 2013 gingen sechs Windräder ans Netz, mittlerweile sind es elf, fünf weitere im Bau. 16 Windräder, das sind rund 54 Megawatt Nennleistung. Ohne den neuen 1.000-Meter-Abstand hätten noch 80 Megawatt hinzukommen sollen – diese Projekte liegen nun erst einmal auf Eis. Cliff Reppel, Architekt bei WNE, ist davon schwer genervt. „Das wäre für die Energiewende super und dringend notwendig gewesen“, sagt er. „Und sonst stellen wir die Dinger ja auch nicht in den Garten.“ Mit weniger als 700 Meter Abstand plane man nie.Schon ohne die neuen Regelungen sei es aufwendig genug gewesen, einen Windpark zu errichten: geeignete Flächen finden, Dutzende Ringordner voller Antragsunterlagen ausfüllen, lange Genehmigungsverfahren abwarten, Gutachten einholen, sich mit Klagen herumschlagen. All das dauert mehrere Jahre.Der Weg zu den WNE-Windrädern am Rand des Rothaargebirges führt durch weitläufige Wälder. Sattes Grün ringsum, mal springt ein Rehkitz vorbei, mal ein Eichhörnchen. Dazwischen verschiedene Stadien der Verwüstung: Fichten, die erste braune Flecken haben, schon nicht mehr zu retten. Dann tote Fichten, oft Hunderte Meter am Stück. Braune Mondlandschaften mit Baumstümpfen, daneben am Wegesrand gefällte, gestapelte Stämme: Holz, das kaum etwas einbringt. Die gleichen Landschaften eine Weile später, überwachsen mit Ginster und Brombeere.Etwa 80 Prozent des Fichtenbestandes, schätzt Reppel, hat der Borkenkäfer im Griff.Auf solchen Flächen haben selbst viele Naturschützer nichts gegen Windräder. „Das sind Holzäcker in der freien Landschaft, die mit Waldökosystemen nichts zu tun haben. Dort sollte es nicht tabu sein, dass man Windkraftanlagen baut“, sagt Dirk Jansen, Geschäftsleiter Umwelt- und Naturschutzpolitik des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) NRW. Er spricht gar von einer „Win-win-win-Situation“: Die Windräder brächten auf solchen Flächen gute Erträge, die Betroffenen hätten 20 Jahre lang Einkünfte – und der Wald könnte in dieser Zeit in Ruhe wieder wachsen.So planen sie auch in Bad Laasphe. Windräder zu bauen kostet viel Zeit und Geld, aber es lohnt sich. Das neuste Rad von WNE steht seit März. Es versorgt das gesamte Dorf Banfe, Cliff Reppels Heimatort, mit Strom. Reppel ist darauf stolz. Der 36-Jährige steht in Jeans und Fleecejacke im Inneren eines Windrads und kontrolliert über eine Anzeige Kennwerte, die das Windrad sekündlich an seinen Betreiber sendet: aktuelle Leistung 824 Kilowatt, Windgeschwindigkeit 6,7 Meter pro Sekunde, Neigungswinkel der Rotorblätter -1,7 Grad. Kurz darauf sind es schon 1.600 Kilowatt. Das Rad richtet sich selbstständig nach dem Wind aus.Über 16 Stufen einer metallenen Außentreppe steigt Reppel aus dem Windrad hinab. Auf der geschotterten Fläche ringsherum wachsen schon wieder erste winzig kleine Fichten. Ein Stück weiter sucht ein Bussard eine Kahlfläche nach Mäusen ab. Solche Kahlflächen gebe es hier noch jede Menge. „Es könnten viel mehr Windräder im Bau sein“, sagt Reppel. „Wenn nicht mit Windkraft, wie wollen wir es denn dann schaffen? Es ist nicht fünf vor zwölf, es ist fünf nach zwölf.“Nun kann man Laschet zugutehalten, dass er ein Bundesland führt, das historisch eng mit der Kohle verbunden ist. Das viel Industrie hat und gleichzeitig, dicht besiedelt, wie es ist, nicht die besten Voraussetzungen für Windkraft bietet. „Man kann es aber auch umdrehen und sagen, NRW sollte ein besonderes Interesse haben, den Ausbau der Erneuerbaren voranzutreiben“, sagt Thilo Schaefer, Leiter des Kompetenzfelds Umwelt, Energie, Infrastruktur beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln. Dass sich ein solches Land also besonders anstrengen sollte, um die unvermeidbare Wende weg von der Kohle zu schaffen. Gerade für seine Industrie, die dafür viel grünen Strom braucht.Verantwortung abgebenIn verwandten Bereichen hat sich durchaus etwas getan. Laschets Regierung hat die Digitalisierung vorangetrieben. Beim Umbau der energieintensiven Industrie kooperiert sie seit drei Jahren mit Forschungseinrichtungen und Industrieunternehmen. „Das sorgt tatsächlich für Impulse für einen schnelleren Umbau der Industriestrukturen“, sagt Manfred Fischedick, wissenschaftlicher Geschäftsführer des beteiligten Wuppertal Instituts. Bei der Solarenergie gibt es ein neues Förderprogramm. Hier steht Schwarz-Gelb insgesamt zumindest nicht schlechter da als die Vorgängerregierung. Laschets Lavieren bei Kohle und Wind aber torpediert Klima- und Ausbauziele.Was hieße es für die grüne Transformation, wenn Laschet Kanzler würde? Vieles würde wohl vom Koalitionspartner abhängen. „Herrn Laschet ist die Energiepolitik in der Sache völlig egal“, sagt Reiner Priggen, der lange für die Grünen im Landtag saß und nun dem Landesverband Erneuerbare Energien in NRW vorsteht. „Er hat das Thema an Minister Pinkwart abgegeben und damit auch die Verantwortung. Er würde es auch an die Grünen abgeben.“ Auch für Dirk Jansen vom BUND steckt hinter dem, was er Laschets „Amoklauf gegen die Windenergie“ nennt, die FDP.Allerdings sagte Laschet im vorigen Jahr in einem Interview mit der Wirtschaftswoche: „Wir regieren NRW so, wie ich es mir auch für den Bund vorstellen würde.“ Nimmt man ihm das ab, dann wird er sich auch in Zukunft davor drücken, auf dem Weg zu einer klimafreundlicheren Wirtschaft konsequent zu sein. So wie in Kuckum und im Wittgensteiner Wald. Nur dieses Mal im Bundeskanzleramt.Placeholder infobox-1
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