Wie ich einmal gentrifiziert wurde

Gentrifizierung Was passiert wenn der Verwertungsdruck von Wohnungen steigt? Die Subkultur geht und mit ihr zahlreiche Bewohner

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Ja, auch ich habe einmal im Prenzlauer Berg gewohnt. Mein Freund hatte kurz nach der Wende eine schöne Dachgeschoss-Wohnung entdeckt und kurzerhand besetzt. Mit der Wohnungsbaugesellschaft kam ein regulärer Mietvertrag zustande und das Mietersanierungsprogramm finanziert die Baumassnahmen. Dielen verlegen, Heizung und Fenster einbauen - damals schien alles ganz einfach möglich zu sein.

So vergingen die Jahre und der Bezirk wandelte sich. Oft sah man eine Robbe (kostengünstiger Planenwagen von Robben & Wientjes für Umzüge) vor einem Haus stehen und die zumeist jungen Bewohner ein flohmarkttaugliches Sammelsurium an Möbeln verladen. Das waren die Auszüge. Die neuen Mieter kamen mit riesen Sattelschleppern auf denen die Namen renommierter Umzugsunternehmen prangten. Die edlen Möbel wurden mit äußerster Sorgfalt auf den abgeschliffenen Dielen der inzwischen luxussanierten Altbauwohnungen platziert.

Aber uns ging es gut. Wir hatten eine traumhafte 120 qm Dachgeschosswohnung, mit Blick über die ganze Stadt und zahlten eine lächerliche Miete. Dass wir nicht so viel für das Wohnen ausgeben mussten, ermöglichte uns einige Freiheiten. Wir konnten den Lohnerwerb reduzieren, mehr Zeit mit den Kindern verbringen, kreative Umsonst-Projekte umsetzen, reisen und leben.

Das änderte sich bald, denn dem neuen Hausbesitzer waren wir in all dem Wandel ein Dorn im Auge. Erst kamen die Abmahnungen. Ob Pflanze auf dem Fensterbrett, oder Firmenname am Briefkasten, die Post vom Anwalt wurde Alltag. Dann Räumungsklage voller absurder Anschuldigungen. Vor Gericht zeigte sich dann schnell, dass es um Mieterrechte nicht allzu üppig bestellt ist. Und genau die unbürokratische Zeit nach der Wende mit ihrem Mietermodernisierungsprogramm wurde uns zum Verhängnis. Die Wohnungsgenossenschaft gab es so nicht mehr. Unterlagen? Fehlanzeige. Wie sollten wir beweisen, wer jetzt genau was auf welche Anweisung eingebaut hatte? Am Ende waren wir froh um einen schlechten Vergleich, packten unsere Sachen und zogen wie so viele an den Stadtrand.

Ich kann es dem Vermieter auch gar nicht übelnehmen, wir hockten da in einer Goldgrube. Und sicherlich kassiert er inzwischen das dreifache als Miete. Und wer ist überhaupt schuld an der Gentrifizierung? Die Verdrängung ist ein altes Geschäft und es gibt sie seit Jahrhunderten. Das, was im Prenzlauer Berg passiert, geschieht zur selben Zeit in vielen Städten der Welt. Der Mensch ist an sich ein Nomade, Leben ist Wandel und die wenigsten Dinge bleiben auf immer so wie sie sind, denn das wäre auch furchtbar langweilig.

Was aber nicht zu entschuldigen ist, ist die Tatsache, dass kaum eine Form der Regulierung stattfindet. Die Stadt hat ein Image von sich aufgebaut, dem sie selber schon lange nicht mehr entspricht. Wer immer noch behauptet, dass Berlin “arm aber sexy ist”, war noch nie im LPG-Biosupermarkt in der Kollwitzstrasse. Und die wilde Kreativität der Neunziger Jahre ist schon vor geraumer Zeit im Bionade-Biedermeier untergegangen. Warum werden den wenigen soziokulturellen Projekten, die es noch gibt, die Förderung zusammengestrichen? Warum gibt es nicht mehr Wohnungen mit sozialverträglichen Mieten? Warum werden auch noch die letzten alternativen Wohnprojekte geräumt? Warum wird es geduldet, dass solvente Luxuseigentumswohnungsbesitzer alteingesessene Clubs wegklagen? Das Nachtleben im Prenzlauer Berg ist inzwischen durchaus mit meiner mecklenburgischen Heimatstadt vergleichbar.

In einem gewinnorientierten neoliberalem Umfeld braucht Vielfalt Artenschutz. So langsam sickert diese Erkenntnis auch in politischen Kreisen durch. Das Bezirksamt Pankow hat sogenannte Milieuschutzgebiete eingerichtet. Dort sind Luxussanierungen, der Einbau von Kaminen, das Zusammenlegen von Wohnungen und die Schaffung von Ferienwohnungen verboten. Der Bezirk möchte zusätzlich stärker von seinem Vorkaufsrecht beim Häuserkauf Gebrauch machen. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Hoffentlich kommt er nicht zu spät.

Uns jedenfalls hat die Gentrifizierung Fliederduft und Nachtigallengesang beschert. Ich kann nicht klagen.

Weitere Informationen
http://www.immomanie.de/information-zum-milieuschutz-in-berlin/
http://gentrificationblog.wordpress.com/

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