Beckenrand

Linksbündig Olympische Misserfolge haben auch ihr Gutes

Ende der siebziger Jahre war ich in Magdeburg Kampfrichterin im Schwimmen. Für sechs Mark stand ich jeden zweiten Sonntagmorgen am Beckenrand und stoppte die Zeit. Wir jungen Kampfrichter wurden vorwiegend für die Wettkämpfe des Bezirksnachwuchses eingesetzt. In Erinnerung geblieben sind mir die kleinen quirligen Mädchen, nicht älter als zehn, die ehrgeizig und hochmotiviert waren. Die meisten wollten auch so einen schönen Badeanzug wie Kornelia Ender, die Eltern dagegen hofften, dass ihre Kinder durch den Sport in Länder kamen, für die sie kein Visum bekamen. Nur wenige schafften es in den Olympiakader. Sechs Jahre später waren sie Kampfmaschinen und hatten Körper, die immer dann in Form waren, wenn ein Wettkampf anberaumt war. Dass da mit leistungsstimulierenden Mitteln nachgeholfen wurde, war damals schon ein offenes Geheimnis. Wer einmal auch nur eine der aus dem System ausgesiebten Schwimmerinnen mit ihren verunstalteten Körpern gesehen hat, konnte die eigene Leidenschaft für das Sportgucken nur noch für eine subtile Form von Perversion halten. Leider vergaß man es allzu schnell wieder. Als funktionierende Kampfmaschine konnte man locker Vorläufe, Halbfinale und Finale an einem Tag absolvieren und trotzdem bei jedem Endlauf als erste anschlagen. Davon ist in der deutschen Schwimmolympiamannschaft nichts geblieben, und den Leichtathleten geht es nicht viel besser. Im Grunde genommen ist das ist ein großer Fortschritt, denn man kann sich relativ sicher sein, dass sie nicht gedopt sind.

Aber eine Mannschaft, die nicht gewinnt, deren Medaillen aber schon herbeigeschrieben sind, hat schlechte Karten in den Medien. Jede kleine Formschwäche, jedes Scheitern nimmt ihnen die Nation (oder das, was sich dafür hält) übel. Das Ziel war vorher festgelegt: soviel Gold wie möglich und den der dritten Platz in der Länderwertung holen, als ginge man mal kurz ins Einkaufszentrum. Bild - der öffentliche Pranger - hat nach dem Scheitern der ersten Medaillenhoffnungen die Gehaltslisten der Sportler veröffentlicht. Wir leben schließlich in einer Neidgesellschaft. Sicher hatten Sportler wie Franziska van Almsick im Vorfeld den Mund zu voll genommen, aber die Selbstdarstellung ist längst Teil des Geschäfts, vor allem in den fernsehtauglichen Sportarten. Franziska von Almsick hat die Sponsoren bedient wie keine andere, schon als sie noch nicht einmal geschäftsfähig war. Gelernt hatte sie die Grundlagen des Schwimmsports noch im DDR-System, sie war unbelastet, sah nett aus. Sie wurde zum nationalen Lustobjekt, wie es vorher schon Katharina Witt gewesen war. Unsere Kathi und unsere Franzi - das besitzanzeigende Fürwort plus Diminutiv sagt schon alles. Franziska van Almsick ist unter den Augen schmieriger Journalisten, die sich für die Öffentlichkeit ausgaben, erwachsen geworden. Nach ihrem Einbruch vor vier Jahren in Sydney, wo sie wie keine zweite heruntergeschrieben wurde, hat sie sich selbst wieder aus dem Wasser gezogen. Erst dieses Scheitern und Wiederaufstehen hat sie zu einer großen Sportlerin gemacht. In Athen hing Franziska van Almsick die Fernsehnation am Fuß wie eine Stahlkugel. "Hoffentlich ist die ganze Scheiße bald vorbei", hat sie gesagt, als ihr Rennen über 200 Meter - medaillenlos - gelaufen war. Dieser Satz kam aus der fernsehabgewandten Seite Franziska van Almsicks.

Dass das Abschneiden der deutschen Sportler in Athen eine Metapher für die große Krise in Deutschland sein soll, ist Quatsch. Man sollte nicht vergessen: 1988 hat die DDR 37 Goldmedaillen gewonnen, zwei Jahre später existierte sie nicht mehr. Es gibt also nicht unbedingt einen Zusammenhang zwischen den Erfolgen in Sport und Politik.

Nervten früher die Eltern am Beckenrand, die mitunter ihre Kinder in der Halle vor allen anschrieen oder ihnen Ohrfeigen gaben, so ist dieser Part heute den Journalisten von ARD und ZDF vorbehalten. Wer von den Schwimmerinnen das Pech hatte, an einem Tag zu starten, wo das ZDF übertrug, hätte gut daran getan, gleich bis zu Hause durchzutauchen, denn am Beckenrand wartete die Inquisition in Form der völlig distanz- und respektlosen, schlecht vorbereiteten und mitunter sadistisch wirkenden Sportreporterin Christa Haas, sekundiert vom Schwimmer Stev Theloke, der sich nicht für die Wettkämpfe qualifiziert hatte, aber über jeden Schwimmer etwas zu berichten wusste. Was ihn für die Arbeit vor der Kamera qualifizierte, war bis zum Rückzug des Duos nicht zu erfahren. "Warum guckt Ihr so missmutig, während die Amerikanerinnen immer strahlen", fragte der Reporter Reinhold Beckmann eine der Schwimmerinnen. Er hätte sich die Frage auch gleich selbst beantworten können.


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