Berlin-Warszawa-Express

Berliner Abende Berlin ist durch eine Nabelschnur mit der polnischen Hauptstadt verbunden, die Berlin-Warszawa-Express heißt und sechsmal am Tag verkehrt, jeweils ...

Berlin ist durch eine Nabelschnur mit der polnischen Hauptstadt verbunden, die Berlin-Warszawa-Express heißt und sechsmal am Tag verkehrt, jeweils dreimal in eine Richtung. Der Zufall hatte mich nach Warschau verschlagen und so musste ich öfter zwischen Warschau und Berlin pendeln. Was hatte man mir für schreckliche Dinge über diesen Zug erzählt. Hier würden Einzelreisende in leeren Abteilen mit Äther betäubt und ausgeraubt. Der Baedecker empfahl, angesichts des geringen Fahrpreises in Polen immer First Class zu reisen. Beim ersten Mal war ich der Empfehlung gefolgt und von den Passagieren der 1. Klasse sofort als zu schlecht gekleideter Fremdkörper identifiziert worden. Das Tragen eines engen Reisekostüms setzt allerdings voraus, dass man von einem Chauffeur am Bahnhof abgeholt wird, was in meinem knappen Budget nicht vorgesehen war. Ich langweilte mich in der 1. Klasse. Mit einem solchen Ticket erkauft man sich nichts als Ruhe und ein wenig mehr Platz für die Beine. Nicht einer derer, die mich gewarnt hatten, war mit diesem Zug gefahren, jedenfalls nicht in den letzten zehn Jahren.

Ich kaufte fortan ein Ticket für den Großraumwagen 2. Klasse, was an sich schon eine eigene Geschichte ist.

Bei meiner letzten Reise setzten sich irgendwo zwischen Kutno und Poznan vier junge Polen in den Großraumwagen. Sie machten es sich bequem, holten Kartenspiel und Bier heraus und waren offensichtlich guter Dinge - bis kurz vor der deutschen Grenze der Bundesgrenzschutz kam - in Gestalt eines Männchens, dem die Mütze zu groß war und dessen Kartentasche in der Nähe der Kniekehlen schlenkerte. Mit schneidender Stimme, die einen leichten Berliner Dialekt nicht verhehlen konnte, schrie es. »Ausweise bitte« und in Richtung derer, die keinen grünen oder weinroten Pass hatten, schnarrte es in schärferem Ton: »Passport«. Das war, so ließ sich im nun folgenden Schlagabtausch feststellen, neben »Polizia« das einzige Fremdwort, das er zu seinem Wortschatz zählte.

Die Männer gaben dem Männchen ihre Pässe. Es öffnete einen nach dem anderen und sagte jedes Mal triumphierend: »Aha.« oder »Wusste ich´s doch.« Inzwischen schlenderte der Zoll in Gestalt einer jungen, relativ freundlichen Frau und eines Mannes, der etwas ungelenk wirkte, durch den Mittelgang des Großraumwagens. Sie stellten sich neben das Männchen und schrieen: »Bagage wo, Bagage wo?«, wie es Leute zu tun pflegen, die denken, man würde ihrem Kauderwelsch folgen können, wenn sie nur laut genug sprächen. Die vier Männer, für die solches Gebaren offensichtlich normal zu sein schien, zeigten ruhig auf ihr Gepäck im Regal an der Tür zum Nachbarwagen, das die Zollbeamten dann aber doch nicht sehen wollten, denn das Männchen sagte mit schwer unterdrückbarem Triumph in der Stimme: »Die haben einen Stempel im Pass«, - er hielt den Zollbeamten einen der Ausweise unter die Nase, »den haben sie bei der Ausreise aus Italien gekriegt, da haben sie irgendwas angestellt. Na ja, kennt man ja.« Dann streckte er sich, trat vor den ersten und schrie: »Du nicht einreisen, du nix Frankfurt/Oder.« Ich hörte zum ersten Mal, dass es eine unmissverständliche Stempelsprache zwischen EU- Grenzbeamten gab.

Das Männchen holte ein Handy aus der Kartentasche und brüllte die Personalien hinein, dass auch der letzte im Wagen erfuhr, wann die Jungs vor mir geboren waren. Er lächelte, als er die Antwort bekam. Die Zollbeamten hatten indessen herausbekommen, dass die vier Männer nur nach Frankfurt/ Oder mussten, um sich 600 Euro abzuholen, die ihnen der Auftraggeber in Italien schuldig geblieben war. In Frankfurt wartete ein Pole mit deutschem Pass auf sie. »Einreise wird nur gestattet aus humanitären Gründen und die liegen hier nicht vor«, sagte das Männchen, als die Zollbeamte in einem Anflug von Mitleid meinte »Aber es könnte doch wenigstens einer von denen das Geld holen.« Der Zug stand im Grenzort Kunowice. Die Zöllnerin bot einem der vier ihr Handy an, aber sie hatten keine Nummer. »Wenn dit ma keene Absicht ist von dem Typen«, sagte sie und gab auf. »Du Frankfurt/Oder gleich Polizia, nix Einreise, nix Deutschland«, schrie das Männchen wieder und sagte dann leiser zu seinem stummen Kollegen gewandt, der seit einiger Zeit neben ihm stand: »Am besten wäre, wenn wir die hier gleich rausschmeißen, dann brauchen wir nicht soviel schreiben auf der Wache«, aber ehe er den Polen erklärt hatte, dass es besser sei, nicht mit ihm weiterzufahren, was sie auch sogleich begriffen, fuhr der Zug wieder an. »Was heißt Bahnhof auf Polnisch«, fragte die Zöllnerin und ich fragte mich inzwischen, warum es nicht Polnisch-Pflichtkurse für Grenzbeamte gibt, dann reiche ich ihr mein Wörterbuch.

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