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Wohnungsnot Der Mietendeckel ist gekippt, Vermieter jubeln – nun braucht es eine politische Antwort von links
Ausgabe 16/2021

Am Abend des 15. April, als das Bundesverfassungsgericht den Berliner Mietendeckel für nichtig erklärt hatte, gingen drei Abgeordnete der Berliner FDP sehr breitbeinig die Treppe des Abgeordnetenhauses herunter. Triumphierend verkündeten sie den Kameras ihren k.-o.-Sieg. Ihre Fans hatten in den sozialen Netzwerken schon seit Stunden ihre Schadenfreude ausgebreitet: Wer sich Berlin nun nicht mehr leisten könne, müsse eben ins Umland ziehen. Niemand sei daran gehindert worden, einen anderen Beruf zu ergreifen oder sich ordentlich zu verheiraten.

Wahrscheinlich hat, während sie das ins Smartphone tippten, der Paketbote geklingelt oder die Reinigungskraft mit dem Staubsauger gelärmt. Eine eindrucksvolle Zurschaustellung des Klassenkampfs von oben, getoppt nur noch von der Berliner CDU. Die gab in Gestalt ihres Vorsitzenden Kai Wegener zu Protokoll: Das vorhersehbare Versagen des Senats dürfe nicht zu Lasten derer gehen, „die auf das falsche Versprechen vertraut haben“. Er regte einen Soforthilfefonds an, um Härtefälle abzufedern. Niemand dürfe seine Wohnung verlieren. Eigentlich wollte er sagen, dass die, die Wohnungen vermieten, auf keinen müden Cent verzichten sollten, denn zur Not gibt es ja das Steuergeld.

In Berlin werden die zum Filz neigenden Verflechtungen von Politik und wirtschaftlichen Interessen seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten, gerne an der Wohnungspolitik deutlich – hier herrscht eigentlich immer Wohnungsnot. Nur wurde die Verfilzung nicht immer so offen praktiziert wie im vergangenen Jahr, als der Bauunternehmer Christoph Gröner 800.000 Euro an die Berliner CDU spendete. Das hat sich ausgezahlt. Nach dem Urteil waren Wohnungen, die monatelang leergestanden hatten, sofort wieder auf dem Markt, schlecht saniert, zu Mondpreisen. Die ersten Nachzahlungsforderungen liegen schon in den Briefkästen von Menschen, die vielleicht wegen Corona nichts zurücklegen konnten. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht gar nicht in der Sache geurteilt, sondern nur über die Berechtigung des Landes, einen Mietendeckel zu erlassen. Es befand, dass für privates Mietvertragsrecht der Bund zuständig sei und das Land dieser individuellen Freiheit Privater keine Grenze setzen kann. Staatliche Grenzen seien Sache des Bundes, und der hat ja schon die Mietpreisbremse beschlossen – die so viele Ausnahmen macht, dass sie nahezu wirkungslos ist. Es bräuchte also eine andere Bundesregierung, die einen Mietendeckel für Ballungsräume beschließt.

Dabei war der Mietendeckel nur eine temporäre Notbremse. Die Stadt droht sozial auseinanderzufallen, der erhitzte Mietmarkt treibt über kurz oder lang viele in den Ruin. Nicht wenige wenden schon jetzt mehr als die Hälfte ihres Einkommens für die Miete auf – und bei der Wohnungssuche entscheiden oft Nachnamen, Hautfarbe, Aufenthaltsstatus und der Familienstand darüber, wer eine bezahlbare Wohnung bekommt. Die Rechtsanwältin Christina Klemm hat auf Twitter darauf aufmerksam gemacht, dass Frauen nach einem Aufenthalt in einem Frauenhaus immer öfter zu ihrem Peiniger zurückkehren, weil sie keine Wohnung für sich und die Kinder finden. Die Stadt hat schlicht keine Wohnungsreserven mehr, nicht zuletzt wegen des größten politischen Fehlers, den sich zwei der Berliner Regierungsparteien – SPD und Linke – vor 20 Jahren geleistet haben: der Verkauf der Hälfte des landeseigenen Wohnungsbestandes an börsennotierte Wohnungsunternehmen, die allein dem Aktienwert verpflichtet sind. Da ist es egal, ob man mit Schweinehälften, Waffen oder Wohnungen Geschäfte macht, solange die Dividende stimmt. Und die stimmte ja auch vor dem 15. April, trotz des Mietendeckels.

Wer aber als Normalmensch in Berlin zur Miete wohnt, kann vorerst nur eines tun: das Volksbegehren zur Deutschen Wohnen unterstützen, das nicht mehr und nicht weniger fordert, als die einst unter Finanzsenator Thilo Sarrazin quasi verschenkten und privatisierten Wohnungsbestände wieder zu vergesellschaften und die Mietpreisspirale wenigstens zu verlangsamen.

Annett Gröschner, Schriftstellerin, ist seit Durchgangszimmer Prenzlauer Berg eine Art Stadtschreiberin des Berliner Ortsteils, der das Mietproblem exemplarisch zeigt

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