Die Ameisen haben es gewusst

TorTour Ein Sammelband mit CDs wühlt noch einmal in der Magnetbandkultur im Souterrain der DDR

Folgt ein Widerstand dem Ohmschen Gesetz, bestehen Zusammenhänge zwischen Spannung, Stromstärke und elektrischer Leistung. Ein Buch, das Spannung. Leistung. Widerstand heißt, könnte also leicht für ein Lehrbuch der Elektrotechnik gehalten werden. In Wirklichkeit läßt das von Alex Pehlemann und Roland Galenza herausgegebene Werk die unabhängige Tapekultur der ehemaligen DDR wiederauferstehen.

Zwei inliegende CDs, kompiliert von Bernd Jestram, Bo Kondren, Ronald Lippok und Bert Papenfuß, präsentieren aus Hunderten alter Kassettenaufnahmen ausgewählte Stücke des musikalischen Untergrunds. Mit Punk in der DDR hatte sich Roland Galenza - neben Alex Pehlemann von "Zonic" Herausgeber von Spannung. Leistung. Widerstand - in seinen letzten, mit Heinz Havemeister herausgegebenen Büchern Wir wollen immer artig sein. Punk, New Wave, Underground und Hip Hop in der DDR (1999) und Mix mir einen Drink (2002) über die Band "Feeling" B beschäftigt. In Spannung. Leistung. Widerstand geht es nun um die Schnittstelle von Undergroundliteratur, Bildender Kunst und Postpunk, vereinigt auf einer Magnettonbandkassette.

In dieser Form war das nur in den achtziger Jahren möglich. Zwar sollte aus der Verbindung von Elektrifizierung und Sowjetmacht Kommunismus werden, aber man schlug sich dann neben allen anderen Übeln in der östlichen Hemisphäre jahrzehntelang mit Stromsperren herum. Im Ostberlin der achtziger Jahre gab es sie allerdings nur noch selten, wenn nicht in den maroden Treppenhäusern einer die Hauptsicherung herausschraubte oder der Gasableser, wenn er nicht nebenbei selbst Künstler war, nach unzähligen Mahnungen den Saft abklemmte. Es ging im Untergrund auch nicht mehr um Revolution, "eher um eine Problematisierung der Machtverhältnisse an einzelnen kleinen Stellen. Mobile Klangkorps als Einzeller", wie Roland Galenza in seinem Buchbeitrag schreibt. Man muss sich das Porträt des jungen Musikers in jedem Fall mit einem Lötkolben vorstellen. Auch der technikbegeisterte Postpunk bezog seine Bastelanleitungen aus Zeitschriften wie Funkamateur, Jugend und Technik und Armeerundschau, denn in den Laden zu gehen und Studioequipment oder Synthesizer zu kaufen, war unmöglich.

In der Ankündigung des Buches heißt es: "In zahlreichen Texten und Interviews kommen die Akteure einer Wohnzimmer-Avantgarde zu Wort, die junge Punks, bildende Künstler und Lyriker vom Prenzlauer Berg umfaßte." Wer warum auch immer den Begriff Wohnzimmer-Avantgarde in dem Zusammenhang ausgewählt hat, er ist ungenau, denn etwas Gemütliches darf man sich ganz und gar nicht darunter vorstellen. In dem meist einzigen Zimmer der Wohnungen wurde alles gemacht, nur nicht gewohnt - oder wie Robert Lippok über die Wohnung eines Bandmitglieds sagt: "Der Boden war gleichmäßig übersät mit irgendwelchen Projekten. Ob das Hosen waren, die genäht werden sollten, oder Fahrradteile."

Den elektronisch geprägten Stücken hört man den Aufwand, der betrieben wurde, um überhaupt Töne zu erzeugen, nicht in jedem Falle an, dennoch haben die "Kompilatoren" zwei CDs gezaubert, die technisch erstaunlich gut und auch mehr als einmal hörbar sind. Manche Titel waren lediglich mit Kassettenrecorder festgehaltene Kontrollaufnahmen, um bei der nächsten Probe zu hören, was man in der letzten gemacht hatte.

Abgeschirmt von der westlichen Welt und ihren kulturellen Strömungen war die Szene nicht. Man hörte auch in Ostberlin John Peel und schnitt mit. Doch wurden die Vorbilder nicht 1:1 nachgespielt. Statt "Velvet Underground" entstand dann eine Art von Scratch Underground, ohne dass das Scratchen schon erfunden war. Statt Vinyl aufzulegen, schlugen sich die DJs mit Bandsalat herum.

Die stilistische Bandbreite ist enorm, sie geht von gehobenem Punk, intellektueller New Wave bis zu elektronischen Experimenten und Dub. Das könnte ein schöner Gemischtwarenladen sein, aber irgendwie geht es dann doch zusammen. Interessant ist die Auswahl der Stücke, die oft von den B-Seiten stammen. Die A-Seiten-Hits von damals funktionieren in den Ohren von heute nicht mehr, der Zusammenhang ist perdu. Die Herausgeber hatten mit der Musikauswahl auch kein Zeitdokument im Sinn, sondern wichtig war, "dass es einen Flow hat, dass es als ganze Compilation funktioniert." (Ronald Lippok). Das ist gelungen.

Wichtig ist in dem Zusammenhang die Bemerkung, dass eine Chromkassette damals genauso viel kostete wie eine Einzimmerhinterhofwohnung mit Außentoilette, nämlich 30 Ostmark. Da wurden schon mal die alten Mireille-Mathieu-Kassetten überspielt. Bedingt durch die Enge des Systems und den Unwillen sich anzupassen, um irgendwann einen Plattenvertrag bei AMIGA zu bekommen, entstanden die Kassetten als schnelle Form der Kommunikation, in der Nacht eingespielt, am Morgen verbreitet, "schneller als die Stasi spitzeln konnte". " Es war eine beliebte Freizeitbeschäftigung, Bekannte zu besuchen und die mit unseren Kassetten zu quälen", erzählt Flake, der in "Feeling B", in der "Magdalene Keibel Combo", bei "Happy Straps", "Parts for Millions", "Frigitte Hodenhorst Mundschenk", "Die Firma", "die anderen" oder "Die Drei von der Tankstelle" mitspielte, bevor er die ganze Welt als Mitglied von "Rammstein" beglückte. Einen ökonomischen Zweck gab es damals nicht, genauso wenig wie ein Produktbewusstsein. Man brauchte die bunte Hülle nicht, es ging um den kreativen Existenzbeweis. "An Geld hat eigentlich niemand gedacht. Es ging wenig um Verkauf, es ging darum, seine Ideen zu verbreiten, öffentlich zu machen und von den Leuten ein Feedback zu kriegen", erzählt Frank Bretschneider von "AG.Geige", die als eine der wenigen Bands außerhalb der DDR-Hauptstadt agierte und später auch offiziell bekannt wurde.

Auf Namen lässt sich die Auswahl nicht festlegen, denn die wechselten schon alleine wegen der häufigen Auftrittsverbote. Oft wurde das Tun einfach Performance genannt, schon um die staatliche Einstufungsprozedur als Band zu umgehen. Als "Herbst" in Peking Auftrittsverbot hatte, traten sie als "Die Firma" auf, während die Mitglieder von "Die Firma" ihr Auftrittsverbot als "Herbst" in Peking auslebten. Die Namen haben schon wegen ihrer Originalität überlebt, auch wenn manchmal selbst die Mitglieder nicht wissen, was sich, außer kein Konzept gehabt zu haben, dahinter verbarg: "Demokratischer Konsum", "Rosa Extra" (benannt nach einer äußerst unkomfortablen Damenbinde), "Magdalene Keibel Combo" (zusammengesetzt aus den beiden Straßennamen, an denen sich die Hauptsitze der DDR-Sicherheitsorgane befanden), Zwitschermaschine, "Ornament Verbrechen", "teurer denn je" oder "Klick Aus". Einige der Bands haben sich offiziell nie aufgelöst, weil es sie offiziell nie gab.

Buch und CD sind nicht nostalgisch, aber auch nicht gegenwärtig, denn, so betonen die meisten der Protagonisten: die Zeiten haben sich geändert und gemütlich war´s damals auch nicht, denn "die Ameisen waren überall", auch aus den eigenen Reihen wurde an die Staatsorgane verraten. Das Buch befragt die einen wie die anderen, auch "Zwitschermaschine" Anderson kommt zu Wort.

Formal ist das Buch nicht so konsequent wie Jürgen Teipels Verschwende Deine Jugend, der die New Wave Szene der Bundesrepublik als einen Chor aus vielen verschiedenen Stimmen kompilierte und dafür eine Bastardform zwischen Sachbuch und Belletristik erfand. In Spannung. Leistung .Widerstand folgen die Interviews schön ordentlich im Frage-und-Antwort-Spiel hintereinander, sieht man von einem Papenfußschen Traktatgedicht über die Gebrüder Lippok oder einer gelegentlich zur Ich-Erzählung verdichteten Interviewform ab.

Ein wichtiges Interview fehlt im Buch, es wurde nicht rechtzeitig fertig und in Heft 5 der von Bert Papenfuß herausgegebenen Zeitschrift TorTour nachgereicht. Mit dem Gespräch zwischen Bert Papenfuß, Cornelia Schleime und Ralf Kerbach wird das Buch erst vollständig. Es ist also empfohlen, TorTour 5 dazuzuerwerben, die Zeitschrift ist allerdings mangels Vertrieb ebenso schlecht zu bekommen wie seinerzeit eine Kassette von "Ornament Verbrechen".

Einige der Protagonisten der Undergrounds sind inzwischen international erfolgreich, wie "Tarwater", "To Rococo Rot", "Carsten Nicolai" oder "Rammstein". Sie arbeiten heute unter völlig veränderten Bedingungen. Andere Protagonisten können aufgrund ihrer prekären Lebensumstände nicht einmal mehr die Miete für eine Einzimmerwohnung im Prenzlauer Berg (inzwischen kostet sie 200 Euro aufwärts) aufbringen, einige sind tot, vor die Straßenbahn gelaufen, beim Raubüberfall erschossen, zuviel Ephedrin/Amphetamin oder Herzversagen s... Aber so ist es wohl immer, wenn ein Untergrund aufgewühlt wird.

Alexander Pehlemann Ronald Galenza (Hrsg.) Spannung. Leistung. Widerstand. - Magnetbanduntergrund DDR 1979-1990, Verbrecher, Berlin 2006, 192 S., 29,90 EUR


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