In meinem Bad stehen zwei Zahnputzbecher. Der eine ist eine Devotionalie des 1. FC Magdeburg, auf dem anderen, einst ein Bierbecher, werden die Torhüter des 1. FC Union Berlin der Saison 2017/18 vorgestellt, als Union aus Nachlässigkeit und aufgrund von Fehlentscheidungen in die Abstiegszone geriet.
Die beiden Becher beschreiben ganz gut mein Verhältnis zum Fußball. Ich bin kein Fan, eher Sympathisantin. Aussuchen konnte ich mir das zumindest im Fall des 1. FCM nicht. Meine Affinität zu dieser Mannschaft begann, als mein Vater, ein glühender Rot-Weiß-Erfurt-Fan und in Magdeburg lebend, einen Gegner im eigenen Haus brauchte. Union dagegen habe ich mir selbst ausgesucht, wie die Entscheidung, Berlinerin zu sein.
Meine Angst war in den letzten Jahren immer, die beiden Mannschaften könnten in Relegationsspielen aufeinandertreffen und ich müsste mich für eine entscheiden. Die Gefahr ist im Moment gebannt. Magdeburg ist in die 3. Liga ab-, Union in die Bundesliga aufgestiegen. Nicht ausgeschlossen, dass sie sich bald wiedersehen. Die Magdeburger Fans sind hart im Nehmen, sie singen ja auch ohne Wimperzucken vor jedem Anpfiff ein Kinderlied aus den Siebzigern mit, bei dessen Erklingen mich mein inneres Pioniertuch würgt. Beim Pokalspiel gegen Freiburg waren sie schon wieder gut drauf, indem sie die hehre Vergangenheit beschworen: „Von Milan bis Westham lernte ganz Europa unser Emblem kennen.“
Vaters Klub in Insolvenz
Unions Herausforderung bestand derweil nie in den Niederlagen. Der Erfolg könnte zum Problem werden. Union trägt in dieser Spielzeit das Logo des luxemburgischen Immobilienunternehmens Aroundtown, das kräftig mitmischt im Immobiliengeschäft Berlins, bei dem auch Fans von Union die Leidtragenden sind, weil sie die überhöhten Mieten nicht mehr bezahlen können. Das hat zu heftigen Diskussionen geführt, wurde doch die Frage der Stadionhymne: „Wer lässt sich nicht vom Westen kaufen?“ mit der Gegenfrage, wie man denn ohne solvente Sponsoren die Bundesliga meistern wolle, beantwortet.
Am schlimmsten hat es meinen Vater erwischt. Erfurt, Jahrzehnte eine sichere Bank der 3. Liga, schlitterte in die Insolvenz und ist nur noch viertklassig.
29 Jahre nach der Wiedervereinigung sollte es eigentlich egal sein, ob Klubs wie Erfurt, Magdeburg oder Union einmal Teil der DDR-Oberliga waren. Aber je mehr Zeit vergeht, desto deutlicher leuchten in jeder statistischen Infografik die Umrisse der DDR auf, weil die Unterschiede, gerade die ökonomischen, zwischen Ost und West sich verfestigen und teils vergrößern.
Mit der Wiedervereinigung und dem vernichtenden Wirken der Treuhand ging im Osten das Industriezeitalter zu Ende. Mit ihm verschwanden die Trägerbetriebe, die den Fußball finanziert hatten. Es begann die Zeit der Hasardeure, Hochstapler, Finanzjongleure. Fast alle Vereine waren bald überschuldet, einige insolvent, zeitweise nicht im bezahlten Fußball. Viele Fans pendelten Hunderte Kilometer zur Arbeit. Das Fußballstadion blieb ein verlässlicher Ort, wo man sich noch treffen konnte, die Liga, in der die Mannschaft spielte, war eher zweitrangig. Es ging ums Überleben und um den Zusammenhalt. Das verbindet die meisten Mannschaften und ihre Fans im Osten, sieht man mal von der Retortenmannschaft RB Leipzig ab, die auch auf dem Mond spielen könnte, wäre dieses Territorium vom DFB anerkannt.
Der Fußball ist immer auch der Spiegel der Gesellschaft, nicht zuletzt der Zivilgesellschaft, und mit der ist es in manchen Ecken Ostdeutschlands nicht so gut bestellt. In Cottbus und Chemnitz haben rechte Hools die Fanszene fest im Griff, zum Teil offenbar auch die Vereine. Die Vernetzungen der Chemnitzer gehen bis in die tschechische Hoolszene. Wirksame Gegenstrukturen aufzubauen braucht Zeit und inzwischen leider auch Mut. Dass Rassismus kein nur ostdeutsches Problem und nur das der Stehplatzränge ist, wie manche es für ihr Weltbild gerne hätten, zeigt das Beispiel Schalke 04.
Dass ein Verein mit ostdeutschen Wurzeln wie der 1. FC Union Berlin in die Bundesliga aufsteigt, ist nach wie vor etwas Besonderes. So als komme einer zu Besuch, der nicht dazugehört, und man schreibt ihn gleich mal als potenziellen Absteiger ab: zu fremd, zu arm, zu aus der Zeit gefallen. Aber das Außenseiterdasein teilt Union mit dem SC Paderborn 07, der nie in der DDR-Oberliga war.
Ausgerechnet auf RB Leipzig trifft der 1. FC Union Berlin bei seinem ersten Heimspiel in der Bundesliga. Der Fanblog Wuhlesyndikat hat deshalb zu einem 15-minütigen Stimmungsboykott aufgerufen, aus Protest gegen RB, „ein Konstrukt, das mit unserer Vorstellung von Fußball absolut nichts gemein hat. (...) Ein Fußball, der geprägt ist von Mitbestimmung, Treue, Stehplätzen, Emotionen, Financial Fairplay, Tradition, Transparenz, Leidenschaft, Geschichten, Unabhängigkeit und Ehrenamt.“ Union-Torwart Rafal Gikiewicz hat die Fans gebeten, auf den Boykott zu verzichten, wegen des historischen Moments, für den die Mannschaft letzte Saison so hart gearbeitet habe. „Wir brauchen Eure Euphorie, Eure Gesänge, Eure Anfeuerungen.“ Wie bei allem, was Union angeht, wird das Pro und Contra heiß diskutiert. Ob Boykott oder nicht, am Sonntag werden wir es wissen.
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