Immer Ärger mit den Mitteltüren

Literatur Susanne Schmidt war Busfahrerin in Berlin. Ihr Buch ist auch eine Liebeserklärung an den öffentlichen Nahverkehr
Ausgabe 14/2021
Berlin vom Bus aus ist ein Sinnbild für das Leben in der Hauptstadt: nicht immer angenehm, selten pünktlich, aber immer authentisch
Berlin vom Bus aus ist ein Sinnbild für das Leben in der Hauptstadt: nicht immer angenehm, selten pünktlich, aber immer authentisch

Foto: Stefan Zeitz/IMAGO

Vor ein paar Jahren liefen auf den Fahrplandisplays an den Straßenbahn- und Bushaltestellen Berlins, dort, wo heute auf die Notwendigkeit des Gebrauchs von Masken im öffentlichen Nahverkehr hingewiesen wird, Stellenangebote der BVG. Sie richteten sich speziell an Frauen. Ich hatte diese Anzeigen mit Interesse gelesen, seit Jahren nehme ich mir vor, das Straßenbahnfahren zu lernen, um unabhängiger zu sein vom Literaturbetrieb und weil ich öffentliche Verkehrsmittel liebe, aber die Anzeige richtete sich an Frauen, die sich für das Busfahren interessierten. Speziell solche ab 50 wurden angesprochen, weil Studien bewiesen haben, dass ältere Frauen weniger Unfälle verursachen und mit Stress besser umgehen können als Männer. Außerdem werden sie nicht mehr schwanger. Susanne Schmidt fand „die Initiative super“ und bewarb sich. Seit sie 1976 mit 16 aus dem Ruhrgebiet nach Berlin kam, hat sie schon vieles gemacht: Erzieherin, Drehbuchautorin, Stadtführerin, Pförtnerin, Social-Media-Managerin, alles Tätigkeiten, die sich als nützlich für die Arbeit hinterm Lenkrad erwiesen. Voller Zuneigung beschreibt sie die Teilnehmerinnen der Frauenklasse, die versuchen, die harte Ausbildung zu bestehen, obwohl sie seit mehr als 30 Jahren keine Schule mehr von innen gesehen haben und zu Hause kaum Platz und Ruhe haben zu lernen. „Uns einen erstmal nur drei Dinge: Wir sind Frauen, Berlinerinnen und fest entschlossen.“ Nicht alle schaffen es.

Dieses Sichtbarwerden älterer Frauen in der Literatur jenseits der kanonisierten Großmutterrolle oder der der betrogenen und verlassenen Ehefrau, ist eine überfällige Bereicherung. Auch in Katja Oskamps vor zwei Jahren erschienenem Erzählungsband Marzahn Mon Amour ist es eine Frau in den mittleren Jahren, die umschult, um Fußpflegerin zu werden. Oskamps Geschichten sind literarisch verdichtete Erzählungen von Begegnungen mit der Wirklichkeit. Diesen Anspruch hat das Buch von Susanne Schmidt nicht, aber es ist unterhaltsam geschrieben, man merkt, dass sie Drehbuchautorin war.

So ein Bus fährt sich wonnig

Schmidt kann szenisch erzählen und an den richtigen Stellen Pointen setzen. Es macht beim Lesen wütend, mit welcher Arroganz einige der Kollegen auf die Frauen herabschauen und ihnen das Leben so schwer wie möglich machen. Im nächsten Moment wieder beschreibt Schmidt die Schönheit Berlins an einem frühen Morgen, hinter dem Lenkrad eines Busses betrachtet, und den Respekt, mit dem ihr, der älteren Frau, die Fahrgäste und die anderen Verkehrsteilnehmenden begegnen, Ausnahmen inbegriffen. Der Titel des Buches trennt professionelle Fahrgäste der BVG-Busse unter den Lesenden von Ahnungslosen, die nicht wissen, wie viel ein Fahrschein kostet und an welcher Stelle der Einstieg ist. Seit ein paar Jahren sind in Berlin Busse unterwegs, die in den Türen Lichtschranken haben, die das Fahrzeug blockieren, wenn ein Objekt im Weg steht, egal ob Mensch oder Rucksack. Auf gut ausgelasteten Strecken ist das wegen der Enge eigentlich immer der Fall. Wer diese Art von Tür erfunden hat, fährt weder aktiv noch passiv Bus in Berlin.

Machen Sie mal zügig die Mitteltüren frei, ist ein Satz, den schnell überhat, wer täglich die Strecken fährt, auf denen auch trödelige Touristen aus unbelebteren Gegenden unterwegs sind, abgesehen davon, dass die auch immer sehr lange brauchen, ehe sie das Geld für das Ticket zusammenhaben oder mit großen Scheinen kommen. Die Lektüre des Buches hält mich dann doch eher davon ab, bei der BVG anzufangen, schon alleine deshalb, weil ich notorisch unpünktlich bin. Außerdem sind die Aufenthaltsräume lieblos, die Toiletten grausam, das Kantinenessen zu fett. Die BVG hält sich für eine große Familie, aber mitunter hat sie Züge von einem Clan. Alle, die schon länger dabei sind, halten zusammen, selten wird etwas hinterfragt, die häufigste Ausrede ist: „Das war schon immer so.“

Auch wenn Susanne Schmidt am Ende wegen der unregelmäßigen Schichtzeiten aus gesundheitlichen Gründen wieder aufhören musste als Busfahrerin, wünscht sie sich doch immer noch einen Doppeldecker für den privaten Gebrauch, denn der ist „erstaunlich weich und wonnig zu fahren“.

Info

Machen Sie mal zügig die Mitteltüren frei. Eine Berliner Busfahrerin erzählt Susanne Schmidt hanserblau 2021, 208 S., 17 €

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