App mir ein Kind

Planbar Die klassische Familie hat ausgedient. Vor allem Frauen sehen im Co-Parenting ein zeitgemäßes Lebensmodell
Ausgabe 24/2020
App mir ein Kind

Illustration: Ira Bolsinger für der Freitag

Man kann es auf ihrem WhatsApp-Profil sehen, das Bild eines Babys, an Mamas Brust geschmiegt. Das Kind ist jetzt ein Jahr alt, es ist ein Mädchen, Kiara.

Wiebke Meier (* alle Namen geändert) war 38 Jahre alt, als sie im Juli 2018 für zehn Tage nach Dubai geflogen ist. Das Ziel: mit einem Mann, den sie nur vier Wochen zuvor auf dem Co-Parenting-Portal Familyship das erste Mal getroffen hatte, ein Kind zu zeugen. Es hat sofort geklappt. „Ich habe eigentlich gar nicht damit gerechnet. Ich mache sonst nie so verrückte Sachen“, sagt Wiebke Meier beim Treffen in Berlin. Sie trägt praktische Klamotten – Jeans und Sweatshirt. Aber mit James Morgan habe beim Chatten einfach die Chemie gestimmt – obwohl der zu dieser Zeit Tausende Kilometer weit weg war. Sie sei „diese Sache“ ganz pragmatisch angegangen, ohne die Illusion, den einzig möglichen Vater gefunden zu haben. „Ich hatte noch einen anderen Kontakt, mit dem ich mich gut verstanden habe. Der in der Nähe wohnt. Mit dem hätte ich es dann gemacht, wenn es mit James nicht geklappt hätte“, erzählt Wiebke Meier.

Solche Portale wie Familyship oder Co-Eltern.de sind für Singles entstanden, die nicht länger auf einen passenden Partner warten wollen oder die nur noch begrenzt für die Kinderplanung Zeit haben. Es sind vor allen Dingen Frauen, die die Familiengründung nicht dem Zufall überlassen wollen – oder können. In Zeiten hoher Scheidungsraten, brüchiger Beziehungen, wechselnder Lebensphasen und Bindungen und ungewisser Zukunftsaussichten scheint es gesellschaftlich ein passendes Modell zu sein. Liebe? Spielt für Co-Eltern kaum eine Rolle – oder sie ist zweitrangig. Sie wollen für das Kind da sein.

Das Verständnis von Co-Parenting als eine von der Ehe unabhängige Form der Elternschaft entstand in den 1960er Jahren in den USA. Dort ist das Familienmodell bereits etablierter als hierzulande, doch auch in Europa wird es immer beliebter. Bei dieser Form der Partnerschaft finden sich die Eltern ausschließlich zum Zwecke der Kinderplanung zusammen. Sie können sich länger kennenlernen und abstimmen, ganz genau darauf achten, ob sie in Fragen der Kindererziehung wirklich miteinander harmonieren. Und mit welchen Werten das Kind aufwachsen soll. Richtige Studien zu Co-Parenting gibt es hierzulande noch keine, das Modell ist zu neu, es muss sich erst noch bewähren. Dass Kinder mit dieser Lebensform aber ein Problem hätten, bezweifeln Psychologen und Experten.

Wenn Co-Eltern nie ein Liebespaar waren, dann schwindet Konfliktpotenzial, es kommt seltener zu verletzten Eitelkeiten, Streitereien oder Trennungen. Andererseits weiß man, dass es Kinder in ihrem eigenen Bindungsverhalten positiv beeinflusst, wenn sie bei Eltern Nähe erleben, auch körperliche.

Als Wiebke Meier Ende dreißig war, da ahnte sie, dass sich Familiengründung in ihrem Leben nicht mehr einfach ergeben würde, nicht so natürlich wie bei den meisten anderen Paaren in ihrem Umfeld. Als ihre letzte Beziehung in die Brüche gegangen war, da entdeckte sie das Portal für Co-Parenting. „Ich hatte die Beziehung bloß, weil ich diesen Kinderwunsch hatte und jemanden gesucht habe, mit dem ich das umsetzen kann. Der Typ war auch nett. Aber ich hätte mit ihm sonst nie etwas angefangen. Das fand ich eigentlich sehr unfair. Ich kam mir vor, als würde ich lügen.“ Aber ihre Zeit, Mutter zu werden, war begrenzt: „Wenn man dann anfängt, über die Fruchtbarkeit von Frauen zu lesen, resigniert man schnell“, sagt sie. Sie beschloss zu handeln.

Sie spürte, es ist okay

Eine Befruchtung durch Samenspende, wie sie zum Beispiel in der StorkKlinik in Kopenhagen auch für ledige Frauen möglich ist, war für sie ausgeschlossen. Sie wollte keinen Erzeuger, sondern einen Vater. „Ich fand es schon schöner, wenn es der Mann nicht so businessmäßig macht, indem er lauter Samenspenden weggegeben hat und vielleicht noch zwanzig andere Kinder hat.“ Der Ansatz des Co-Parenting kam ihr gelegen: „Ich habe den Wunsch, und ich finde jemanden, der auch diesen Wunsch hat. Und auch wenn wir nicht so ein klassisches Paar sind, einigen wir uns darauf, als Team ein Kind zu kriegen und uns gemeinsam darum zu kümmern.“

Ohne Liebe

Heterosexuelle Singles entdecken in Zeiten brüchiger Beziehungen zunehmend Co-Parenting, eine Form der Familiengründung, bei der ein Mann und eine Frau zusammen ein Kind zeugen, meist via Insemination, und dieses dann gemeinsam aufziehen – ohne ein Liebespaar zu sein. Reine Zweckgemeinschaft? In den USA oder Großbritannien existieren solche Portale schon länger, sie heißen Coparents oder Family by Design, Pollen Tree oder Pride Angel. Auch in Deutschland hat sich ein Markt entwickelt. Die beiden Portale Co-Eltern.de und Familyship.orghaben zusammen rund 10.000 Mitglieder, es sind mehrheitlich Frauen. Wie beim Onlinedating legt man sich ein Profil an, knüpft Kontakte, verabredet sich.

Einige Kandidaten auf der Plattform Familyship gefielen ihr – es waren Männer, die im Leben standen und mehr sein wollten als nur Samenspender. Die Kinderwunsch und Romantik trennen konnten. Oder sahen zumindest Letztere nicht zwingend als Bedingung für die Familiengründung. Für James Morgan, der fünf Jahre jünger ist als sie, hat sie sich schließlich entschieden. Dabei konnte die räumliche Distanz kaum größer sein, er arbeitete damals zwischen Berlin und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Morgan stammt ursprünglich aus Nigeria, hat gelegentlich Jobs auf Baustellen und will sich in Deutschland selbstständig machen.

„Wir hatten vier Wochen lang Gespräche über WhatsApp. Es war, als würde ich mit jemandem reden, den ich schon seit Ewigkeiten kenne“, sagt Wiebke Meier. Sie buchte einen Flug. „Wir hatten ausgemacht, dass wir uns in einem Hotel treffen. Er hatte Ringe besorgt, in einem Laden um die Ecke, denn man darf in Dubai als unverheiratetes Paar eigentlich nicht gemeinsam in ein Zimmer. Den Ring habe ich noch.“ Natürlich sei die erste Begegnung „eine total merkwürdige Situation“ gewesen. Ihr sei bewusst gewesen, dass James ganz anders sein könnte, als er sich in der virtuellen Welt präsentiert hatte. Da habe sie sich auf ihr Bauchgefühl verlassen. Als sie ihm dann in der Lobby gegenübersaß, spürte sie: Alles in Ordnung. „Wir haben uns dann unterhalten, sind in den folgenden Tagen viel spazieren gewesen. Es war so, als ob ich mit jemandem rede, mit dem ich zusammen zur Schule gegangen bin, den ich ewig kenne.“

Mit einem Ovulationstest hatte Wiebke Meier ihre fruchtbarsten Tage ermittelt. Nach einigen Kennenlerntagen wurde das Baby auf natürlichem Wege gezeugt, sie fanden sich anziehend, sie hatten Sex.

Wiebke Meier hatte sich die Entscheidung offen gelassen, auf welchem Wege das Kind entstehen sollte, zum Beispiel die „Becher-Methode“ oder Selbstbefruchtung. „Ich hatte alles für eine Selbstbefruchtung mitgebracht, das bin ich ganz offen angegangen“, sagt Wiebke Meier. „Wir haben uns kennengelernt, und irgendwann haben wir dann das Kind gezeugt. Und es hat Spaß gemacht. Nachdem ich dann zurück in Deutschland war, hat er bei unseren WhatsApp-Unterhaltungen immer gesagt: „Pass auf, dass es ihm gutgeht.“

Der erste Schwangerschaftstest war negativ. „Da war ich ein bisschen deprimiert. Um sicherzugehen, machte ich ein paar Tage später noch einen. Der war dann positiv.“ „Gott hat uns gesegnet!“, so formulierte es James Morgan, der Vater, obwohl sie beide mit Religion überhaupt nichts am Hut haben. Die Familien der beiden waren bis dahin nicht in die Co-Parenting-Pläne eingeweiht. „Für die Familie von James bin ich nun ‚die Freundin‘, die er irgendwie kennengelernt hat“, sagt Wiebke Meier, alles andere würde sie überfordern. Als die ersten drei Monate der Schwangerschaft herum waren, redete sie mit Verwandten und Freunden. „Die waren alle erst mal ein bisschen still. Sie haben sich gefreut darüber, dass ich ein Kind kriegen werde. Wenn ich dann gesagt habe: ,Na, ist schon ganz schön verrückt?‘, dann kam so: ,Ja.‘ Ein Schwager meinte: ,Seine Familie kann man sich nicht aussuchen, nicht wahr?‘ “

Wiebke Meier hat die Entbindung dann alleine durchgestanden – auf eigenen Wunsch: „Ich hatte auf so eine dreistündige Hypnobirthing-Geburt gehofft, habe aber leider die Familientradition mit 30 Stunden und Saugglocke mitgenommen.“ Dann war das Mädchen, Kiara, da.

Kiaras Vater, James Morgan, ist mittlerweile in die Zweizimmerwohnung mit eingezogen, sie spielen sich aufeinander ein, lassen alles auf sich zukommen. Die Eltern wohnen zusammen, sie schlafen getrennt. Ihre Tochter Kiara ist bereits mit acht Monaten in eine Krippe gekommen, es war für beide wichtig, dass Wiebke Meier schnell wieder arbeiten gehen kann. Sie verdient im Moment genug für alle. Sie wollen ihrer Tochter irgendwann einmal erzählen, wie sie sich beide kennengelernt haben, wie sie entstanden ist – selbst wenn manche Freunde davor warnen, das sei zu sachlich, zu vernunftorientiert, zu unromantisch. „Wir finden die Wahrheit besser. Schlimm wäre es nur, wenn sich das Kind nicht gewollt fühlen würde“, sagt Wiebke Meier. Könnten Sie und James Morgan mehr werden als ein Elternpaar?

„In der Woche, in der ich da in Dubai war, da hatte ich am Ende schon das Gefühl, dass ich verknallt bin. Aber jetzt? Ich finde es besser, wenn die Grenze erst mal nicht überschritten wird, wir ein Team sind und uns auf das Kind konzentrieren.“

Annette Leyssner ist freie Journalistin und lernte die Co-Mama beim Babyjackenkauf auf eBay kennen. Beim zweiten Gespräch war auch der Vater des Kindes dabei

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