Boom und Bumerang

Landwirtschaft Die Nachfrage nach Öko-Lebensmitteln steigt, den Discountern sei Dank. Doch der Erfolg bedroht Bio-Bauern wie Josef Jacobi
Ausgabe 47/2019

Eigentlich blicken die Jacobis ziemlich entspannt in die Zukunft. Vor Kurzem haben die Eltern ihrem Sohn einen profitablen Öko-Bauernhof im westfälischen Borgentreich bei Höxter übergeben: 50 Kühe, 20 Schweine, neun Laufenten, zehn Hühner, ein Gemüsegarten, eine eigene Saatgutproduktion und 140 Hektar Weide- und Ackerland mit Weizen, Roggen, Dinkel, Hafer, Erbsen, Zuckerrüben, Kleegras und Gründünger in abgestimmten Fruchtfolgen.

Gerade sitzen die Jacobis zusammen mit ihren Hofhelfern in der Wohnküche an einem langen Holztisch beim Mittagessen. Elke Jacobi betreut den Garten, den Bio-Laden und die Käserei. Josef Jacobi führt die Bücher. Es gibt grünen Salat mit Nudeln und Sauce Bolognese, es wird viel gelacht. Kein Wunder, der Hof läuft gut. Aber wie lange noch? In der Bio-Branche zeichnen sich Veränderungen ab.

Derzeit arbeiten in Deutschland 29.174 Landwirte nach Bio-Standards. Das ist mehr als jeder zehnte Hof. Tendenz: steigend. Bio-Bauern wie die Jacobis können von ihrer Arbeit sogar deutlich besser leben als konventionelle Landwirte. Der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft hat errechnet, dass das durchschnittliche Unternehmensergebnis der ökologisch wirtschaftenden Betriebe 2017 bei 64.358 Euro im Jahr lag. Dagegen kamen konventionelle Höfe im Schnitt nur auf 39.871 Euro.

Bereits 1980 stellte Josef Jacobi den Betrieb auf Bio um. Als Umwelt- und Anti-Atomkraft-Aktivist lehnte er die konventionelle Landwirtschaft inklusive Pestizideinsatz ab. „Die Umstellung war nicht leicht. Es gab ja keinen Markt und kaum regionale Vorbilder. In vielen Feldversuchen habe ich damals probiert, neue Fruchtfolgen zu entwickeln und mit Bio-Saatgut zu experimentieren.“ Inzwischen verlassen jährlich zwischen 450 und 600 Tonnen Saatgut den Hof der Jacobis. Schwieriger gestaltete sich der Absatz der Milch. In seiner Region gab es nur konventionelle Molkereien, also gründete Josef Jacobi mit anderen Bio-Bauern kurzerhand eine eigene.

Zwang zum Wachstum

Die Preisunterschiede zwischen bio und konventionell sind 40 Jahre später unverändert. Josef Jacobi erinnert sich: „Ein Liter Bio-Milch brachte in den 80er Jahren etwa eine Mark. Im Vergleich dazu kam der Liter Nicht-Bio-Milch auf etwa sechzig Pfennig.“ Aktuell bekommen die Jacobis für einen Liter etwa fünfzig Cent. Fast 40 Jahre später bringt die Bio-Milch also noch immer so viel oder so wenig wie in den 80er Jahren. Also verarbeiten sie ihre Milch lieber selbst: „Aus einem Liter Milch macht meine Frau 100 Gramm Käse. Und der bringt im Verkauf etwa 1,90 Euro. Das ist – natürlich – das bessere Geschäft.“

Altbauer Josef Jacobi sitzt am Schreibtisch und schont sich, er hat gerade ein verletztes Bein. Das „große Glück“ der Familie sei gewesen, dass sie sich „frühzeitig relativ breit aufgestellt“ habe: „Ohne Käserei, Bio-Laden und Bio-Saatgut wäre es deutlich schwieriger, den Hof zu erhalten, in neue Anlagen zu investieren und von den Erträgen halbwegs anständig zu leben.“

Noch schwieriger wäre es ohne EU-Subventionen. Derzeit werden die in zwei Säulen verteilt. Säule eins fließt als Einkünfte an die Landwirte. Säule zwei subventioniert Entwicklungsmaßnahmen im ländlichen Raum, zum Beispiel Öko-Landwirtschaft oder Umweltmaßnahmen. Umweltorganisationen wie der NABU kritisieren die Verteilung schon lange: „Im Schnitt fließen etwa 78 Prozent von den insgesamt 6,45 Milliarden EU-Agrarsubventionen bundesweit als Direktzahlungen an die Landwirtschaftsbetriebe. Im Bundesland Niedersachsen sind es sogar fast 83 Prozent, die pauschal an die Landwirte gezahlt werden. Die Direktzahlungen werden nämlich schlicht nach der Fläche des landwirtschaftlichen Betriebes bemessen und belohnen dadurch Landwirtinnen und Landwirte, die ihre Anbauflächen noch vergrößern.“

Anders gesagt: Je größer und konventioneller die landwirtschaftlichen Betriebe, desto mehr EU-Subventionen gibt es. Trotzdem braucht auch Josef Jacobi die EU. Er rechnet vor: 40 Euro bekommt er für einen Doppelzentner Bio-Weizen. 35 Euro kostet ihn die Produktion. Von fünf Euro müssten er und seine Familie eigentlich leben – und investieren. Weil das nicht reicht, bekommt er sechs Euro Förderung von der EU. Doch er sagt: „Es heißt immer, dass die EU die Landwirtschaft subventioniert. Das tut sie aber nicht. Sie subventioniert nicht uns, sondern die Verbraucher.“

Der Agrarökonom Dirk Gieschen analysiert seit 25 Jahren Trends im Agrarsektor. Für ihn ist der derzeitige Boom der Bio-Branche, das Hochschnellen der Umsatzzahlen von Bioland-Produkten bei Lidl und Demeter-Produkten, ein zweischneidiges Schwert. Klar, 2017 erreichte das Marktvolumen erstmals zehn Milliarden Euro. Aber Gieschen ist skeptisch, „ob sich der für die Bio-Verbände erfreuliche Absatzsprung und der dadurch zu erwartende Zuwachs an gesellschaftlicher Bedeutung auch für die Bio-Betriebe positiv auswirken wird“. Er fürchtet das Gegenteil: Vor allem für die kleineren und in ländlichen Regionen wirtschaftenden Bio-Familienbetriebe – wie der der Jacobis – wachse das Risiko, dass der Erfolg für sie zum existenzgefährdenden Bumerang werde. Der Preis- und Kostendruck in der Bio-Branche werde steigen, Bio-Betriebe würden gezwungen, zu wachsen und zu rationalisieren, es drohe ein „harter Strukturwandel“.

Josef Jacobi sieht das ähnlich. „Die Bioland-Milch ist jetzt bei Lidl für 1,05 Euro zu kaufen. Und Netto setzt sogar noch einen drauf: 83 Cent für einen Liter Bio-Milch. In Deutschland gibt es die billigsten Lebensmittel und die teuersten Küchen. Mit solchen Discounterpreisen für Qualitätsprodukte sendet die Branche ein völlig falsches Signal.“ Dirk Gieschen gibt Jacobi recht: „Der Verbraucher zahlt letztendlich zu wenig für landwirtschaftliche Produkte. Der Engpass an der Stelle ist aber die kartellartige Marktmacht des Lebensmitteleinzelhandels.“ Schließlich bestimmen die Marktführer die Preisentwicklung, und das sind die Discounter. Die Verbraucher vergleichen die Preise von Direktvermarktern wie den Jacobis mit denen von Lidl und Co. – natürlich muss der Vergleich zuungunsten der Bio- und Hofläden ausfallen. Was Bio-Bauern wie den Jacobis bleibt, ist Kundentreue und Neugewinnung von Verbrauchern, die regional erzeugte und vermarktete Bio-Produkte bevorzugen.

Der Einstieg der Discounter in den Bio-Markt und das damit verbundene vermehrte Kaufinteresse führt aber auch zu einer ganz anderen Entwicklung: Der deutsche Markt kann die gestiegene Nachfrage nicht mehr bedienen. Also importiert Deutschland Tomaten aus Spanien, Kartoffeln aus Ägypten, Weizen aus Rumänien.

Schweine auf Reisen

Josef Jacobi schüttelt den Kopf: „Wir produzieren und verarbeiten lokal und vermarkten regional. Bio-Produkte für die Billigheimer aus aller Welt herbeizukarren, das macht ökologisch betrachtet einfach keinen Sinn. Wenn ich auf der Autobahn einen Viehtransporter mit einem ausländischen Kennzeichen sehe, aus dessen Gittern die Schweineschnauzen ragen – dann werde ich alter Kerl richtig sentimental.“ Doch Jacobi bereiten nicht nur fernreisende Paarhufer Sorgen: „Wenn der deutsche Verbraucher mehr Bio will, dann geht das sinnvoll nur auf eine Art: mehr Landwirte, die auf Bio umstellen, angemessene Preise für Bio-Produkte, weniger Verschwendung – und keine Erbsen zählenden EU-Bürokraten, die uns das Leben immer schwerer machen.“

Gemeint sind Kontrollen, die sicherstellen sollen, dass der Verbraucher auch Bio bekommt, wenn Bio draufsteht. An sich hat Jacobi nichts dagegen, kontrolliert zu werden. Aber das Wie bereitet ihm zunehmend Kopfzerbrechen und Mehrarbeit: „Da werden Kühe falsch gezählt und mehrmals im Jahr kontrolliert, wo welcher Strohballen liegt und ob er da liegen darf. Da werden mehrfach Ställe nachgemessen, die sich seit der letzten Kontrolle keinen Zentimeter bewegt oder verändert haben. Grob geschätzt gehen mittlerweile 25 Prozent meiner Arbeitskraft für Papierkram drauf“, sagt Josef Jacobi. „Und den muss ich noch akribischer erledigen als alles andere. Weil schon der kleinste Verstoß massive Einkommenseinbußen zur Folge haben kann.“ Die EU-Agrarbürokratie koste den Steuerzahler Geld und ihn als Bauern „Kraft, Zeit und Nerven“, sagt Jacobi und greift nach einem der Ordner in seinem von Papieren übersäten Büro: „Das sind alles Vermessungspläne. Die sind jedes Jahr neu ein Thema. Das ist nur ein Beispiel für die ausufernde Bürokratie.“ Dann schiebt er den Ordner zurück ins Regal, er muss los. Im Dorf haben sich gerade ein paar Rindviecher selbstständig gemacht, die wollen wieder eingesammelt werden.

Annette Lübbers arbeitet als freie Journalistin im Bergischen Land

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