Madame macht ernst

Egalité Vom Kindergarten bis zum Elysée: Unter Frankreichs Frauenministerin wird das Land gleichgestellt
Ausgabe 36/2013
Madame macht ernst

Foto: Lecarpentier/Rea/Laif

Passend zur Rentrée, so nennen die Franzosen das Ende der Sommerpause, prescht Najat Vallaud-Belkacem, die Pariser Frauenministerin, mit einigen ambitionierten Forderungen nach vorn: So sollen sich künftig nur noch Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen dürfen, deren Leitungsebene gleichberechtigt besetzt ist. „Die Gleichheit ist gesetzlich festgeschrieben, aber die meisten Frauen leben noch immer schlechter als ihre Ehemänner“, sagt die Sozialistin. Einer ihrer typischen Sätze.

Für Vallaud-Belkacem ist es nun Zeit für den nächsten Fortschritt – nach dem Wahlrecht und dem Recht auf Abtreibung. Denn trotz formaler Gleichberechtigung werden französische Frauen auf dem Weg in machtvolle Positionen ähnlich benachteiligt wie die in Deutschland. Zwar gehen mit 70 Prozent fast doppelt so viele einer Vollbeschäftigung nach – auch, weil Frankreich das Zuverdienermodell nicht durch Ehegattensplitting forciert und 50 Prozent der Untereinjährigen in eine Kita gehen, die ganztags geöffnet hat. Gleichzeitig geben Mütter in Umfragen aber an, mehr als 80 Prozent der Haus- und Kinderarbeit zu übernehmen. Und keines der börsennotierten französischen Unternehmen wird von einer Frau geleitet.

Heute Feminist ...

Diesen Oktober wird Vallaud-Belkacem ein Ranking von Firmen veröffentlichen, in dem Frauen ihre Chancen auf gute Posten ablesen können. In einem offenen Brief an die 528 größten französischen Unternehmen forderte sie die Chefs auf, bis zum Herbst mindestens zwei Frauen in die Aufsichtsräte zu entsenden, um sie langfristig an die oberste Stelle hieven zu können. Paris hat bereits 2011 eine Quote von 40 Prozent in den Führungsetagen ihrer börsennotierten Unternehmen verabschiedet – noch unter Führung des Konservativen Nicolas Sarkozy und ohne großen Widerstand. Auch Vallaud-Belkacem erntet meist Zustimmung.

Zwar will der Arbeitgeberverband die Quoten am liebsten senken, er stellt sie aber grundsätzlich nicht infrage. In Talkshows ist die Ministerin höchstens mit der etwas süffisanten Frage konfrontiert, ob sie „die Geschlechter abschaffen“ wolle. Die Politikerin pariert das locker: Sie wolle für Frauen dieselben Chancen wie für Männer. Sie habe in ihrem eigenen Leben ebenfalls unterschiedliche Rollen einnehmen können. Zuerst arbeitete sie als Anwältin, dann beim Bürgermeister ihrer Geburtsstadt Lyon, und schließlich trat sie in Literatursendungen im Fernsehen auf. Najat Vallaud-Belkacem ist verheiratet, hat zwei Kinder und sitzt im Zentrum der Macht – sie ist nicht nur eine sehr populäre Ministerin, sondern auch Sprecherin von François Hollande. „Unsere Gesellschaft schätzt Frauen geringer, das ist der wahre Grund, warum sie schlechter verdienen, seltener Karriere machen und Gewalt erfahren“, erklärt sie und meint einen tief verankerten Machismo.

Sie möchte schon französischen Kleinkindern die Gleichwertigkeit von Mann und Frau vermitteln und Schulbücher und Lehrpläne von Stereotypen befreien – die etwa Männer vornehmlich in handwerklichen und Frauen in pflegenden Berufen zeigen oder Jungen als draufgängerisch und Mädchen als schüchtern abbilden. Lehrer sollen Schülerinnen zu einem technischen Studium ermutigen.

Deutschland hingegen debattierte noch in der Sommerpause einheitliche Qualitätsstandards für Kitas – aus französischer Sicht eine lächerliche Diskussion. Es gibt in Frankreich bereits doppelt so viele Kitaplätze, und sie alle folgen den von Paris festgelegten pädagogischen Normen. Ginge es nach Vallaud-Belkacem, müssen künftig auch Führungsgremien bei Sportvereinen, nationalen Theatern und Handelskammern von Frauen und Männern gleichermaßen besetzt werden. Parteien, die wie die oppositionelle UMP zuletzt lieber Strafen kassierten als ihre Listen paritätisch zu besetzen, müssten künftig dreimal so viel zahlen. Im Bundestagswahlkampf kümmert man sich dagegen wenig um die einst heiß umkämpfte Quote. Zwar haben Parteien vor Monaten heftig gestritten – auch über das Betreuungsgeld und Kitaplätze wurde intensiv debattiert. Diese Kontroversen spiegeln sich jedoch nicht im Wahlkampf wider – sofern man den so nennen kann. Was ist übrig von der „Aufschrei“-Lawine nach Brüderles sexistischem Bar-Auftritt? Die CDU benutzt in ihrem gesamten Wahlprogramm nicht einmal das Wort Gleichberechtigung. Präsident Hollande hingegen nannte sich bei seiner Amtseinführung vor gut einem Jahr „Feminist“.

Jeder Gehaltsvergleich in Deutschland zeigt den um 20 Prozent geringeren Lohn von Frauen, deutsche DAX-Vorstände sehen aus wie alternde Burschenschaften. „Die Deutschen sind noch konventioneller und vorurteilsbehafteter als beispielsweise südeuropäische Bürger“, sagt Sabine Hark, Professorin am Berliner Zentrum für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung. Die Parteien drückten sich davor, sich für Frauenrechte einzusetzen. „Sie glauben, auf die Wählerinnen besser verzichten zu können als auf die Männer.“ Hark ist überzeugt, dass etwa die Grünen auf 20 Prozent kommen könnten, wenn sie sich der Herabsetzung von Frauen offensiver annehmen würden. „Minijobs oder Mindestlohn sind absolute Frauenthemen, das müsste auch so benannt werden“, sagt die Soziologin.

... früher Patriarch

Politikwissenschaftler haben in einer langjährigen Studie Deutschlands Parteien als „konfliktscheu und konsensual“ ausgemacht. Simon Munzert aus Bern und Paul Bauer aus Konstanz konstatieren in einer aktuellen Veröffentlichung, die deutsche Öffentlichkeit sei mittlerweile viel weniger polarisiert als noch vor 30 Jahren. Die Parteien seien bei wesentlichen Themen wie der Energiewende einer Meinung. Bis auf eine Ausnahme: „Die Geschlechterpolitik führt zu den heftigsten Reaktionen aller Befragten“, so die Wissenschaftler. Während die Aufregung um Einwanderung deutlich gesunken ist, stieg sie bei Fragen zur gerechten Verteilung der Hausarbeit oder Kinder und Karriere deutlich an.

Im aktuellen Wahlkampf sucht man oft vergeblich nach Differenzen, dabei könnte das Thema Emanzipation politisieren. Die CDU könnte sich zu ihrem konservativen Mütter-Ideal bekennen, dem sie schon mit dem Betreuungsgeld Ausdruck verliehen hat, die FDP ihre marktradikalen und meist männlichen Wähler erfreuen, indem sie die Quote öffentlich verbannt. Grüne könnten sich stark machen für gesetzliche Regelungen wie die der Französin Vallaud-Belkacem. Und die Linke könnte Gleichberechtigung als eine natürliche Eigenschaft des demokratischen Sozialismus bewerben.Und die SPD? Steinbrücks Mindestlohn könnte als Rettung für schlecht verdienende Frauen herhalten.

In französischen Medien wundern sich Feministinnen darüber, dass Deutschland in Fragen der Gleichberechtigung so stillsteht. „In einem Land, das von einer ostdeutschen Frau regiert wird, müsste es den Frauen doch besser gehen, heißt es häufig“, sagt Wissenschaftlerin Hark. „Aber die Rechte von Frauen zu thematisieren, wird dadurch besonders schwer, weil die Notwendigkeit weniger offensichtlich ist.“ Merkel habe sich dazu entschieden, eher den konservativen Männerkreisen in der CDU entgegenzukommen als den Frauenrechtlern.

Allerdings hat auch bei Frankreichs Sozialisten lange das Patriarchat regiert. Ihre frühere Frontfrau Ségolène Royal wurde mit Fragen nach ihrem Mutterdasein traktiert. Dabei hat sie ihre vier Kinder gemeinsam mit ihrem Ex-Partner Hollande großgezogen – dieser wurde nie auf seinen Nachwuchs angesprochen. Die sozialistische Männerriege wollte Royal als Mutti degradieren. Nachdem sich dann der ausgemachte Spitzenkandidat Dominique Strauss-Kahn durch Affären und Übergriffe auf Frauen ins Abseits schoss, drohten den Sozialisten ihre treuesten Anhängerinnen wegzubleiben. Also haben sie ihr Regierungsprogramm auf die Französinnen zugeschnitten, und die Hälfte der Ministerposten wurde Frauen versprochen. Frankreichs Regierung hat jetzt ein hohes Ziel ausgerufen: Bis 2025 soll die Hälfte aller Firmen von Frauen geleitet werden, sie sollen dieselbe Rente erwarten können und ihre Kinder genauso intensiv betreuen wie ihre Männer. Mit Vallaud-Belkacems Gesetzespaket könnte dies gelingen – es beginnt schon im Kindergarten und reicht bis in die Machtzentralen der Wirtschaft.

Annika Joeres schreibt für den Freitag aus Frankreich, zuletzt über Korruption

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