Hush, little baby, don’t cry

DVD-Neuerscheinung Coming-of-Age ohne große Lust aufs Leben: In seiner Indie-Komödie »Coconut Hero« schlägt Florian Cossen bitter-heitre Töne an. Die gehen ins Ohr, aber nicht weiter

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Mike Tysons Arm ist gerade lang genug, um die Gewehrmündung gen Kopf zu richten - und sein bisheriges Leben kurz genug, um seinem baldigen Ende in fünf Zeilen Traueranzeige zu gedenken. Ein schneller Anruf beim Lokalblatt, ein Schuss, dann wird es milchig weiß. Der alte Bärtige, der freundlich grüßt, ist jedoch nicht Gottvater, sondern der Bettnachbar im städtischen Krankenhaus. »Laut Statistik gelingt es neunundneunzig von hundert Leuten, die sich mit einem Gewehr in den Kopf schießen, dabei zu sterben«, heißt es lakonisch aus dem Off. »Einem nicht. Das bin ich.«

Coconut Hero hadert nicht lang. Gleich zu Beginn ist klar: Das hier ist Ernst, aber das ist kein Grund, jetzt ernst zu werden. Der Tonfall, pointiert, trocken, ironisch, wird von statisch-schrägen Aufnahmen gestützt, die die wolkenverhangene Tristesse der kanadischen Pampa einfangen, in der Mike Tyson zwischen Motels und Sägewerk aufwächst. Ebenso klar das familiäre Umfeld: Als Mikes Mutter (Krista Bridges) hektisch in die Notaufnahme stürmt und nichts Besseres als ein »Du weißt doch, dass du nicht mit Waffen spielen darfst!« zu keuchen weiß, bekommt man eine vage Ahnung, woher die Lebensunlust ihres sechszehnjährigen Sohnes rührt. Cynthia Tyson, pinke Fingernägel und ein Lidschatten, der alles giftig wegglitzert, lässt einen missglückten Suizidversuch nicht als Ausrede durchgehen, um Mike nicht direkt dort abzusetzen, wo er nie wieder hin wollte: in die Schule.

Hier ist er, Überraschung, der Außenseiter. Das ist bekannt, erinnert an ein pickelfreies MTV Made oder ein babyloses Juno. In Biss- und Bartlosigkeit könnte Mike der große Bruder von Submarine-Protagonist Oliver Tate sein, nur dass der nicht auch noch unter seinem Namen zu leiden hatte: Mike Tyson sieht, sehr zur Freude seiner Mitschüler, bei Weitem nicht so aus, als würde er mit zwanzig Weltmeister im Schwergewichtskampf werden. Dabei spielt Alex Ozerov, der Florian Cossen durch einige Kartentricks für sich gewinnen konnte, seinen Helden so, dass man gar nicht verstehen mag, warum dieser in sympathischer Weise so unschuldige Junge, der aus toten Fliegen kleine Vanitas- Kunstwerke bastelt, eigentlich so unbeliebt ist.

Blöd auch, dass das mit der Todesanzeige funktioniert hat. Häme erwartet Mike an jeder Ecke dieser Endlosstraßen-Peripherie, zu freuen scheint sich über sein Überleben niemand. Und wie das so ist, wenn nichts stimmt außer einer immer klaren Bildkomposition, steht sogleich das nächste Übel vor der Tür: in Gestalt von Mikes von Geburt an abwesendem Erzeuger (Sebastian Schipper, der hier aussieht wie der Vater, der er in Drei zu werden versprach). Frank, Typ Baumfäller, erteilt Mike erst einmal eine Lektion in Männlichkeitstraining. Ausgerechnet beim Schießen kommen sich Vater und Sohn näher, auf die bohrenden Fragen jedoch wird keine Antwort gegeben. Wer eine Brücke zu Cossens Debüt Das Lied in mir schlagen möchte, findet sie hier: in dem nicht zu unterdrückenden Willen, den eigenen Ursprung kennen zu lernen und zu verstehen.

Ein zweites Mal hat sich das Duo aus Regisseur Florian Cossen und Drehbuchautorin Elena von Saucken also zusammengefunden. Wochenlang sind sie mit dem Auto durch Kanada gefahren, bis sie zweitausend Kilometer nördlich von Toronto auf den Ort stießen, der ihrer Vorstellung des fiktiven Faintville entsprach. Die Abgeschiedenheit dieses Ortes erschwerte zwar die Produktionsbedingungen, ist aber entscheidend für die Narration: Erst in dem provisorischen Selbstverständnis dieser allein aus wirtschaftlichen Gründen entstandenen Siedlung, erst in der Weitläufigkeit dieses middle of nowhere kann sich Mikes Außenseitertum in seiner simplifizierten Endgültigkeit entfalten.

Natürlich eskaliert der Versuch der Familienzusammenführung, aber zum Glück gibt es Miranda, die Neue im Dorf (Bea Santos). Was folgt, überrascht erst einmal nicht, abgesehen von einem Reh, das beim nun obligatorischen Road Trip vors Steuer rennt. Wenn Mike und Miranda in Moldy Peaches-Manier ein Grablied improvisieren, die unbeholfene Erotik einer Kopfmassage erfahren, dann sind das Momente, die je nach Alter Sehnsucht oder Nostalgie im Publikum erzeugen.

Neben Mark Monheims About a Girl ist Coconut Hero der zweite Film des letzten Sommers, der die Fallhöhe seines suizidalen Heldens durch dessen junges Alter konstituiert. In Mike Tysons Fall bleiben die konkreten Gründe im Unklaren, doch ist eine Psychologisierung auch gar nicht notwendig, geht es doch vielmehr um eine metaphorische Darstellung des Todes. Als gesellschaftliches Problem wird der Suizidversuch nicht verhandelt. Vielmehr dient er als Basis für einen unbekümmerten Tumorhumor, dem die Balance des Absurden gelingt - und der letztendlich, natürlich, eine Hymne aufs Durchhalten, Weitermachen und auf die Liebe ist.

Die Stärken des Films liegen jedoch in seinem Drumherum. Mikes chaotischem Innenleben setzt er eine klare, an nordamerikanische Low Budget-Produktionen angelehnte Ästhetik entgegen, durchkomponiert bis ins letzte Detail: von den Indie- Requisiten (eine quietschgelbe Regenjacke, eine knallrote Ukulele, ein schwedisch-blauer Truck), umrahmt durch eine Kulisse aus sattgrünen Warsteiner-Wäldern, bis hin zum eigens eingespielten Soundtrack, der nach juveniler Trucker-Melancholie klingt. Wenn die Melodie von Summertime verzerrt und langsam angeschlagen wird, mutet das parodisch an, denn hier ist allenfalls der cotton high. Brendan Steacys zeitgemäßer Kamera ist anzumerken, dass sie sich auch schon in den Dienst von Indie-Musikerinnen wie Feist gestellt hat - und vielleicht ist Coconut Hero genau das: ein feel good-Musikvideo mit klarem Sound und schöner Bildsprache, das Spaß macht. Bis das nächste kommt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ann-Kristin Tlusty

Extrem belastbare, superflexible und überaus ambitionierte Jungjournalistin.

Ann-Kristin Tlusty

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden