Und ich sehe den Toten beim Leben zu

TV Schauspielerin Hildegard Krekel an Krebs gestorben

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Schauspielerin Hildegard Krekel an Krebs gestorben, las ich letzte Woche und las schon fast woanders weiter, weil ich nicht weiß, wer das ist, dachte ich, und sah dann noch im Augenwinkel Ein Herz und eine Seele da stehen und dann kamen sie mit einem Schlag hervor, aus der Erinnerung, die Bilder von unserem Sofa in Berlin, auf dem ich hockte, saß und lag, das Sofa, das erst ausgewechselt wurde, als ich nicht mehr mit meinen Eltern Fernsehen guckte und die Erinnerung wurde stärker: Diether-mit-H Krebs, an einem Krebsleiden gestorben, Krebs-Krebs, ha-ha, haben wir damals auf dem Basketballplatz in Lichtenberg gelacht, als wir noch nicht wussten, was man zu dem Gefühl, das man dann hat, sagt. Schwarz-weiß und später bunt und: Dann sehe ich den Toten beim Leben zu. Mit dem nächsten Blick in die Erinnerung. Sehe mich hocken, sitzen, liegen und zusehen, wie sie über Ekel Alfred lachen, über Ekel Alfred resignieren, über Ekel Alfred schimpfen, mit Ekel Alfred kochen, neben Ekel Alfred Fernsehen gucken und neben Ekel Alfred selbst auf Sofas sitzen, die Toten, schwarz-weiß, später bunt. Erinnerung. Und ich sehe sie leben. Und wie sie spielen. Fernseher an, Best-of-Ekel-Alfred, wieder mal dran, ein neuer Tod, ein neuer Anlass für den Sender, mir noch mehr Bilder von den Toten zu geben, als die Erinnerung das kann, ich gucke genau hin, sehe ein Schmunzeln, das nicht zum Spiel gehört, höre ein Stocken in der Stimme, das nicht rausgeschnitten wurde, sehe sie Fehler machen und lachen. Die Toten. Und dann les ich ihre Namen im Abspann. Von unten nach oben ziehen sie den Fernseher rauf, repeat, lese noch mal nach, die Toten, Wikipedia schreibt mit und nennt das Nekrolog, zählt sie auf, die Toten, schließt die Leben mit einem Bulletpoint ab, das Update schon bereit für den nächsten, wird online gestellt, sobald die Röhre ausgeht, bei Nacht. Und ich schalte wieder an und als wäre es jetzt, sehe ich den Toten noch einmal beim Leben zu aber dieses Gefühl, um das es geht, kommt nur bei denen, die nicht überrascht wurden. Sie spielen da, in den Filmen, alten Filmen, und sie spielen unbefangen von der Gefahr, die in ihnen schlummerte, damals schon, und ich sehe sie schmunzeln, stocken, Fehler machen in dem Schatten, den ihre Körper über sie legen, von Anfang an, der Schatten, den sie nicht sehen, wie man Wolken am Tag oft nicht sieht, weil es trotzdem hell ist und sehe sie nicht wissen, was ich weiß, wenn ich zugucke: Sie lauert in ihnen. Die lange schwere Krankheit ohne Komma getrennt. Nicht auf einmal vom Zufall als Unglück gebracht wird er plötzlich da sein, ihr Tod, nein, er wird aus ihnen kommen, von den Genen geschickt, und Du wirst fast verrückt, schwarz-weiß, dann bunt, spüre ich so etwas wie Schuld daran, sie nicht zu warnen vor dem, was kommt, vor dem, was jetzt gekommen war, spüre so etwas wie Schuld daran, sie nicht zu warnen vor ihren Körpern und der Gefahr, die in ihnen lauert, die Gefahr, die während sie schmunzeln, stocken, Fehler machen sich schon ausbreitet, spüre den Tod in ihrem Lachen, spüre ihn da lauern, mit einem Grinsen vom linken bis zum rechten Mundwinkel, bevor sie sich küssen, vor dem Schlafengehen. Wenn die Folge zu Ende ist.

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Hinweis: Dieser Artikel wird am kommenden Sonntag, 09:00 Uhr auch auf meinem Blog veröffentlicht, in dem es überwiegend um Berliner geht.

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