Den Krieg kennen wir in dieser Region seit Jahrhunderten. Genau genommen kennen wir nichts anderes“, sagt der Künstler Alik Bilen, der gemeinsam mit anderen Malern in der Flüchtlingsstadt Machmur, eineinhalb Autostunden nordwestlich von Kirkuk, ein kleines Atelier bewohnt. Es liegt in einem unverputzten Haus und in einer kahlen, von einer gleichmütigen Sonne beschienenen Wüstengegend. Bilen malt Bilder, in denen sich die Ästhetik der kurdischen Bergwelt ebenso spiegelt wie der Alltag der vielen kleinen Kriege, von denen die Region seit Jahrzehnten heimgesucht wird. Einige Gemälde zeigen brennende Barrikaden, folternde oder plündernde Soldaten, dazu Reste von Häusern, von denen so wenig übrig blieb, dass sie kaum mehr einen Schatten werfen.
en.Für ähnliche, nicht ganz so drastische Motive sorgt gerade der Vormarsch der irakischen Nationalarmee in der Erdölregion rund um die Millionenstadt Kirkuk. Von der Antiterroreinheit CTS wie schiitischen Milizen wird die Metropole seit gut einer Woche kontrolliert. Bei diesem Vorstoß handelt es sich um die bislang härteste Reaktion der Regierung in Bagdad auf das Unabhängigkeitsreferendum in der Kurdenregion am 25. September, als gut 92 Prozent der Wähler für einen Abschied vom irakischen Staat stimmten. Nun allerdings weht die irakische Flagge wieder über den meisten öffentlichen Gebäuden Kirkuks, über Ölförder- und Erdgasanlagen oder dem Kraftwerk und Handelshäusern.Barzani paddelt zurückDer Maler Alik Bilen verfolgt das mit gemischten Gefühlen. Irgendwelche Sympathien für den kurdischen Regionalpräsidenten Masud Barzani, der nun den Verlust von Kirkuk verkraften muss, sind ihm fremd. Er kam in den 1990er Jahren mit seiner Familie als Flüchtling aus den türkischen Südostanatolien nach Machmur. Seinerzeit entstanden dort die ersten provisorischen Unterkünfte, über denen die Farben der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) wehten, woran sich bis heute nichts geändert hat. Bald wurde aus Machmur eine Siedlung, in der immer mehr Menschen Zuflucht fanden, anfangs unterstützt von den Vereinten Nationen. Zwischenzeitlich seien im Camp die Trucks des UN-Flüchtlingshilfswerkes eine Seltenheit, erzählt Beritan, eine ältere Kurdin. Masud Barzani sei daran schuld, er wolle den Ort von der Außenwelt abschirmen. Es sei ihm, klagt Beritan, ein Dorn im Auge, dass die PKK hier einen so starken Rückhalt habe. Um das zu verstehen, müsse man wissen, dass die PKK und Barzanis Peschmerga noch Mitte der 1990er Jahre aufeinander schossen. Im Augenblick jedoch, da die irakische Nationalarmee weit auf kurdisches Gebiet vorgerückt ist, gibt es eine Art Burgfrieden, der dazu führt, dass PKK-Kommandanten eigene Kämpfer in den Großraum Kirkuk beordert haben, aber den wuchtigen Operationen des irakischen Militärs bisher wenig entgegensetzen können.Schon kurz nach dem Referendum über die Unabhängigkeit überkam Barzanis regierende Demokratische Partei Kurdistans (PDK) offenbar Angst vor der eigenen Courage. Sie ruderte zurück, als der Druck aus Bagdad, Ankara und Teheran immer stärker wurde. Plötzlich wollte Barzani das Plebiszit nur noch als Votum verstanden wissen, bei dem es um ein Mandat für weitere Verhandlungen mit der Zentralregierung in Bagdad gegangen sei. Freilich gab es dazu nie eine belastbare Agenda, geschweige denn den erklärten Willen von Premier Haider al-Abadi, in derartige Gespräche einzutreten.Placeholder infobox-1Es ist noch nicht lange her, da wirkte Barzani wie ein Protegé des türkischen Präsidenten Erdoğan, mit dem sich gute Geschäfte abschließen ließen. Ein Großteil des in der Autonomieregion geförderten Öls wurde in Richtung Türkei gepumpt. Barzani erlaubte Erdoğan sogar die Stationierung türkischer Soldaten in der Region – und protestierte nicht, wenn dessen Armee wieder einmal die Kandil-Berge bombardierte, um Rückzugsräume und Basen der PKK zu treffen, die zumindest auf dem Papier zum Terrain von Barzanis Administration in Erbil gehörten. Doch nicht allein die PKK-Guerilla war Barzani und Erdoğan ein Dorn im Auge, Gleiches galt für die Selbstverwaltung der Kurden im nordsyrischen Rojava, die an Einfluss gewann, je länger der syrische Bürgerkrieg dauerte. Dabei galt für Ankara stets die Maxime: Bei aller ökonomischen Kooperation mit Irakisch-Kurdistan bleibt dessen politische Eigenständigkeit unerwünscht.Ihre Feinde werden FreundeUmso mehr überraschte es, dass vor dem Unabhängigkeitsreferendum kurdische Autoritäten im Nordirak davon überzeugt schienen, Erdoğan werde ihnen den eigenen Staat zugestehen, solange nur das Öl fließe und eine solche Entität gegenüber Ankara gefügig sei. So sah das auch mancher Bewohner der Flüchtlingsstadt Machmur, wo freilich das Ergebnis der Abstimmung Ende September nicht mit der gleichen Euphorie quittiert wurde wie sonst im Nordirak. Der Grund: In Machmur existiert seit Jahren ein basisdemokratisches Rätesystem und wirkt wie ein Kontrastprogramm zur Autokratie Barzanis in der Kurden-Kapitale Erbil.„Dieses Referendum hat Kurdistan geschadet. Es hat nicht mehr Freiheit, sondern eher noch mehr Abhängigkeit vom türkischen Staat gebracht“, ist Grundschullehrer Agit überzeugt, der in Machmur Englisch unterrichtet. An wen solle man sich sonst halten, wenn Bagdad so wie in diesen Tagen gegen die Kurden mobilmache. Ja, sagt Agit, auch er sympathisiere mit der PKK. Erst vor kurzem seien zwei Gesinnungsfreunde durch eine Handgranate getötet worden. „Hinter einem solchen Attentat steckt entweder der Daesh (akronyme Bezeichnung für den Islamischen Staat) oder der türkische Geheimdienst“, vermutet Agit. Er löffelt viel Zucker in seinen Tee und hält kurz inne, als über ihm das Dröhnen von Kampfjets zu hören ist.Der Drang nach Unabhängigkeit in Irakisch-Kurdistan hat erklärte Feinde ihren Hader vergessen lassen – die Türkei und Iran zum Beispiel. In Syrien führen beide indirekt Krieg gegeneinander, hat doch Staatschef Erdoğan im Glauben an eine regionalmächtige Mission jahrelang sunnitische Milizen aus dem Anti-Assad-Lager unterstützt, während Iran schiitischen und alawitischen Verbänden beisteht, die für Baschar al-Assad kämpfen. In den Tagen nach dem Unabhängigkeitsreferendum traten türkische Streitkräfte zuerst gemeinsam mit irakischen, dann mit iranischen Einheiten zu kleinen Manövern an, bevor es zu den Kampfhandlungen rings um Kirkuk kam.Dieser Eskalation gingen Wirtschaftssanktionen voraus, zu denen sich ebenfalls nicht nur Bagdad und Ankara aufrafften. Auch Teheran stoppte die Ausfuhr von raffiniertem Öl, das in Irakisch-Kurdistan für die Treibstoffproduktion gebraucht wird. Die Türkei blockierte zusätzlich Pipelines, durch die Rohöl fließt, auf dessen Verkauf die Autonomieregion angewiesen ist. Im Normalfall strömen aus dem Raum Kirkuk täglich 120.000 Barrel Erdöl in Richtung der türkischen Hafenstadt Ceyhan, umgerechnet etwa 20 Millionen Liter. Vor zwei Jahren hatte die Barzani-Administration beschlossen, ihren Öltransfer autonom über die Türkei abzuwickeln – für die irakische Zentralregierung ein Affront sondergleichen. Es erscheint höchst fraglich, ob diese Praxis nach der Militäraktion der letzten Tage wieder auflebt.Ungeachtet dessen kann für Masud Barzani der Verlust von Kirkuk auch von Vorteil sein. In dieser wie in anderen Städten der Region ragen seit Jahren Bauruinen in den Himmel, zeugen vom einstigen Boom und seinem jähen Ende. Gewinne aus der Ölwirtschaft kamen beim Gros der Bevölkerung nie an, sodass wachsender Unmut nicht ausblieb. Dass Bagdad nun durch seine harsche Revanche gegen die Unbotmäßigen eine an sich zerrissene Gemeinschaft wieder zusammengeschweißt, mag Autokraten wie Barzani zugutekommen. Er kann sich als kurdischer Patriot inszenieren, den allein Gewalt und Übermacht zum Rückzug zwingen, und gegenüber der konkurrierenden Patriotischen Union Kurdistans (PUK) an Terrain gewinnen. Während die PDK und der Barzani-Clan im Norden des Autonomiegebietes das Sagen haben, wurde der Süden bisher von der PUK und der Familie des Anfang Oktober verstorbenen Dschalal Talabani (2005 bis 2014 Präsident des Irak) beherrscht – doch im Süden steht nun teilweise irakisches Militär. Sowohl der Barzani- als auch der Talabani-Clan schanzten Kommandohöhen in Verwaltung und Ökonomie am liebsten der eigenen Verwandtschaft zu. Unter bürgerlichem Firnis dominierten überkommene patriarchal-feudale Familienbande und wollten in den eigenen Staat übernommen werden. Der allerdings bleibt vorerst auf ein fiktionales Dasein beschränkt.Und auch wenn es wenig realistisch klingt, erklären Peschmerga-Generäle bei ihren Pressekonferenzen in Erbil unverdrossen: Man werde „kurdischen Boden um jeden Preis“ verteidigen. Nichts sei verloren. Man habe nach dem Irak-Feldzug der USA im Frühjahr 2003 der Zentralregierung in Bagdad schon einmal große Kompromisse abgerungen. Warum sollte dies nicht erneut gelingen? Ausgeblendet wird der Verweis darauf, dass einst die US-Besatzungsmacht dem kurdischen Alliierten gefällig sein und vieles von dem durchsetzen konnte, was der wollte. Ignoriert wird ebenso: Das Territorium der Autonomen Region Kurdistan ist gegenwärtig um einiges kleiner als 2003.Placeholder authorbio-1
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