Ein Plus und die Tücken der Statistik!

Reallöhne Die Reallöhne sind 2012 gestiegen. Alles ist gut und wer klagt, er habe immer weniger Geld im Portmonee, der lügt? Ganz so einfach ist die Sache dann wohl doch nicht.

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Die Reallöhne stiegen 2012 um 0,6 Prozent. Die Deutschen haben wieder mehr Geld im Portmonee. Punkt und Aus. Fertig! Wirklich? Natürlich ist es nicht ganz so einfach, auch wenn es vielleicht in Wahljahren gerne einmal einfach gemacht wird. Wir sollten aber vielleicht doch einmal etwas ins Detail gehen. Die Entwicklung der Reallöhne errechnet sich aus der durchschnittlichen Steigerung der Arbeitsverdienste, verringert um die Inflationsrate (durchschnittliche Preissteigerung). Also schauen wir uns die Preise, die Nominallöhne und die Reallöhne an, weil Politiker in Wahljahren gerne einmal Zahlenmaterial nutzen. Und als Wähler sollte man vielleicht stets die Frage im Kopf halten, was nun nackte Zahl und was Interpretation der Zahl ist. Willkommen bei den Tücken der Statistik.

Die Löhne steigen

Die Löhne steigen. Wirklich! Das Statistische Bundesamt verzeichnete für 1991 im produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich ohne Sonderzahlungen einen Durchschnittslohn von 1.832 Euro. 2011 waren es bereits 3.311 Euro. Wie schön. Allerdings stößt man hier dann natürlich auf eine erste Tücke der Statistik, weil jede Branche und jede Position in einem Unternehmen (Abteilungsleiter und Angelernter) in die Berechnung des Durchschnittlohns einfließt. In gewisser Weise ist das das alte Problem: Zwei Personen, von denen die eine 4.500 und die andere 1.500 Euro monatlich verdient, haben im Durchschnitt jeweils 3.000 Euro, aber eben nur im Durchschnitt. Das alles bedeutet keineswegs, dass die Statistiker einen schlechten Job gemacht haben. Die Zahlen lügen nicht. Man darf halt nur ihre Aussagekraft nicht überbewerten. Werfen wir einen Blick auf die Preise!

Alles wird (nicht?) immer teurer

Alles wird teurer? Statistisch gesehen, ist das nicht ganz verkehrt. Setzt man – wie das Statistische Bundesamt in seiner Langen Reihe „Verbraucherpreisindex für Deutschland“ (mit Daten ab 1948) – die Verbraucherpreise des Jahres 2010 auf den Indexwert 100, so liegt der Verbraucherpreisindex für 1991 auf dem Indexwert 70,2 und der für 2012 auf 104,1. Nimmt man also die Preise unterschiedlichster Produktgruppen für die Jahre 1991 und 2012 jeweils zusammen, so war das Leben im Jahr 1991 deutlich preisgünstiger als 2012. Allerdings verdiente man natürlich im Durchschnitt auch weniger. Aber das kommt später!

Recht teuer wurden etwa die Energiekosten im Wohnbereich. Das Statistische Bundesamt setzt die Durchschnittspreise des Jahres 2010 für Strom, Gas und andere Brennstoffe auf den Indexwert 100 und hat für Januar 2013 bereits einen Indexwert von 120,6 errechnet. Auch bei Nahrungsmitteln sind die durchschnittlichen Preise des Jahres 2010 für das Statistische Bundesamt der Bezugswert. Er stieg bis zum Januar 2013 auf 109.

Betrachtet man dagegen etwa den Markt für Dienstleistungen in der Telekommunikation, so dürften sich Konsumenten bereits seit mehreren Jahren über tendenziell sinkende Preise freuen. Das Statistische Bundesamt setzt sowohl im Bereich „Festnetz und Internet“ als auch beim „Mobilfunk“ für das Jahr 2005 einen Indexwert von 100 an. 2012 lag der Wert im Bereich „Festnetz und Internet“ nur noch bei 88,3. Noch stärker sank der Wert bei der mobilen Telefonie und beim Surfen und erreichte 2012 hier 77,8. Das liegt wohl nicht zuletzt an der immensen Konkurrenzsituation, der Anbieter fürs Telefonieren und Surfen heute in Deutschland ausgesetzt sind.

Jammern auf hohem Niveau?

Wir haben die Preise. Wir haben die Arbeitseinkommen. Die Statistiker geben allen Interessierten damit sämtliche Daten zur Hand, um die Reallöhne zu bestimmen. Aber es geht natürlich auch viel einfacher. Das Statistische Bundesamt erspart einem hier einiges an Arbeit und hat selbst errechnet, dass die Reallöhne zumindest in den letzten drei Jahren gestiegen sind: 2010 um 1,5, 2011 um 1,1 und 2012 immerhin noch um 0,6 Prozent. Der Wert für 2012 ergibt sich aus einer Lohnsteigerung von durchschnittlich 2,6 Prozent und einer Preissteigerung von zwei Prozent. Und jetzt ... jetzt kommt das „aber“.

Trotz des Aufwärtstrends verzeichnete das WSI Tarifarchiv der Hans-Böckler-Stiftung 2012 bei den Reallöhnen im Vergleich zu 2000 noch immer um 1,8 Prozent gesunkene Reallöhne. Fakt bleibt dennoch: Der Trend der letzten drei Jahre ist positiv. Punkt. Aber vielleicht nicht für alle? Hier hilft ein Blick auf die sogenannten Leistungsgruppen, die die Statistiker definieren. Werfen wir einen Blick auf die Datei mit dem schön langen Namen „Durchschnittliche Verdienste und Arbeitszeiten nach Beschäftigungsart und Leistungsgruppen im 3. Quartal 2012“. Hier werden Lohnsteigerungen fürs dritte Quartal 2012 mit dem Vorjahr verglichen, wobei auch Zahlen für fünf verschiedene Leistungsgruppen präsentiert werden:

* Leistungsgruppe 1 "Arbeitnehmer in leitender Stellung"
* Leistungsgruppe 2 "Herausgehobene Fachkräfte"
* Leistungsgruppe 3 "Fachkräfte"
* Leistungsgruppe 4 "Angelernte Arbeitnehmer"
* Leistungsgruppe 5 "Ungelernte Arbeitnehmer"

Werfen wir einen Blick auf die Verdienstentwicklung zwischen den Quartalen 3/2011 und 3/2012. Bezogen auf alle Leistungsgruppen, ergibt sich für voll- und teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer ein durchschnittlicher Zuwachs des Monatsverdienstes von 2,6 Prozent. Bei den Leistungsgruppen 1 und 2 beträgt der Zuwachs 3,2 beziehungsweise 3,8 Prozent bei gleicher Arbeitszeit wie im Vorjahr.

Bei der Leistungsgruppe 5 ergibt sich ebenfalls ein Zuwachs von immerhin 2,7 Prozent. Er wurde allerdings möglicherweise zumindest zum Teil mit einem Anstieg der Durchschnittsarbeitszeit um 0,7 Prozent bezahlt. Auffallend ist: In dieser Gruppe wurde scheinbar in besonderem Maße dafür gesorgt, dass sich die Verdienste von Männern und Frauen etwas mehr angleichen. Während der Zuwachs bei den Frauen 3,6 Prozent erreichte, lag er bei den Männern nur bei 1,5 Prozent.

Verlierer beim Blick auf alle Teil- und Vollzeitkräfte (m und w) sind die Leistungsgruppen 3 und 4, bei denen der durchschnittliche Verdienstzuwachs bei 1,8 beziehungsweise 0,4 Prozent gelegen hat. Berücksichtigt man die Teuerungsrate von 2 Prozent, hat man es hier also mit sinkenden Reallöhnen zu tun. Und das könnte deshalb problematisch sein, weil Reallohnverluste gerade bei niedrigeren Einkommen oftmals problematischer sein können als bei höheren.

Und was nun?

Man soll ja nicht alles schlecht reden: Ein Reallohnanstieg von 0,6 Prozent ist gut! Andererseits soll man auch nicht alles schön reden. Und für manch einen hat die Sache mit den Reallöhnen 2012 ganz anders ausgesehen. Kein Plus. Eher ein Minus. Und so geht es hier einerseits darum, ein wenig für den Umgang mit Statistiken zu sensibilisieren, sodass man Statistiken künftig mit mehr Vorsicht genießt. Es geht andererseits auch darum, ein bisschen abzuklären, ob der Wunsch nach mehr Geld im Portmonee, den man in Deutschland immer wieder einmal hört, Jammern auf hohem Niveau ist oder nicht. Eine endgültige Antwort bleiben wir schuldig.

Die Sache wird schließlich nochmals komplizierter, weil im bisher Geschriebenen noch immer Faktoren außen vor geblieben sind: Steuern und Abgaben auf der einen und staatliche Zuschüsse auf der anderen Seite. Auch sie haben natürlich Einfluss darauf, wie viel Geld einem am Ende bleibt. Und zugleich sind sie diejenigen Instrumente, auf die Politik am ehesten Einfluss hat, während der staatliche Gestaltungsspielraum bei Preisen und Löhnen eher begrenzt ist. Fakt ist auch: Rentner, Arbeitslose und kleine Selbstständige bleiben bei Fragen rund um Reallöhne unberücksichtigt, obwohl ihre Zahl nicht unerheblich ist. Wir werden also irgendwann noch ein bisschen tiefer ins Thema eintauchen müssen. Aber das heben wir uns auf: für später.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ansgar Sadeghi

Ein neugieriger Mensch, der gerne im 3-Länder-Eck D-BE-NL lebt, andere Menschen spannend findet und sich (manchmal) gerne so seine Gedanken macht.

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