Am seidenen Faden

Uraufführung: Das Drama "EduArt" von GeoMöhr überrascht auf der O-Bühne in Arnis mit berührenden Schicksalen dreier von „leibhaftigen“ Menschen dargestellten Handpuppen und Marionetten

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Eingebetteter MedieninhaltVideoprojektionen erweitern zunehmend die Darstellungsmöglichkeiten in Theaterinszenierungen. Auch Puppen werden vermehrt eingesetzt, etwa in Moritz Sostmanns Kölner Inszenierung von Brechts Der gute Mensch von Sezuan oder bei Suse Wächter. Ute Off, die Hausregisseurin der O-Bühne in Arnis, inszeniert nun EduArt, ein Puppentheaterstück für Erwachsene von GeoMöhr. In ihrer Adaptation geht Off eigene künstlerische Wege. So werden die Figuren des Dramas - die Marionetten EduArt und Pino und die Handpuppe Marion – ausschließlich von „leibhaftigen“ Menschen dargestellt, die choreographisch subtil Bewegungsaspekte der jeweiligen Puppengattung einfließen lassen. Die Fäden, an denen die „Marionetten“ hängen, werden zuerst mit Seilen und später durch Laser- und Lichteffekte dargestellt. Das spärlich ausgestattete Bühnenbild lässt den Figuren Raum für künstlerisch anspruchvolles, hinreißendes Spiel.

EduArt gliedert sich entsprechend der Vorlage in drei Teile, aus denen sich auch der Name der Titelfigur zusammensetzt. „E“ steht für den Schauspieler EduArt und schildert, wie die Hauptfigur unter seiner Rolle und seinen Abhängigkeiten leidet. „Du“ steht für EduArts Begegnung mit Marion und „Art“ für das Verhältnis Kunst-Leben.

EduArt-Darsteller Ole Voß spielt ausdrucksstark mit Bewegungen, die zwar an Marionetten erinnern, zugleich aber eine eigene Ästhetik vermitteln. Zu Beginn der Inszenierung wird EduArts Auftritt als Hamlet per Video eingespielt, und er spricht den berühmten Monolog: „Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage…“. Anschließend sitzt der Schauspieler EduArt auf der Bühne in sich zusammengesunken. Er beschreibt, wie abhängig er sich in seiner Rolle fühle und dass er sich zutiefst unsicher über seine Existenz sei. In seiner Verzweiflung versucht EduArt sich das Leben zu nehmen, indem er seine Marionettenfäden durchschneidet. Dies gelingt ihm allerdings nur bis auf einen Faden, nämlich dem, der seine Hand hält, mit der er die Schere führt. Folglich wird er gerettet, die Fäden werden wieder zusammengebunden und er wird wie fremdbestimmt emporgehoben.

Trotzdem befindet sich EduArt im zweiten Teil des Stücks auf einem Krankenzimmer. Hier lernt er die Patientin Marion (keck und zerbrechlich: Manon Fitz) kennen. Sie ist eine Handpuppe, die ihrerseits darunter leidet, völlig leer zu sein und nur dann, wenn sie gespielt wird, sich als erfüllt zu erleben. Marion verliebt sich in EduArt, der nach einigem Zögern auf ihre Avancen eingeht. Doch als Marion ihren alten Freund Pino (behände und schlaksig: Falk Otto) wieder trifft, verliert sie das Interesse an EduArt.

Anrührend umgesetzt ist die Szene, in der EduArt nachts im Traum seinem Alter Ego begegnet und entsetzt aufschreckt, als er im Blitz auch dessen Fäden erkennt. EduArt leidet daran, wie er von seiner Rolle abhängig ist und niemals er selbst sein kann. Schlimmer noch, er weiß nicht, wer und ob er wirklich ist. Pino macht sich da überhaupt keine Sorgen. Er nimmt alles wie es kommt, fragt nicht nach Wahrheit oder Lüge, Echtheit oder Künstlichkeit. Rolle, Spiel und Wirklichkeit sind für ihn unterschiedslos. Genau das ist es, was Marion an ihm fasziniert. Sich nur in einer Rolle lebendig zu fühlen und dies der inneren Leere – als Handpuppe – gegenüberzustellen vermittelt die Marion-Darstellerin Fitz überzeugend. EduArts Weg ist seine sehr persönliche Auseinandersetzung mit Anspruch und Wirklichkeit, Idealvorstellungen und Abhängigkeiten. Vor allem sein hoffnungsloses Aufbegehren gegen seinen Marionettenspieler vermag das Publikum zu beunruhigen. EduArt führt uns zu den Fragen, die alle Menschen betreffen, gerade weil er in seinem eigenen Leid so sehr gefangen ist. Nach einigen Verwicklungen gibt es jedoch ein versöhnliches Ende für EduArt und Marion, wenn sich für sie eine gemeinsame Perspektive eröffnet. Hier gelingt es Off, den Gedanken der Inszeniertheit in das Ende hinein fortzuführen, das Phänomen „Happy-End“ also gewissermaßen zu verhandeln und bis zum Schluss in einer schwebenden Spannung zu halten. Zuletzt werden zeitgleich vom Publikum gemachte Fotos in rasch wechselnder Folge in einem Blitzlichtgewitter an die Wand im Bühnenhintergrund projiziert.

EduArt ist ein beeindruckendes Theaterstück, das in allegorischer Klarheit philosophische Fragen nachvollziehbar auf ihren Ursprung zurückführt. Mit den Bedingungen eines Puppenspiels wird die Conditio humana auf bestimmte Typen bezogen. Die Inszenierung hält bis zuletzt eine fesselnde, bedrückende Spannung und lädt das Publikum dazu ein, am Prozess der Auseinandersetzung mit existentiellen Fragen in zeitgemäßer Form teilzunehmen. Die besondere Leistung der Darsteller besteht darin, stets eine Balance zu halten zwischen spielenden Puppen und sich über ihre Existenz fragende Wesen und dabei eine Atmosphäre gleichzeitiger Künstlichkeit und Authentizität zu erzeugen.

Dieser Beitrag erschien erstmals am 1. April 2016 auf Kultura Extra.

EDUART (O-Bühne, 01.04.2016)

Regie& Bühne: Ute Off

Lichtdesign & Kostüme: Lumidee Lichte

Besetzung:

EduArt … Ole Voß

Marion … Manon Fitz

Pino … Falk Otto

Uraufführung an der O-Bühne in Arnis war am 1. April 2016

Weitere Termine: nach Rücksprache auf Anfrage

Weitere Infos

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ansgar Skoda

Redakteur& Kulturkritiker u.a. bei der "TAZ" & "Kultura Extra" http://about.me/ansgar.skoda Webentwickler und Journalist

Ansgar Skoda

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden