Ein gesprochener Prolog einer Frau aus dem Off legt sich über die Orchesterklänge der Ouvertüre. Hier wird gleich zu Beginn ein innerer Monolog Sentas zum schwermütigen Holländer-Motiv eingespielt. Währenddessen schreitet eine Frau, offensichtlich Senta, im Business-Look aus Blazer, Bluse und Stoffhose über die Bühne. Sie blickt in sich gekehrt und hingebungsvoll, während sie alte Zeitungsschnipsel inspiziert. Der Monolog lässt verlauten, dass sie sich am Ort ihrer Jugend an Zurückliegendes erinnert. Ist sie etwa nicht dem fliegenden Holländer gefolgt, um ihn durch ihren Treueschwur zu erlösen?
Richard Wagner ließ sich zu seiner romantischen Oper Der fliegende Holländer durch eine düstere Legende inspirieren. Der Titelheld des Seefahrermädchens hat sich eine Gotteslästerung zu Schulden kommen lassen und bereist deshalb bis in alle Ewigkeit unerlöst auf einem Geisterschiff die Weltenmeere. Erlösen kann ihn nur die Liebe eines Menschen, der mit ihm seinen Weg teilen möchte. Im Staatenhaus, der Ausweichspielstätte der Oper Köln, inszeniert der 46jährige Benjamin Lazar Wagners Dreiakter von 1843 mit einem sparsam-trostlosen Einheitsbühnenbild aus funktionalen Containern, Metallgeländern, Blechtonnen und Holztischen vor dunklem Hintergrund. Auf eine Art Zwischendeck spielt dekorativ das Gürzenich Orchester Köln.
Regisseur Lazar setzt in seiner Inszenierung der zeitlosen Dreiecksgeschichte um den charismatischen Holländer, Senta und ihrem Verlobten, den Jäger Erik, das Hauptaugenmerk auf die Figur der Senta. Er verortet das Geschehen in einem sozialistischen Staat um 1990 nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Diese, in der Einführung und im Programm angekündigte Neuverortung lässt sich jedoch weder an der Ausstattung, noch an den aufwendigen, individuell gestalteten, phantasievollen Kostümen von Adeline Caron ablesen. Trotzdem gibt es szenische Änderungen der Vorlage. So singen die ungehobelten Seeleute von Sentas Vater Daland (ausdrucksstark: Lucas Singer) im dritten Akt auch den wechselvoll-unheimlich Chor der Geistermannschaft des Holländers. Diese Matrosen des Holländers werden in Köln durch willenlos stumme Statisten in Ledermontur verkörpert und sodann auch durch Dalands leicht verunsicherte Mannschaft lustvoll malträtiert.
Als Lei(d)motiv singt die Schwedin Ingela Brimberg als Senta bewegend mit lyrisch-dramatischem, nuanciertem, wohltemperiertem Sopran die Ballade des zur ewigen Umsegelung des Kap Horns verdammten Kapitäns. Den Holländer gestaltet der Bariton Joachim Goltz konzentriert und eindringlich mit ausdrucksstarkem Bariton. Das Gürzenich-Orchester musiziert dicht mit wogender Dynamik und treibendem Tempo. Insbesondere der Chor und Extrachor der Oper Köln, unter der musikalischen Leitung von François-Xavier Roth, unterstützen schlussendlich die klangliche Wucht. Leider verwirren die Neuerungen der Geschichte eher, anstatt diese zu erhellen. Insbesondere wird die Motivation Sentas, bei aller andeutungsreichen Neuakzentuierung ihrer Figur, nicht ganz klar.
DER FLIEGENDE HOLLÄNDER (Staatenhaus Saal 1, 4.4.2023)
Inszenierung: Benjamin Lazar
Bühne & Kostüme: Adeline Caron
Co-Regie: Elizabeth Calleo
Licht: Andreas Grüter
Chorleitung: Rustam Samedov
Dramaturgie: Svenja Gottsmann
Musikalische Leitung: François-Xavier Roth
Besetzung:
Daland … Lucas Singer
Senta … Ingela Brimberg
Erik … Young Woo Kim
Mary … Dalia Schaechter
Der Steuermann … SeungJick Kim
Der Holländer … Joachim Goltz
Chor der Oper Köln
Extrachor der Oper Köln
Gürzenich-Orchester Köln
Statisterie der Oper Köln
Premiere war am 2. April 2023 im StaatenHaus, Saal 1.
Uraufführung war am 2. Januar 1843 am Königlichen Hoftheater Dresden.
Nächste Termine: 5., 7.5.2023
Weitere Infos siehe auch: https://www.oper.koeln/de/programm/der-fliegende-hollander/6367
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