Der väterliche Blick auf schwule Liebende

Autorenlesung André Aciman sprach bei der Buchpremiere von „Fünf Lieben lang“ auch über seinen Liebesroman „Call me by your name“ und die neu erschienene Fortsetzung „Find me“

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André Aciman, 2017
André Aciman, 2017

Foto: Dia Dipasupil/Getty Images

Der Italo-Amerikaner André Aciman feierte jüngst die deutsche Buchpremiere seines Romans Fünf Lieben lang (2019) in der gemütlichen Buchhandlung Goltsteinstraße 78 im Kölner Süden. Er stellte hier am 16. September seinen Roman vor. Der Schriftsteller und Literaturwissenschaftler sprach mit der Literaturkritikerin Antje Deistler und dem Schauspieler und Autor Christoph Wortberg über seine Ideen, seine Sujets und seine Familie.

Der 68jährige Autor ist selbst seit langem mit einer Frau verheiratet ist und hat drei erwachsene Kinder. Schmunzelnd gestand er, seine Frau habe damit kein Problem, dass er besonders erfolgreich über schwule Liebe schreibe. Während des Gespräches erzählte der Autor, dass er, als er Call me by your name schrieb, sich selbst immer besonders in der Rolle des Vaters verortet sah. Seine drei Söhne waren in der Zeit, als er an diesem Roman arbeitete, zwischen 16 und 18 Jahren alt. Er wollte einen verständnisvollen Vater porträtieren, der die beiden Hauptprotagonisten als Außenstehender liebevoll beobachtet.

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Während der Kölner Lesung verriet Aciman, er habe die Figuren in Call me by your name genau wie jene in Enigma Variations geliebt. Übrigens soll der Originaltitel von Fünf Lieben lang an die Enigma Variationen des britischen Komponisten Edward Elgar erinnern. 1898 wurde Elgar eher zufällig zu einem Orchesterwerk in vierzehn Variationen inspiriert, das heute als sein Opus 36 auch in viele bekannte Filmsoundtracks wie z.B. Matrix (1999) oder Elizabeth (1998) einging. Auch seinen Roman begreift Aciman als Variationen eines Themas - dem Begehren.

In der Lesung las Christoph Wortberg, der in der Lindenstraße vor vielen Jahren eine schwule Figur spielte, Ausschnitte aus Fünf Lieben lang in deutscher Sprache, während Aciman selbst andere Teile des Romans aus dem Original las. Aciman sprach noch über seine ägyptische Herkunft und darüber, dass er auch eine italienische Staatsbürgerschaft besitzt. Seine Eltern waren sephardische Juden und er wuchs mit einer tauben Mutter auf. Lachend deutete er die Behinderung seiner Mutter auch als Fähigkeit: „Every deaf person speaks differently.“

Nach dem großen Erfolg von Call me by your name hatte Aciman sich lange mit der Entscheidung Zeit gelassen, eine Fortsetzung hierzu zu schreiben. Er wollte „not so obvious“ an den Erfolg anknüpfen. Mit Find me ist vor wenigen Wochen die lange erwartete Fortsetzung von Call me by your name erschienen und führt bereits einige Bestsellerlisten an. Der Facettenreichtum, mit dem Aciman unterschiedliche Arten des Begehrens in Fünf Lieben lang durchspielt, macht auch auf das Sequel um Elio und Oliver neugierig, das kommendes Jahr voraussichtlich bei dtv in deutscher Übersetzung erscheint.

Das Leben ist manchmal ein Fluss der Liebe. Die Schwierigkeit liegt darin, diesen zu genießen. Auch in Find me wird die Erzählung aufgebrochen, hier durch unterschiedliche Erzähler. Es kann viel passieren, denn schon in Fünf Lieben lang geht es um die Unwägbarkeiten des Lebens und der Liebe, für die es manchmal auch ein Körnchen Mut braucht:

„Das Leben, auf das wir beide nur von fern einen Blick erhaschen, wenn alles andere dunkel ist. Das Leben, das uns nicht gehört und dabei näher ist als unser eigener Schatten. Unser Sternenleben. Wie irgendjemand mal beim Abendessen gesagt hat: Jeder von uns bekommt mindestens neun Versionen seines Lebens vorgesetzt, und manche stürzen wir gierig hinunter, von anderen nehmen wir nur ängstlich einen winzigen Schluck, und manche wagen wir uns nicht an die Lippen zu setzen.“ (André Aciman, Fünf Lieben lang, S. 286)

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Links zu den neuen Romanen:

Find me

Fünf Lieben lang

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Geschrieben von

Ansgar Skoda

Redakteur& Kulturkritiker u.a. bei der "TAZ" & "Kultura Extra" http://about.me/ansgar.skoda Webentwickler und Journalist

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