Ein ganzes Amore-Tableau offenbart in immer neuen Konstellationen Landschaften sinnlich-erotischen Begehrens. Antike Mythen um Liebe, Macht, Rache und Unterwerfung werden kunstvoll miteinander verschränkt. Die verheißungsvoll-anrührende Geschichte La Calisto endet über den Wolken, mit der Entstehung des Sternbildes des Großen und des Kleinen Bären.
Bei Francesco Cavallis venezianischer Oper La Calisto (1651) kann man sich vorstellen, wie manch eine/r aus dem damaligen Publikum schon während der Aufführung darauf brannte, sich anschließend in amouröse Abenteuer im venezianischen Karneval zu stürzen. Diese Oper, in der die Figuren wie Jupiter mit Täuschung und Verkleidung arbeiten, gab hierzu gewiss eine verheißungsvolle Vorlage ab. Wie stellt sich die Handlung aus heutiger Sicht dar? Unverkennbar ist die Titelheldin als Objekt der Begierde den männlichen Gottheiten, in diesem Fall Jupiter, ausgeliefert. Er verguckt sich in die Waldnymphe Calisto, die aber ihrer keuchen Herrin, der Göttin Diana, Treue geschworen hat und Jungfrau bleiben möchte. Jupiter verwandelt sich dann in ebendiese Diana und verführt in dieser Gestalt die nichtsahnende Calisto. Jupiters Gattin Juno durchschaut dies und ist darüber empört. Sie weiß, dass sie gegen ihren göttlichen Gemahl nichts ausrichten kann und bestraft stattdessen Calisto, indem sie diese in einen Bären verwandelt. Jupiter erhöht die Bärin Calisto dann ehrenvoll zu einem unsterblichen Sternbild, auch um sie vor Schlimmerem zu bewahren.
Ob dieses Opfernarrativ im Venedig von 1651 den Zuschauern zur bloßen Unterhaltung diente und sie in ihren Sichtweisen auf die Geschlechtsrollen nur bestätigte oder ob doch schon auf die Täuschung und – wie wir es heute nennen: „Misogynie“ – hingewiesen wurde bleibt offen. Genauso, wie ihr Ende als Sternbild „Großer Bär“ am Himmel: ist dies ewiger Ruhm oder trauriges Schicksal? Mit der Vorlage, den Metamorphosen (8. n. Chr.) des römischen Dichters Ovid, wurde diese Frage schon in der Antike aufgegriffen.
Regisseur Jens Kerbel zeigt die Barockoper nun stark gekürzt in der Urfassung von Francesco Cavalli an der Oper Bonn. Das Team von fettFilm bringt in Videoprojektionen ein effektvolles Spiel von Licht und Schatten auf die Bühne. Als einheitliches, drehbares Bühnenbild wurde eine imposante, mehrebige Treppenkonstruktion gewählt. Die Bühne birgt eine Karg- und Trockenheit. Hier wächst nichts und mehrere Figuren suchen hier Wasser oder trinken welches, das sie mitbrachten.
Die insgesamt elf Instrumentalisten des Beethoven Orchester Bonn spielen die originalgetreue Partitur nuanciert und voller Elan. Die Sänger (glanzvoll insbesondere Tobias Schabel in der Rolle des Jupiter) gestalten ihre Solopartien höchst expressiv. Insbesondere der Prolog, den La Natura (Charlotte Quadt), L'Eternità (Susanne Blattert) und Il Destino (Marie Heeschen) nacheinander und gemeinsam vortragen, bleibt als fein modulierter stimmlicher Auftakt von kraftvoller Finesse in Erinnerung. Auch die 29jährige tschechische Opernsängerin Lada Bočková in der Titelrolle hinterlässt mit ihrem wandlungsfähigen Stimme und dem lebendigen und emotionalen Spiel einen bleibenden Eindruck. Wahrlich eine kurzweilige Sternstunde der Opernkunst.
Abbendum: In den antiken Mythen waren es (meist männliche) Götter, die die Sternbilder schufen, im Venedig des 17. Jahrhunderts wusste man schon einiges mehr über Astrophysik, glaubte aber meist doch noch an den männlich konnotierten Gott, der die irdischen Macht- und Geschlechterverhältnisse festgelegt habe. Heute wissen wir, die Sterne sind Milliarden von Jahren alt, sie wurden von Menschen (meist von Männern) benannt und Sternbilder sind aus irdischer Perspektive konstruierte Zusammenhänge einzelner Sterne.
LA CALISTO (Oper Bonn, 2.10.2020)
Musikalische Leitung: Hermes Helfricht
Inszenierung: Jens Kerbel
Bühne und Video: fettFilm (Torge Møller und Momme Hinrichs)
Kostüme: Verena Polkowski
Licht: Max Karbe
Dramaturgie: Constantin Mende
Besetzung:
L'Eternità / Pane … Susanne Blattert
La Natura / Diana / Giove in Diana … Charlotte Quadt
Il Destino / Giunone … Marie Heeschen
Giove … Tobias Schabel
Mercurio … Giorgos Kanaris
Calisto … Lada Bočková
Endimione … Benno Schachtner
Satirino / Erste Furie … Ava Gesell
Linfea / Zweite Furie … Kieran Carrel
Silvano … Martin Tzonev
Beethoven Orchester Bonn
Premiere an der Oper Bonn war am 2. Oktober 2020.
Nächste Termine: 8., 11., 18.10./ 1.11.2020
Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-bonn.de/de/programm/la-calisto/186718
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.