Nicht ganz dicht, doch Goethe war Dichter…

Theater Jugendlicher Stoffwechsel am Schauspiel Stuttgart mit "Die Leiden des jungen Werther" als einer knallbunt überdrehten Slapstickvorführung mit übertriebenem Körpereinsatz

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Die Leiden des jungen Werther" Stuttgart, Foto (C) JU Ostkreuz

Improvisiert werden anfangs noch Verse aus G.E. Lessings Drama Emilia Galotti vorgetragen, das einst auch Goethe inspirierte. Dann ruft ein Darsteller plötzlich aus, sie sollten doch Goethes Werther dem Publikum darbieten und sorgt so für allgemeine Erheiterung im Publikum. Flugs werden Rollen festgelegt. Es wird an diesem Abend zum ersten, aber ganz bestimmt nicht zum letzten Mal durcheinander ausgerufen und übereinander geklettert, ziellose Energie, die sich auch sonst im Werther am Schauspiel Stuttgart ungezügelt Bahn bricht…

Auch die Anziehungskraft zwischen dem jungen Werther (Ole Lagerpusch) und der schönen Lotte (Julischke Eichel), um die Goethes Briefromankreist, wird auf der Bühne nicht subtil vermittelt. Beim ersten Aufeinandertreffen in den nun neu eingenommenen Rollen funkt es - krawums – zwischen beiden, denn die Vorlage, die bewusst als vorgeführt gespielt wird, hat es so vorherbestimmt. Lotte verführt Werther also ganz unsubtil mit Vesperbrot und gymnastischen Übungen zu Disco-Musik und Werther stottert sabbernd, wenn er auf sie trifft.

Der Mond ist eine Discokugel. Werther und Lotte singen gemeinsam „If I needed you“ von Townes van Zandt. Doch dann kehrt Lottes Verlobter Albert (Gunnar Teuber) von einer Geschäftsreise zu ihr heim. Lotte strebt mit Albert plötzlich ein konventionelles Eheglück an. Das Ensemble samt Werther singt nun gemeinsam in wechselnden Tonlagen „Wir steigern das Bruttosozialprodukt“ von Geier Sturzflug. Die Trennung von Lotte und Werther scheint vorherbestimmt und Lotte wendet sich nun beinahe neuen Herausforderungen zu. Denn plötzlich trägt sie ein Pappschild mit dem Logo der NGO „Brot für die Welt“ und es erklingt die Klaviermelodie von Michael Jacksons „Heal the World“.

Doch Werther lässt nicht locker und Lotte gewährt ihm weiterhin Besuche bei ihr. Grobmotorisch marodiert er auf der Bühne ziellos hin und her, heftig schwitzend und speichelspuckend scheinbar keine richtigen Begriffe für seine unerfüllten Gefühle findet, unter denen er aber trotzdem offensichtlich leidet: „Ach, diese Lücke! Diese entsetzliche Lücke, die ich hier in meinem Busen fühle!“ Über seine Verfassung unterrichten uns nun eine Base (Hanna Plaß) oder ein Bauersbursch (Matti Krause) in freien Monologen. Um Lotte nicht mehr in seiner unmittelbaren Umgebung zu wissen, tritt Werther nun seinen Kriegsdienst an. Das sparsam ausgestattete Bühnenbild bleibt trotzdem weiterhin das gleiche. Während dichter Theaterrauch auf die Bühne und über die ersten Zuschauerreihen schwelt projiziert Regisseur Simon Solberg jetzt plakativ in Wiederholungsschleife einen Bundeswehr-Spot auf die Bühnenwand: “Ich. Diene. Deutschland.

Dramaturgisch hat Solberg später auch noch interessantere Ideen, etwa wenn er Lottes Gesicht auf Leuchtreklame-Bannern auf die Bühne projiziert, um zu veranschaulichen, dass Werther nur noch sie sieht – auch in den Gesichtern der Models für Parfüm oder Mode.

Obwohl sich die Darsteller sichtlich anstrengen, ermüden die ständigen Referenzen bald und die heftigen Gefühle der Figuren lassen einen kalt. Insgesamt bleibt die Adaptation so leider sehr oberflächlich und seicht.

Insbesondere bei den jüngeren Zuschauern – viele Schüler sitzen im Publikum – kommt die moderne Inszenierung trotzdem gut an. Es wird viel gegiggelt, gegluckst und gelacht. Wie bei Werther und Lotte auf der Bühne, nehmen sich die Laute aus dem Publikum dann oftmals wie affektierte Balzrufe aus. Das stört dann zusätzlich, wenn schon von der behutsamen und feinsinnigen Vorlage, immerhin ein Klassiker der Weltliteratur, nur noch wenig bleibt. Hatte Goethe noch mit diesem Roman die Absicht, die Jugend vor derartigem Liebeswahn zu bewahren, erreichte er damals zu seinem Erstaunen das genaue Gegenteil: eine Vielzahl junger Menschen nahm sich das Leben. In Stuttgart wird nur noch albern darüber gelacht.

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"Die Leiden des jungen Werther" Stuttgart, Foto (C) JU Ostkreuz

Diese Theaterbesprechung erschien erstmals am 22.2.2015 auf Kultura Extra.

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DIE LEIDEN DES JUNGEN WERTHER (Schauspiel Stuttgart, 21.2.2015)

Regie … Simon Solberg

Bühne & Kostüme … Maike Storf, Christina Schmitt

Video … Joscha Sliwinski

Musik … Sven Kaiser

Dramaturgie … Anna Haas

Besetzung …

Werther … Ole Lagerpusch

Lotte … Julischka Eichel

Albert … Gunnar Teuber

Base … Hanna Plaß

Bauersbursch … Matti Krause

Wilhelm/ Live-Musik … Sven Kaiser

Herz … Anna Gesche

Premiere war am … 18. Januar 2015, Schauspiel Stuttgart

Weitere Termine … 16.3./ 4., 16.4.2015

Weitere Infos siehe auch http://www.schauspiel-stuttgart.de/spielplan/die-leiden-des-jungen-werther/

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Geschrieben von

Ansgar Skoda

Redakteur& Kulturkritiker u.a. bei der "TAZ" & "Kultura Extra" http://about.me/ansgar.skoda Webentwickler und Journalist

Ansgar Skoda

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