Ohne Wunder

Premiere Martin Laberenz inszeniert Fjodor Dostojewskijs Roman "Der Idiot" am Schauspiel Stuttgart assoziativ experimentell und mit fünf Stunden Aufführungszeit gewagt ausufernd

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

http://www.schauspiel-stuttgart.de/content-images/schauspielgallerie/33266/15_02_schauspiel_stuttgart_idiot_0427_web.jpg

Manolo Bertling als „Idiot“ mit Susanne Schieffer, "Der Idiot" am Schauspiel Stuttgart, Foto © Conny Mirbach

Zwei übereinanderliegende Bühnenebenen fordern die Darsteller wiederholt heraus, unter Kraftaufwand ein höheres Plateau zu erklimmen. Meditativ werden Blätter auf dem Boden verteilt. Diese wirbeln dann ebenso wild durcheinander, wie die Darsteller und oft auch deren Stimmen. Die Abfolge der Ereignisse befremdet, denn gleich zu Anfang wird der tote Körper einer Frau, Nastassja Filipowna (Manja Kuhl), von der Decke herunter auf die Bühne gelassen. Zwei männliche Figuren treten hinzu, Die Hauptfiguren Myschkin (knabenhaft schlaksig in kurzer Hose und mit Kniestrümpfen: Manolo Bertling) und Rogoschin (Paul Schröder). Sie unterhalten sich überdreht über die Verstorbene; ihre mögliche Mitschuld an dem Tod der Frau erfüllt sie dabei scheinbar weniger mit Erschrecken denn mit Nervenkitzel und Aufregung. Doch ihr Gespräch zerfasert sich und wird bald unterbrochen. Es herrscht Dämmerlicht auf der Bühne – die Darsteller sind kaum zu erkennen – dies ermüdet und strengt an. Der 33jährige Regisseur Martin Laberenz reduziert dabei den Originaltext des Romans von 1868 stark auf wenige Hauptmotive, verkürzt Figuren allzu oft auf Typen und thematisiert regelmäßig den Werdungsprozess der Adaptation, etwa wenn die Darsteller selbstreferentiell ihre eigene Funktion und Tätigkeit beschreiben oder sich auch mal gegenseitig Regieanweisungen geben.

Dostojewskijs knapp tausendseitiger Klassiker der Weltliteratur erzählt vom Fürsten Myschkin, der als lange isolierter kindlicher Gutmensch vom Schweizer Sanatorium nach Russland reist und hier in der Petersburger Gesellschaft verhöhnt aber auch verehrt wird. Neben den koketten Spielen der Frauen, die erst mit Myschkin flirten, um ihn dann wieder fallen zu lassen, zeigt Laberenz auch, wie die Männer um die schöne Nastassja werben, schachern und feilschen. Umringt von ihren Verehren fragt Nastassja in einer Szene etwa immer wieder, was sie diesen wert sei und mehr und mehr Rubel und Schmuck werden geboten. Schon bald entledigen sich die Herren der Schöpfung ihrer Aufforderung folgend ihrer gesamten Kleidung. Sie kreisen Nastassja splitternackt ein, die sich jedoch gedanklich mehr und mehr abwendet und von ihrer düsteren Jugend als Mätresse und Sklavin berichtet. Erst jetzt wirft auch Myschkin, der von den Männern als einziger angezogen blieb, das Angebot in den Raum, Nastassja heiraten zu wollen. Leider wird auch diese choreographisch elegant umgesetzte Szene wieder gebrochen, wenn Rogoschin bald wieder und wieder marktschreierisch ausruft „Sie ist eine Königin“ und später dann von anderen Figuren nachgeäfft wird.

Der Zuschauer muss einige Phantasie spielen lassen um eine Verbindung zu Dostojewskij herzustellen, wenn ein Sofa auf die obere Bühnenebene gewuchtet und später wieder heruntergeworfen wird. Wiederholt wird geraucht, schwadroniert oder die Darsteller reflektieren über ihr Schicksal als Nebenfiguren. Die Geduld im Publikum wird arg provokant strapaziert, wenn etwa Peter René Lüdicke minutenlang die im Bühnenzentrum installierte Leuchtschrift „THERE WILL BE NO MIRACLES“ buchstabierend entziffert, dann langsame Tanzbewegungen vorführt und schließlich überlegt, wie lange sein Schauspielervertrag wohl noch läuft. Nur in Ansätzen deutet sich an, dass er hier auch die Figur des todkranken Ippolit Terentjew spielt. Auch Abak Safaei-Rad fährt aus ihrer Rolle, wenn sie sich überrascht erklärt, dass sie mit ihrer Figur der Frau Lisaweta nun im Mutterfach angekommen sei. So wirkt der Abend sehr improvisiert und zerdehnt sich mehr und mehr.

Stets scheint jedoch auch Poetisches durch und bietet Überraschungsmomente, etwa wenn Myschkin beim Plaudern mit anderen Figuren unvermittelt versucht, die letzten Lebenssekunden eines Menschen nachzuempfinden, der geköpft werden soll und so seine Gesprächspartner leicht aus dem Konzept bringt. Friederike Bernhardts Performance von „There will be no miracles here“ und die Entblätterung von Manolo Bertling zu guter letzt in der Rolle des Myschkin konnten leider nicht gesehen werden, da sonst die letzten öffentlichen Verkehrsmittel verpasst worden wären.

Diese Premierenkritik erschien erstmals am 4. März 2015 auf Kultura Extra.

http://vg05.met.vgwort.de/na/41958aa4ff654cc28837d945cbf97257

DER IDIOT (Schauspiel Stuttgart, 28.2.2015)

Regie … Martin Laberenz

Bühne & Licht … Volker Hintermeier

Kostüme … Aino Laberenz

Musik … Friederike Bernhardt

Dramaturgie … Katrin Spira

Mit … Manolo Bertling, Matthias Breitenbach, Christian Czeremnych, Caroline Junghanns, Manja Kuhl, Peter René Lüdicke, Abak Safaei-Rad, Susanne Schieffer, Christian Schneeweiß, Paul Schröder und Friederike Bernhardt (Live-Musik)

Premiere war am … 28. Februar 2015, Schauspiel Stuttgart

Weitere Termine … 5. & 6.3.2015

Weitere Infos siehe auch http://www.schauspiel-stuttgart.de/spielplan/der-idiot/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ansgar Skoda

Redakteur& Kulturkritiker u.a. bei der "TAZ" & "Kultura Extra" http://about.me/ansgar.skoda Webentwickler und Journalist

Ansgar Skoda

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden