Rauschhafter Bewegungskosmos

Ballett Tanzgastspiel des Béjart Ballet Lausanne mit den Choreografien 'T’m et variations' und 'Béjart fête Maurice' bei den Highlights des internationalen Tanzes am Theater Bonn

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Maurice Béjart (links) war ein Erneuerer des Balletts. Zehn Jahre nach seinem Tod war in Bonn eine kraftvolle Hommage an Béjart und sein Werk zu sehen
Maurice Béjart (links) war ein Erneuerer des Balletts. Zehn Jahre nach seinem Tod war in Bonn eine kraftvolle Hommage an Béjart und sein Werk zu sehen

Foto: Keystone/Hulton Archive/Getty Images

Es ist eine bewegende Beweglichkeit, die in kraftstrotzenden Stimmungsbildern wahrhaft berauscht. Im Rahmen der Highlights des internationalen Tanzes gastierte am 8. November im Bonner Opernhaus das Schweizer Ballettensemble Béjart Ballet Lausanne (kurz BBL) mit zwei abendfüllenden Choreografien.

Der französische Tänzer und Choreograf Maurice Béjart (1927-2007) gilt mit seinen bildgewaltigen Inszenierungen als einer der ganz großen Choreografen nach dem 2. Weltkrieg, etwa vergleichbar mit Pina Bausch. Seine weltweite Bekanntheit geht zurück auf die Zeit von 1960 bis 1987, als er in Brüssel als Gründer und Chef des Ballet du XXe siècle waltete. Als Erneuerer des Balletts verzichtete er auf Tütü und Tüll, erkundete moderne Ausdrucksformen und emanzipierte männliche Tänzer von den Ballerinen. Sie traten bei ihm mit nacktem Oberkörper und in Jeans auf. Ab 1987 leitete Béjart das nach ihm benannte Bejárt Ballet Lausanne, mit dem er ein neues Publikum erschloss. Auch die von Béjart 1992 in Lausanne gegründete Ecole-Atelier Rudra-Béjart gilt bis heute als eine der angesehensten Ausbildungsstätten in der Welt des klassischen und modernen Tanzes. Vor seinem Tod ernannte Béjart seinen damaligen Stellvertreter zu seinen Nachfolger: der Startänzer Gil Roman tanzte seit seinem 19. Lebensjahr unter Béjart. Die Kompanie setzt Béjarts kreatives Schaffen unter Romans Leitung fort und pflegt Béjarts Vermächtnis. Die Balletttruppe geht weiterhin weltweit auf Tournee. 2017 – im zehnten Jahr nach Béjarts Tod - feierte das BBL sein 30jähriges Jubiläum.

Am Bonner Theater wurde nun das Jubiläumsprogramm dargeboten, eine kraftvolle Hommage an den Gründer der Compagnie. Das erste Stück mit dem rätselhaften Titel t’M et Variations wird teilweise durch experimentell wirkende Live-Musik auf Schlaginstrumenten begleitet. Der zweite Teil Béjart fête Maurice versammelt in loser Reihenfolge Choreografien, die Béjart zwischen 1977 und 1993 erschuf.

T’M et Variations feiert in zahlreichen, einander abwechselnden Episoden das 30-jährige Bestehen des BBL. Die Westschweizer Thierry Hochstätter und jB Meier vom Duo Citypercussion performen erhöht und abgedunkelt im Bühnenhintergrund rhythmische Live-Klänge. Zuweilen wird jedoch auch ein metallisch-meditativer Score von Nick Cave und Warren Ellis von Band eingespielt. Oft scheint es so, als würden die nach und nach vereinzelt oder in Gruppen auftretenden Tänzerinnen und Tänzern unmittelbar gestisch auf die Musik reagieren. Ihre eher schlichten Kostüme bergen den Anschein, als kämen sie gerade zum Training. Mit einem ausdrucksstarken und detailfreudigen Bewegungsrepertoire widmet sich das Ensemble den Themenfeldern Liebe und dem inneren Drang des Tanzens. Kraftvolle und synchrone Bewegungen der athletischen Tänzerinnen und Tänzer reihen sich in Miniaturen voller Grazie zu rhythmischen Percussion-Klängen aneinander. Variationen von Lust und Schmerz einer Amour Fou werden lebendig mit eruptiven und nuancenreichen Bewegungsmomenten dargeboten. Verspielt und elegant bewegt sich eine junge Frau in einer Szene unentschlossen zwischen gleich zwei Tänzern hin und her, bis diese zu guter Letzt miteinander Vorlieb nehmen.

Nach einer Pause folgt eine Zusammenschau mit dem Titel Béjart fête Maurice. Zehn in Vergessenheit geratene Highlights aus dem reichhaltigen Oeuvre der Tanzikone Béjart wurden für das Jubiläumsprogramm rekonstruiert. Die eingespielte Musik wechselt fliegend. Neben bekannten Kompositionen von Johann Strauss und Gioacchino Rossini werden auch traditionell indische oder traditionelle Tschad-Musikstücke eingespielt. Auch Werke von Anton Webern, Richard Heuberger, Shalom Anski oder Itzhak Perlman erklingen zu kaleidoskophaft wechselnden Tanzdarbietungen von Band. Eingeleitet wird die showartige Performance durch raumgreifenden Tanz der ganzen Kompanie zum ergreifenden 4. Satz aus Beethovens erster Sinfonie. Später tanzt ein Männercorps beeindruckend synchron und präzise voller Geschmeidigkeit und Konzentration. Bald zeigt eine exotisch und mythisch anmutende Szenerie ein körperlich ineinander zur Einheit verwobenes Paar, das von sechs Tänzern in stets genau aufeinander abgepassten Posen umlagert wird. Teilweise archaisch anmutende Pas de deux inklusive rasanter Seitenwechsel mit gelenkigen jungen Paaren runden die denkwürdige Ode an den Tanz dynamisch und energiegeladen ab.

Die virtuos von insgesamt etwa 30 Tänzerinnen und Tänzern dargebotenen Choreografien sorgen für einen vielschichtigen, rauschhaften, etwa zweieinhalbstündigen Ballettabend. Das zweiteilige Jubiläumsprogramm sprüht vor Power und Vitalität. Das BBL bezeugt so das facettenreiche Repertoire eines der vielleicht prägendsten Erneuerer des neoklassizistischen Balletts.

Weitere Infos siehe auch: https://www.bejart.ch/

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Geschrieben von

Ansgar Skoda

Redakteur& Kulturkritiker u.a. bei der "TAZ" & "Kultura Extra" http://about.me/ansgar.skoda Webentwickler und Journalist

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