Vor 200 Jahren erblickte Jacques Offenbach in Köln das Licht der Welt. Bereits 1957 benannten die Kölner den Platz vor der Oper nach dem deutsch-französischen Komponisten und Cellisten. Nun feiert die Stadt gemeinsam mit der 2015 gegründeten Kölner Offenbach-Gesellschaft den zweihundertsten Geburtstag mit einer Reihe von Aufführungen, Ausstellungen und Events. Ein Highlight im Rahmen dieser Festivitäten war die Premiere von La Grande-Duchesse de Gérolstein im Juni an der Oper Köln im Staatenhaus.
Offenbachs Opéra Bouffe, ein Vorläufer der Operette, wurde 1867 in Paris uraufgeführt und war seitdem recht erfolgreich. Für die Kölner Neuinszenierung wurden die Gesangstexte im originalen Französisch belassen, jedoch um neue deutschsprachige Dialoge ergänzt. Die Satire betrachtet frech und bissig strategische Einfalt, politische Inkompetenz, militärische Rituale und amouröse Besitzansprüche. Die Titelheldin ist eine Großherzogin reiferen Alters, die mit rangniedrigeren, gutaussehenden und deutlich jüngeren Soldaten liebäugelt. Schließlich verliebt sie sich pikanterweise in einen von ihnen.
Regisseur Renaud Doucet verlegt die Handlung in die unmittelbare Gegenwart. Die Großherzogin ist bei ihm eine Firmenchefin einer Getränkefirma (in Gerolstein gibt es ja bekanntlich Mineralquellen). Der erste Akt der Oper spielt auf einem Camp-Gelände im Hambacher Wald. Als Gerolsteinisches Militär fungieren Öko- und Umweltaktivisten gegen Braunkohle und von der Staatsmacht geförderte Energiekonzerte. Die meisten Besucher kennen auf der Bühne befindliche Banner mit der Aufschrift „Hambi bleibt!“ Auch in der Zeit der Kölner Vorführungen gibt es zahlreiche medienwirksame Protestaktionen im nahegelegenen Hambacher Forst.
Auch Parolen wie „Earth first“ schmücken Campingwagen und Schilder im ersten Akt. Es entsteht ein Wimmelbild auf der Bühne, in dem die Umweltaktivisten Schlaghosen, Batik-T-Shirts und Hippie-Kostüme tragen. Die Großherzogin tritt exzentrisch mit Turban und in roter Robe auf. Der langhaarige Wachposten Fritz ist Mitglied der Hambi-Besetzer. Er weckt das erotische Interesse der Großherzogin, die eigentlich einen Großbäckerei-Erben heiraten soll. Sie befördert Fritz aus einer Laune heraus zum General. Ihre skrupellosen Chefberater im Hintergrund sind düpiert. Fritz wiederum liebt die Bäuerin Wanda, der bereits einer der Chefberater der Gräfin nachstellt. Die Verwicklungen nehmen ihren komischen Lauf.
Einen „Hambi-bleibt“-Ansatz gibt es im zweiten und dritten Akt nicht mehr. Nach jedem Akt wird die Bühne umgebaut. Irgendwann tauchen auch eine Gruppe AfD-Sympathisanten und einige französische „Gelbwesten“ auf, ohne die Handlung voranzubringen. Aktuelle Gegenwartsbezüge geraten so zum nebensächlichen Dekor-Hintergrund.
Die Figuren sind durch aufwändige Kostüme von Ausstatter André Barbe recht klischeehaft überzeichnet. Der um die Herzogin buhlende Graf Paul ist gekleidet wie ein umhertappender Hefezopf. General Boum, der zu Anfang die jungen Hambi-Besetzer anleitet, erscheint im gelbgrünen Senioren-Fitnessdress. Die Großherzogin trägt später Abendgarderobe, die an eine Orchidee erinnert. Die Ballkleider der Hofdamen muten wie umgekehrte Blumensträuße an. Auch der effektvoll auftretende Herrenchor trägt eleganten, floral gemusterten Stoff.
Neben den neckischen Kostümen sorgen auch Cécile Chaduteaus flotte Tanzchorographien für erfrischende Bewegungsbilder mit einem Hauch Erotik. Insbesondere ein absurdes Reiterballett im dritten Akt, in dem die Tänzer als Jockeys mit aufgeblasenen Pferdekostümen über die Bühne galoppieren, erheitert.
Die US-amerikanische Mezzosopranistin Jennifer Larmore dominiert in der Titelpartie mit großer Bühnenpräsenz. Sie mimt die wechselhaften Launen der lüsternen Großherzogin eindrücklich zwischen würdevoll und peinlich aufdringlich. Ihre erotischen Energien und ihre unbekümmerte Naivität unterstreicht sie versiert bei ihrem Rondo „Ah! Que j´aime les militaires“ oder bei der Arie „Dite-lui“ mit dunklem, tiefem Mezzo und rhythmisch effektvoller Punktgenauigkeit. Den lockeren, begehrenswerten und sehr naiven Fritz verkörpert der Schweizer Dino Lüthy ausdrucksstark, präzise und präsent mit klarem, solidem und schmiegsamem Tenor. Vincent Le Texier gibt einen raubeinig-affektierten General Boum mit temperamentvollen, dynamischen und dunklen Bariton. François-Xavier Roth lässt das klein besetzte Gürzenich-Orchester Köln dynamisch, pointiert und schmissig aufspielen. Er gibt dabei klanglichen Entwicklungen den nötigen Raum.
Die modern interpretierte Persiflage gewinnt den Unterhaltungswert einer reizvollen Revue. Den parodistischen Kern Offenbachs trifft sie nicht. Engagierte Umweltschützer, die als campende Hippies den Hambacher Forst besetzen, sind militärischen Hierarchien fern. Sie dienen nicht den Machthabern, was Offenbachs Thema deutlich verharmlost. Insbesondere die gesanglichen Leistungen, das hervorragende Tänzerensemble und die phantasievollen Bühnenbilder und Kostüme schaffen es über die nur in Ansätzen dargebotene Gesellschaftskritik eindrucksvoll hinwegzutäuschen.
LA GRANDE-DUCHESSE DE GÉROLSTEIN (Staatenhaus Saal 2, 20.06.2019)
Musikalische Leitung: François-Xavier Roth
Inszenierung: Renaud Doucet
Bühne & Kostüme: André Barbe
Licht: Andreas Grüter
Choreografie: Cécile Chaduteau
Chorleitung: Rustam Samedov
Dramaturgie: Georg Kehren
Besetzung:
Die Großherzogin … Jennifer Larmore
Wanda … Emily Hindrichs
Fritz … Dino Lüthy
Baron Puck … Miljenko Turk
Prinz Paul … John Heuzenroeder
General Boum … Vincent Le Texier
Baron Grog … Nicolas Legoux
Népomuc … Alexander Fedin
Iza … Menna Cazel
Olga … Maike Raschke
Charlotte … Regina Richter
Amélie … Marta Wryk
Ein Notar … Julian Schulzki
Tänzerinnen … Hava Hudry, Annalisa Piccolo, Ran Takahashi, Marie Yahmi
Tänzer … Gabriel Andre, Simone Giancola, Loïc Gonsalvo, Simon Gruszka, Fabio Semeraro, Killian Touboul
Chor der Oper Köln
Gürzenich-Orchester Köln
Premiere an der Oper Köln war am 9. Juni 2019.
Nächste Termine: 26.6./ 4., 7., 10., 12.7.2019
Weitere Infos siehe auch: https://www.oper.koeln/de/programm/la-grande-duchesse-de-gerolstein/4088
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.