Teuflischer Trumpf

Gesehen vor dem Lockdown Ein Dämon treibt ein diabolisches Spiel. Astrid Griesbach zeigt Tom Waits' Musical "The Black Rider" am Musiktheater im Revier Gelsenkirchen temporeich poppig, mit Puppen

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Da hat sicherlich der Teufel seine Finger mit im Spiel: Lockdown-bedingt finden keine Vorführungen im November mehr statt. Ist es somit zu spät, den unterhaltsamen Musicalbesuch von The Black Rider vor wenigen Wochen Revue passieren zu lassen? Der zentrale Konflikt in Kürze: Dörfler müssen erst schießen lernen, um heiraten zu dürfen.

The Black Rider ist eine Parodie auf Carl Maria von Webers Oper Der Freischütz (1821). Die Handlung beruht gleichfalls wie die Oper auf der Volkssage in August Apels Gespensterbuch (1810). Die Neubearbeitung der Freischütz-Sage wurde 1990 den amerikanischen Regisseur Robert Wilson aufgetragen, der seinerseits den Songschreiber Tom Waits und den Schriftsteller William S. Burroughs für die Buchvorlage engagierte. Das Libretto wird teils deutschsprachig und teils englischsprachig vorgetragen.

Das Regie-Team um Astrid Griesbach, Professorin für Puppenspielkunst im Studiengang Zeitgenössische Puppenspielkunst an der HfS „Ernst Busch“ in Berlin, inszeniert das Musical in Gelsenkirchen opulent unter Einbezug von Puppen. Den titelgebenden Teufel stellt so eine größere Puppe mit langen Hörnern und rötlich leuchtenden Augen dar. Insgesamt fünf Darsteller tragen als "Devil Team" abwechselnd den Körper des Teufels und erwecken die feingliedrige Puppe so zum Leben. Als eine Gruppe von Narren führen sie gleichzeitig durch die Geschichte, geleitet von Daniel Jeroma.

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Die Story: Der brav-biedere Schreiber Wilhelm (Sebastian Schiller) und die hübsche Försterstochter Käthchen (Annika Firley) schmieden Heiratspläne. Der Vater der Braut (Joachim G. Maaß) akzeptiert jedoch nur einen Jäger als Schwiegersohn. So will es die Tradition. Wilhelm ist jedoch ein so schlechter Schütze, dass er sogar einen Hirsch nicht trifft, wenn dieser direkt vor ihm steht. In seiner Verzweiflung trifft er auf den geheimnisvollen und undurchsichtigen Pegleg (mit verruchtem Verve: Daniel Jeroma), der Wilhelm Freikugeln anbietet, mit denen er jedes Ziel trifft. Fortan genießt Wilhelm große Erfolge bei der Jagd. Er freut sich, sein Käthchen heiraten zu können und wird sogar von den Schwiegereltern akzeptiert. Doch bald gehen ihm die Kugeln aus und das Glück verlässt ihn. Pegleg vermittelt ihn an den Teufel, der ihm weitere Kugeln zukommen lässt, mit der Bedingung, das Ziel der letzten Kugel selbst bestimmen zu dürfen: „Seven bullets. Six are yours and hit the mark. One is mine and hit the dark.

Bühnenbildnerin Lisette Schürer verortet das groteske Geschehen in einer Rummelplatz-Atmosphäre mit Geisterbahn. Plüschtiere und überdimensionierte Rosen fallen en masse vom Bühnenhimmel, wie Preise in einer Schießbude. Ein Kirmes-Flair wird auch dadurch verstärkt, dass Wilhelm ungeschickt mit der übergroßen Schusswaffe hantiert. Das Devil Team betritt die Bühne oft mit beweglichen Accessoires, neue Szenerien wie die Brutstätte des Teufels andeutend.

Ein interessanter Sidekick: In eingebundenen poetischen Monologen verquickt das Devil Team berüchtigte Schusswaffen-Schicksale realer US-amerikanischer Künstler. Sie erinnern daran, dass der Autor des Librettos, William Seward Burroughs, 1951 unter Drogen- und Alkoholeinfluss seine Frau Joan Vollmer Adams am Strand von Mexiko mit einem Gewehr erschoss. Der bekannte Literaturnobelpreisträger und Großwildjäger Ernest Hemingway erschoss sich hingegen 1961 selbst, von Selbstzweifeln und Depressionen geplagt, mit einer großkalibrigen doppelläufigen Schrotflinte.

Gemeinschaftlich werden das hoffnungsvolle „In the morning“ oder der Titelsong „Come on along with the Black Rider“ geschmettert. Sebastian Schiller und Annika Firley harmonieren während des zarten Liebesduetts „The Briar and the Rose“, sich nebeneinander in zwei von der Bühnendecke baumelnden Himmelsschaukeln wiegend. Auch sonst überzeugen die beiden als naives Liebespaar, das sich mitunter verträumt auf rosaroten Wolken glaubt. Firley glänzt auch später bei ihrem nuancierten Solo „I’ll shoot the moon for you, baby“. Die Instrumentierung im klein besetzten Orchestergraben wird gegen Ende auch durch eine Singende Säge unterstützt, die Sebastian Schiller wirkungsvoll auf der Bühne spielt.

Die schrägen, schaurigen und schrillen Songs und die eigenwilligen Figuren berühren. Die Mitglieder der Neuen Philharmonie Westfalen spielen unter der Leitung von Heribert Fickler souverän und dynamisch durch die etwa zweistündige Vorführung mit Pause. Alle Darsteller tragen coronabedingt Gesichtsschilder. Langer Applaus für eine höllisch unterhaltsame und kurzweilige Vorführung. Es bleibt zu hoffen, dass die sehenswerte Produktion bald wieder gezeigt werden kann.

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THE BLACK RIDER (THE CASTING OF THE MAGIC BULLETS) (Großes Haus, 18.10.2020)

Musikalische Leitung: Heribert Feckler

Inszenierung: Astrid Griesbach

Bühne: Lisette Schürer

Kostüm und Puppe: Atif Mohammed Nor Hussein

Licht: Patrick Fuchs

Ton: Jörg Debbert

Dramaturgie: Dr. Olaf Roth

Besetzung:

Kuno u.a … Joachim G. Maaß

Wilhelm … Sebastian Schiller

Käthchen … Annika Firley

Anne … Gloria Iberl-Thieme

Bertram … Merten Schroedter

Pegleg, Robert … Daniel Jeroma

The Devil Team … Gloria Iberl-Thieme, Daniel Jeroma, Marharyta Pshenitsyna, Merten Schroedter, Seth Tietze

MiR Opernensemble

MiR Puppentheater

Neue Philharmonie Westfalen

Uraufführung war am 31. März 1990 im Thalia Theater Hamburg.

Premiere am Musiktheater im Revier Gelsenkirchen war am 19. September 2020.

Nächste Termine: voraussichtlich 31.12.2020/ 17.1.2021

Weitere Infos siehe auch: https://www.musiktheater-im-revier.de/de/performance/2020-21/the-black-rider

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Geschrieben von

Ansgar Skoda

Redakteur& Kulturkritiker u.a. bei der "TAZ" & "Kultura Extra" http://about.me/ansgar.skoda Webentwickler und Journalist

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