Welch 'âventuire' der Erzählkunst

Theater Stefan Bachmann adaptiert den mittelalterlichen Heldenepos "Parzival" am Schauspiel Köln mit viel Gespür für Witz und Dynamik. Marek Harloff brilliert in der Titelrolle

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Marek Harloff, Gerrit Jansen und Melanie Kretschmann
Marek Harloff, Gerrit Jansen und Melanie Kretschmann

Foto: David Baltzer

Der Versepos Parzival ist eines der heute bekanntesten, deutschen Werke des Mittelalters. Treue, Ehre und Tugendhaftigkeit sind höfische Ideale, die zur Zeit des Autors Wolfram von Eschenbach (ca. 1170 – 1220) eine große Rolle spielen. Diese Tugenden, die der junge Titelheld Parzival in einem Reifungsprozess erwerben muss, werden im Laufe des Versromans stets in Erinnerung gerufen, ebenso wie sich Wolfram als Erzähler der „aventiure“ immer wieder selbst einbringt. Die im Versroman hervorgehobene Rolle des kunstvollen Erzählens selber spielt auch in der Kölner Inszenierung eine wichtige Rolle. Neben Gerrit Jansen, der regelmäßig als Erzähler fungiert und zu Anfang nuanciert Wolframs bilderreichen Prolog spricht, treten auch alle anderen Darsteller regelmäßig als Erzähler in Erscheinung. Wolframs teilweise auch orientalische Handlungsorte, die phantastischen Ritterkämpfe und Belagerungen von Königreichen werden so dem Publikum überwiegend durch Worte vermittelt, denen die Darsteller oft durch facettenreiche Mimik und Gestik Nachdruck verleihen. Das Bühnenbild kommt mit nur wenigen Requisiten aus, wie etwa einem, sich effektvoll in seiner Mitte horizontal öffnenden Kubus, einer Pappkrone, Theaternebel und eher unprätentiösen Kostümen.

Marek Harloff agiert in der Rolle des Parzival als unbedarfter Tor mit lebendig naivem Ausdruck. Einsam unter der Obhut seiner, ihn schützen wollenden Mutter Herzeloyde (ausdrucksstark: Melanie Kretschmann) aufgewachsen, bricht er bald auf, um das Abenteuer in der Welt zu suchen. Dabei durchläuft er einen Initiationsprozess, indem er Lehren anderer Figuren befolgt, damit aber nicht immer richtig liegt. Das Publikum begibt sich mit dieser Figur zusammen auf eine temporeiche, abenteuerliche Reise mit schicksalhaften Begegnungen, in der Parzival viel über die eigene Vergangenheit und die Bedürfnisse seiner Mitmenschen lernt. Obwohl die Inszenierung aus Zeitgründen viele Episoden aus Wolframs facettenreicher, 25.000 Verse starker Vorlage kürzt, lässt sie die wahrscheinlich interessantesten Figuren auftreten. Jörg Ratjen spielt den würdevoll leidenden Gralskönig Anfortas, sich fortwährend schmerzvoll windend und stöhnend, ebenso überzeugend, wie er den lebensweisen Eremiten Trevrizent mimt, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Nikolaus Benda wird, tollkühn und beweglich als Artusritter Gawan, in einer Nebenhandlung von gefährlichen, teils unsichtbaren Widersachern herausgefordert, weil er die Gunst des stolzen Ritterfräuleins Orgelleuse gewinnen möchte, selbstbewusst und verführerisch dargestellt von Annika Schilling. Voll leidenschaftlicher Schwermut muss Melanie Kretschmann schließlich als Mutter Parzivals ebenso wie später als seine Ehefrau Conduiramour diesen ziehen lassen. Ihre Paraderolle hat Kretschmann jedoch als rätselhafte, ungestüme und ungezügelte Gralsbotin Cundrie, die Parzival verfluchen und die Artusgesellschaft spalten darf.

Obwohl die Charaktere der Figuren für unsere heutige Zeit einfach gezeichnet sein mögen, überraschen sie oftmals in ihrer Vielschichtigkeit. Die insgesamt fesselnde Inszenierung überzeugt auch aufgrund ihres Mutes, Szenerien oft nur anzudeuten und alle Darsteller, bis auf Marek Harloff in der Rolle des Parzival, in unterschiedlichen Rollen auftreten zu lassen.

http://vg04.met.vgwort.de/na/84837bf9c7944c7b8f98a52e034842abDiese Theaterbesprechung erschien erstmals am 9.2.2015 auf Kultura Extra.

PARZIVAL (Schauspiel Köln, 8.2.2015)

Regie …Stefan Bachmann

Bühne … Simeon Meier

Kostüme … Esther Geremus

Musik & Komposition … Malakoff Kowalski

Choreografie & Körperarbeit … Sabina Perry

Lichdesign … Bernd Purkrabek

Dramaturgie … Thomas Laue

Besetzung

Der Erzähler … Ensemble

Parzival … Marek Harloff

Die Historie, Carnac-Carnant (ein Ritter), Keye (Hofmarschall am Artushof), Gournemans (Ritterlehrmeister), Schionatulander (ein toter Ritter) … Gerrit Jansen

Gahmuret von Anjou (Parzivals Vater), König Artus (Herr der Tafelrunde), Clamidé (ein Belagerer), Fairefis (Parzivals Bruder) … Stefko Hanushevsky

Belacane (Königin von Sasamanc), Orilus (Mann der Jeschute), Anfortas (Gralskönig), Trevrizent (ein Eremit) … Jörg Ratjen

Herzeloyde (Parzivals Mutter), Conduiramour (Königin von Beaurepaire), Cundrie (Gralsbotin) … Melanie Kretschmann

Jeschute (eine Herzogin), Sigune (Parzivals Kusine), Cunneware (ein Orakel am Artushof), Orgelleuse (ein Ritterfräulein) … Annika Schilling

Ither von Gaheivce (der rote Ritter), Gawan (der edelste der Artusritter) … Nikolaus Benda

Premiere war am 6. Februar 2015

Weitere Termine: 11., 20., 28.2./ 6., 8., 13., 14., 22., 26.3.2015

Weitere Infos siehe auch: http://www.schauspielkoeln.de/spielplan/premieren/parzival/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ansgar Skoda

Redakteur& Kulturkritiker u.a. bei der "TAZ" & "Kultura Extra" http://about.me/ansgar.skoda Webentwickler und Journalist

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