Wendepunkte bewaffneter Eroberungen

Schauspielhaus Bochum Sandra Hüller brilliert als Heinrich von Kleists 'Penthesilea' in einem Zweipersonenstück mit Jens Harzer in der Rolle des Achilles. Regie führt Intendant Johan Simons

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Heinrich von Kleist, geboren 1777, kämpfte im Alter von 15 Jahren als Kindersoldat. Das literarische Schaffen des Sohnes aus altpommerschem Soldatengeschlecht von Adel bezeugt, dass er während der Französischen Revolution und der Eroberungskriege Napoleons früh die Sinnlosigkeit des Krieges erahnte. Auch in seinem Drama Penthesilea (1808) verarbeitet Kleist die Sehnsucht nach der Entwicklung des Geistes und individuellem Glück, das einer Entfremdung von der, vom Krieg durchdrungenen Welt gleichkommt. Kleists in Penthesilea angelegte Identitätssuche zweier Figuren spielt in der mythischen Welt des Trojanischen Krieges. Hier kämpfen die Amazonen gegen die Griechen und Trojaner. Grundlegende Komplexe der Tragödie lassen sich stets auch auf Parallelen in Kleists Biographie beziehen. So wie seine Titelheldin am Ende Selbstmord begeht, wählte Kleist für sich zusammen mit seiner Geliebten Henriette Vogel 1811 den Freitod.

Der niederländische Regisseur Johan Simons besetzte die vielfach ausgezeichnete, prominente Filmschauspielerin Sandra Hüller (bekannt u.a. aus Toni Erdmann) ja bereits in seiner Zeit als Intendant bei der Ruhrtriennale 2015 bis 2017; in seinen Inszenierungen wie Accattone oder Die Fremden. Die 40jährige Schauspielerin arbeitet so seit vielen Jahren mit Simons zusammen. Als neues Ensemblemitglied folgte sie ihm an das Schauspiel Bochum, wo er seit 2018/19 die Intendanz innehat. Simons zeigt hier mit ihr in der Titelrolle Kleists Penthesilea als energiegeladenes, ungemein lebendiges und auch psychologisch intensives Zweipersonenstück. Neben Hüller als Königin der Amazonen brilliert Jens Harzer in der Rolle des Achilles, König des Griechenvolkes. Es ist ein wahres Darstellerfest, in der zwei Protagonisten mit sich selbst und miteinander einen Kampf im Schlachtfeld bei Troja ausringen.

Simons dramatische Umsetzung benutzt keine Fremdtexte und fokussiert sich stärker auf den Konflikt zwischen Kleists Hauptfiguren. Das Licht im Zuschauerraum bleibt während der Vorführung leicht abgedimmt weitestgehend erhalten. Die requisitenlose Bühne ist hingegen überwiegend abgedunkelt. Die Darsteller werden nur durch eine balkenähnliche Bodenbeleuchtung am vorderen Bühnenrand von unten angestrahlt (Lichtdesign: Bernd Felder). Auch die schwarzfarbigen Kostüme von Nina von Mechow sind reduziert und schlicht. Harzer und Hüller tragen bodenlange Röcke. Hüller hat sich die Brüste mit dunklem Tuch abgebunden und agiert ansonsten Oberkörperfrei. Harzer zeigt sich mal in Unterhemd und –hose und bald sogar splitterfasernackt in all seiner Verletzlichkeit. Das Geschehen konzentriert sich ganz auf die darstellerischen Leistungen des Duos, ihre ausdrucksvolle Mimik und Gestik während ihrer langen Mono- und Dialoge. Kampfhandlungen werden als Botenberichte beschrieben und Wirklichkeiten über die Erzählung konstruiert. Die Vorstellungskraft des Publikums ist gefragt, wenn der Akt des Berichtens in den Vordergrund tritt.

Kleists Tragödie handelt von der Suche nach dem eigenen Ich und individuellem Glück im Konflikt mit den gesellschaftlichen Normen. Vor dem Hintergrund des Kriegsgeschehens akzentuiert sich ein Liebessehnen der beiden Hauptfiguren. Ein Begehren ist für sie ein bisher weitestgehend unbekanntes Gefühl, das auch Furcht und Hadern auszulösen vermag. Beide wünschen sich die Bereitschaft, dass sich der oder die jeweils andere ergeben möge. Zum Zwecke einer Liebesverbindung möge dann der oder die Unterliegende dem oder der Anderen in das jeweilige Königreich folgen.

Kleists spannungsvoll flirrende Sprache ist von Unsicherheit, Unzuverlässigkeit und Kriegsmetaphorik aufgrund der Erfahrungen der Figuren geprägt. Es werden Pforten thematisiert, die sich vor dem Geist verschließen. Die Figuren „hungern auf Beute“, ergehen sich in kriegerischen Hochgefühlen und Trotz. Sie möchten das Herz des Gegners und gleichzeitigen Schwarms bezwingen, es zu sich niederziehen und schänden. Doch trotz des gerüsteten Geistes, scheint der Kelch ohne Waffen noch nicht ausgeleert. Achilles erklärt: „So manches regt sich in der Brust von Frauen, das für das Licht des Tages nicht gemacht.“ Er verkennt Penthesilea, die gängige weibliche Stereotype unterläuft. Sie trägt so eine abgeschnürte ‚männliche‘ und eine weibliche Brust und ist von kriegerischer Intelligenz und körperlicher Kraft und Schönheit. Achilles erscheint Penthesilea gegenüber in seiner männlichen Rolle als unzulänglich, wenn er ihr sich steigernde stereotype Zuschreibungen aufbürdet.

Der Krieg ist als Urzustand für die Gesellschaft in den Figuren fest verankert. Die beiden Figuren beschreiben und erinnern sich an das vorausgegangene Kriegsgeschehen, nehmen jedoch unterschiedliche Perspektiven auf die gleichen Ereignisse ein. Tricks, Täuschungen, Selbsttäuschungen, Missverständnisse, Strategien, Verhandlungen, Verteidigungen, Impulse und Angriffe prasseln aufeinander. Penthesilea erlebt Augenblicke der Ohnmacht, wenn ihre Sinne schwanken. Obwohl auch rauschhafte Momente dargestellt werden, vermögen die Figuren sich nie in Sicherheit zu wiegen. Worte schaffen Deutungshoheiten, wenn Penthesilea Achilles mit „Peleide“, „Überwinder Hektors“ oder „Neridensohn“ anspricht, und ihn so nur über seine Eltern und seinen Ruhm definiert, ohne ihn beim Vornamen zu nennen.

Auch Achilles baut gegenüber Penthesilea eine Illusion auf. Sein finaler Kriegsaufruf auf Tod und Leben führt als schlussendliche Täuschung und Betrug in die Katastrophe. Simons betont die Ähnlichkeiten der beiden Figuren, indem er gegen Ende ihre Positionen tauscht und dann zweimal das Ende erzählt. Hier wird ein mögliches Elysium in der Ewigkeit angedeutet, wo sich Penthesilea und Achilles wiedersehen könnten. Insbesondere zu Anfang irritiert die effektvolle Beleuchtung und man muss sich erst in die ungewohnte, teils nicht ganz sauber artikuliert oder schwer verständlich nach hinten gesprochene Sprache einhören. Wie Hüller und Harzer jedoch miteinander ringen, wie Hüller als Penthesilea machtvoll die antiken Götter anruft, dann ausdrucksstark und lange anhaltend wimmert und wie sich Harzer als Achilles alsbald vollends preisgibt, ist ganz große, intensive und temporeiche Schauspielkunst.

Eingebetteter Medieninhalt

PENTHESILEA (Schauspielhaus Bochum, 1.2.2019)

Regie: Johan Simons

Bühne: Johannes Schütz

Kostüme: Nina von Mechow

Lichtdesign: Bernd Felder

Sounddesign: Annemarie Schagerl

Dramaturgie: Vasco Boenisch

Besetzung:

Penthesilea, Königin der Amazonen … Sandra Hüller

Achilles, König des Griechenvolks … Jens Harzer

Premiere am Schauspielhaus Bochum war am 10. November 2018.

Eine Koproduktion mit den Salzburger Festspielen.

Nächste Termine: 23., 24.2./ 7., 8., 24.3.2019

Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspielhausbochum.de/de/stuecke/213/penthesilea

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Geschrieben von

Ansgar Skoda

Redakteur& Kulturkritiker u.a. bei der "TAZ" & "Kultura Extra" http://about.me/ansgar.skoda Webentwickler und Journalist

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