Beinahe schüchtern betritt er den Raum. Nichts an der schmalen Person erinnert an das coole Gebaren des Rappers, das in den Medien so präsent ist. Er ist gekleidet in ein Flanellhemd und Jeans, er spricht leise. Und während des Gesprächs über Gott und die Welt vergisst man schnell, wie gefährdet er ist.
Shahin Najafi versteht und spricht gut Deutsch. Besteht einmal Erklärungsbedarf, springt sein Freund und Manager, ein Deutsch-Iraner, ein. Inzwischen hat er schon oft erzählt, warum er sich hier, bei Köln, seit drei Monaten versteckt halten muss, weil ihm eine Todesdrohung im Nacken sitzt: Er wird von iranischen Ayatollahs der Blasphemie und Beleidigung des zehnten Imam, Ali al Hadi an-Naqi, beschuldigt, der im neunten Jahrhundert lebte, als Nachfahre des Propheten Mohammeds gilt und von den Zwölferschiiten als „Unfehlbarer“ verehrt wird. In seinem Lied „Naghi“ beschwört Najafi diesen Imam, religiöse und politische Auswüchse in seiner Heimat zu verändern: Es ist ein Gebet, das in starken Worten und Bildern auf Korruption, geflickte Jungfernhäutchen und Zeitehen hinweist. Ein freches Gebet, das Humor und Selbstironie einfordert, doch stattdessen Zorn und Hass erregte.
100.000 Euro für seinen Kopf
Viermal traten irritierte Gläubige an ihre religiösen Führer heran, weil sie wissen wollten, wie sie auf Najafis Provokation reagieren sollten. Viermal wurde eine Fatwa ausgesprochen. Seitdem bangt Shahin Najafi um sein Leben. Zusätzlich wurde eine Summe von 100.000 Euro auf seinen Kopf ausgesetzt. „Muss ich das noch genauer erklären?“, fragt er. Und fügt hinzu, dass zahlreiche Exiliraner in Europa und Amerika von fanatischen Anhängern der islamischen Republik ermordet worden seien.
Schon 2004 floh Shahin Najafi, heute 31 Jahre alt, über die Türkei nach Deutschland, weil ihm drei Jahre Gefängnis und 100 Peitschenhiebe drohten. Auch damals waren es seine Lieder, mit denen er Unmut erregte.
Dabei wächst Shahin Najafi zunächst ganz im Sinn der im Iran herrschenden Normen heran. Geboren in der Hafenstadt Bandar-e Anzali macht er als Jugendlicher eine Ausbildung zum Koransänger, nachdem er in einer Moschee einen ägyptischen Sänger gehört und ihn die Schönheit der Musik betört hat. Er lernt die arabische Harmonielehre, die Technik des richtigen Atmens und studiert den Koran.
Doch bereits beim Studium der Soziologie stößt er sich an der dogmatischen Lehrmeinung und wird schließlich exmatrikuliert. Der anschließende Militärdienst ist für den jungen Mann, bislang in einer Welt der Poesie und des Verstands zu Hause, ein Schock. „Als ich den Militärdienst ableistete, verlor ich meinen Glauben“, sagt er. Er lernt Menschen kennen, die, von Existenznot getrieben, zu unlauteren Mitteln greifen, soziale Ungerechtigkeit und Doppelmoral rücken in sein Blickfeld. „Bis zu dieser Zeit habe ich viel zu Gott gebetet, doch plötzlich gab es ihn nicht mehr. Wenn eine solche Wirklichkeit existiert, kann es keinen Gott geben.“
Er hört auf, sich zum Gebet niederzuknien, raucht die erste Zigarette, trinkt mit 19 Jahren das erste Mal Alkohol und küsst ein Mädchen. „Da habe ich alles verloren“, sagt er. Nach dem Militärdienst eröffnet er einen Musikinstrumentenladen, spielt in einer Band, die westliche Popmusik covert, schreibt und spielt schließlich eigene Songs, die den iranischen Geheimdienst mobilisierten. Lieder, mit denen er sich wenige Jahre später im deutschen Exil wieder in Gefahr bringt: Shahin Najafi sucht radikal seine eigene Wahrheit, beschäftigt sich mit Philosophie und den Göttern verschiedener Kulturen, er spricht von Apollon und Dionysos. Seinen Glauben hat er also abgestreift, aber der Gottesbegriff beschäftigt ihn weiter: „Gott lebt in meinen Gedichten, weil ich ihn darin erschaffe. Aber er ist nur noch Text für mich.“
Ist Shahin Najafi ein moderner Mystiker? Ein rappender Sufi, der seine Überzeugungen über Youtube verbreitet und mit der Orthodoxie in Konflikt gerät? Er überlegt: „Nein, ich verhalte mich nicht wie ein Sufi. Aber ich denke viel über Gott nach und akzeptiere den Glauben anderer, in diesem Sinne also: ja.“ Er befinde sich mit Gott in einem „Liebeskrieg“, sagt er. Als Atheist sehe er sich nicht, eher als Agnostiker, der die Frage nach der Existenz Gottes für unklärbar hält. „Niemand kann sagen, ob es Gott gibt oder nicht. Ich liebe solche Paradoxe, und ich lebe mein Paradox.“
Shahin Najafi ist sich bewusst, dass er mit seinen Texten provoziert, doch er will Veränderung in die iranische Gesellschaft tragen. Dafür nimmt er die Feindseligkeit, die ihm die Freiheit raubt, in Kauf. Sein Manager wirft ein, dass Sharhin nicht von vielen Menschen gehasst werde, aber „es reicht ja schon ein einzelner Verrückter, dem Shahin zufällig auf der Straße begegnet“. Für Shahin Najafi selbst zählt einzig seine Meinungsfreiheit: „Kunst versteht keine Gesetze. Politiker wollen uns nur beruhigen, aber Künstler dienen der Welt als Warnsignal.“ Natürlich kenne seine Kunst auch Grenzen, sagt er, etwa den Missbrauch von Frauen, das Verherrlichen von Drogen oder von Nationalismus. Versteckten Rassismus findet er besonders gefährlich. Seine Liedtexte liefern Hinweise: „Ich bin Iraner, Afghane, Türke, Amerikaner, Russe, Araber, Chinese, Afrikaner, Jude, Zoroastrier, Christ, Bahai, Atheist, Buddhist“, beginnt einer seiner Songs und endet: „Vereine Menschen jeder Hautfarbe und Sprache.“ Er denkt pluralistisch, will zusammenführen, nicht trennen. „Ich hoffe auf den Tag, an dem Humanität eine Bedeutung haben wird“, lautet eine Zeile.
Obwohl er den Traum John Lennons teilt, wie er sagt, seien ihm Hippies zu sentimental und romantisch. Er will seine Stärke spüren, deshalb hat er Rap, Hip-Hop und Rock ausgewählt, um sich auszudrücken. Trotzdem möchte er das Image als Rapper gern loswerden. Denn sein musikalisches Repertoire ist breiter: „Ich bezeichne meine Songs als Autorenmusik, denn ich mache mich nicht zum Gefangenen meiner Zuhörer.“ Neben der arabischen Tonalität hat er klassische Gitarre und Flamenco-Gitarre gelernt. Diese Elemente mischt er ein, auf seinem neuesten Album spielt er Blues. Gerne würde er auch wieder Konzerte in Deutschland geben und mit deutschen Musikern zusammenarbeiten, sagt er. Das aber gestaltet sich derzeit kompliziert.
Er kann nicht schnell mal um die Ecke gehen, um etwas einzukaufen, oder in ein Taxi steigen. Seine Wohnung kann er nur unter Polizeischutz verlassen. Er lebt von seiner Familie getrennt, und die Welt draußen ist für ihn nur online verfügbar. Um Angst und Langeweile zu vertreiben, liest er viel, schaut ein bis zwei Filme pro Tag. Nach französischen Filmen ist er jetzt bei Woody Allen gelandet. Mit Krafttraining hält er sich fit. Seit er untergetaucht ist, hat er zwei Songs geschrieben. Einer davon, „Standing Dead“, liest sich kryptisch, aber Worte wie „abtrünniger Poet“ und „Standhaftigkeit“ sind unmissverständlich.
„Das ist wie beim Psychiater“
Das deutsche Exil, sagt er, habe er sich ausgesucht, weil er sich schon im Iran für Schriftsteller wie Bertolt Brecht, Thomas Mann oder Günter Grass interessierte und klassische deutsche Musik liebte. „Immerhin lebe ich jetzt in einer Gesellschaft, vor der ich nicht flüchten muss“, sagt er. Aber hat er manchmal Heimweh nach dem Iran? Er antwortet, dass er aus Prinzip kein Heimweh haben dürfe, aber oft Nostalgie empfinde. „Algia ist Schmerz und nostus bedeutet zurückkehren. Es ist der Schmerz darüber, dass du nicht zurückkehren kannst. Aber das ist ein viel umfassenderes Gefühl als Heimweh.“
Oft beschäftige ihn das Gefühl, im Iran ein Stück seines Lebens verloren zu haben. Er träume, sagt er, von einer Gesellschaft ohne Religion, Macht und Kontrolle. Von einer Jugend, die Spaß macht, so wie er das in Deutschland beobachten kann. „Im Iran habe ich eigentlich keine Jugend erfahren, sondern nur sehr schmerzliche Jahre.“
In seinem Manager hat der Musiker einen Freund und Mitstreiter gefunden. Der organisiert sein Leben und kümmert sich um Interviews: „Natürlich lässt sich die iranische Gesellschaft nicht gerne den Spiegel vorhalten. Aber ohne Reibungspunkte geht es nicht. Das ist wie beim Psychiater, spricht man die Dinge dort nicht an, wirkt die Therapie nicht“, sagt der Manager.
Der Dritte im Bunde ist der 69-jährige Autor Günter Wallraff. Als Shahin in Bedrängnis geriet, hat er sich seiner angenommen. Die Erleichterung der Freunde, dass sie mit dem Enthüllungsjournalisten einem Gleichgesinnten begegnet sind, ist spürbar: „Da haben sich wirklich Menschen gefunden, die den gleichen Gedanken haben“, sagt Shahin und schmunzelt: „Ich habe noch nicht verstanden, woher dieser Mann so viel Kraft nimmt.“
Momentan sitzt Shahin Najafi in der Klemme. Doch er und sein Manager geben sich überzeugt, dass sich das in einigen Monaten ändern wird. „Es darf und wird nicht sein, dass einige Ayatollahs die Zukunft eines Künstlers verbauen“, kommentiert der Manager. Für Oktober und November sind acht Konzerte in den USA geplant. Außerdem fliegt Shahin Najafi nach Übersee, um dort drei Vorträge an der Universität zu halten. Das Thema: „Meinungsfreiheit in der Musik und ihre Grenzen“.
Die Fatwa gegen Shahin Najafi
Als Fatwa gilt jedes von einem muslimischen Rechtsgelehrten ausgesprochene Rechtsgutachten. In den wenigsten Fällen handelt es sich um ein Todesurteil. In Ägypten wurde etwa zur Unterstützung einer Anti-Raucher-Kampagne eine Tabak-Fatwa ausgesprochen; in London erklärte der Rat der Sunniten 2005, dass Anschläge nicht mit dem Islam vereinbar seien; in Somalia veröffentlichten Geistliche eine Fatwa gegen die Genitalverstümmelung von Mädchen.
Die Fatwa, die sich gegen Shahin Najafi richtet, kann aber tödlich sein: Er wurde als Abtrünniger bezeichnet, damit gilt der Mord an ihm als religiös legitimiert. Das letzte Todesdekret, 1989 von Ayatollah Khomeini ausgesprochen, richtete sich gegen den Schriftsteller Salman Rushdie. Zwölf Jahre später erklärte der damalige Präsident Mohammad Khatami, der Iran werde diese Fatwa nicht ausführen.
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