Keine Schuldgefühle, bitte

Kinder Junge Frauen wollen heute ja bekanntlich alles. Unsere Autorin, kinderlos, fragt sich, wie man ihnen dabei helfen kann
Fühlen sich oft ziemlich allein gelassen: Mütter, die versuchen zusammenzuhalten, was ständig auseinanderdrängt
Fühlen sich oft ziemlich allein gelassen: Mütter, die versuchen zusammenzuhalten, was ständig auseinanderdrängt

Bild: Boerdi.at / Photocase

Vergangene Woche veröffentlichte das Statistische Bundesamt die Geburtenzahlen für 2011 – und stellte fest, dass mal wieder ein neuer Tiefstand erreicht wurde. Reflexartig setzten daraufhin die Klagen ein, dass Frauen hierzulande so wenige Kinder bekämen. So weit, so vertraut. Aber warum dreht man die Perspektive nicht mal um? Wenn man sich anschaut, wie sehr sich das Alltagsleben von Frauen in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt hat, müsste man sich eigentlich darüber wundern, dass hier immer noch so viele Kinder geboren werden.

Der gesellschaftliche Druck auf Frauen, doch bitte schön Kinder zu bekommen, hat ja deutlich nachgelassen. Sie müssen nicht mehr heiraten und für Nachwuchs sorgen, um einen „ehrbaren“ Platz in der Gesellschaft zu erhalten. Es stehen ihnen Verhütungsmittel zur Verfügung, und Abtreibungen sind keine hochriskanten Angelegenheiten in illegalen Hinterzimmern mehr. Frauen sind heute oft gut ausgebildet, und kaum jemand wirft ihnen ernsthaft vor, wenn sie kinderlos bleiben, hätten sie ihre Weiblichkeit verfehlt.

Dass sie trotzdem noch fast so viele Kinder bekommen wie vor 35 Jahren, ist umso erstaunlicher, als das Leben mit Kindern ja weiterhin schwierig und kompliziert ist. Der „Modellmensch“, auf den die Arbeitswelt, die Sozialversicherungen und vieles andere abzielt, ist der von Fürsorgepflichten befreite, nur für sich selbst zuständige erwachsene Mann – und an diesem Modell sollen sich heute eben auch erwachsene Frauen orientieren.

Ich persönlich habe aus genau diesem Grund keine Kinder bekommen. Zum Beispiel hatte ich keine Lust, meine männlichen Lebenspartner danach auszusuchen, ob ich mit ihnen eine Familie hätte gründen können. Die Männer, in die ich mich verliebte, hatten immer andere Qualitäten, aber nicht diese.

Das allein hätte mich zwar nicht davon abgehalten, Mutter zu werden, wenn ich es unbedingt gewollt hätte. Aber angesichts der damit verbundenen organisatorischen Schwierigkeiten und finanziellen Unwägbarkeiten kam eben nie der Zeitpunkt, an dem ich gesagt habe: Okay, jetzt! Als Mangel empfand ich das nie. Schließlich sang ja auch Nina Hagen „Ich schaff mir keine kleinen Kinder an“ und fühlte sich dabei ganz „unbeschreiblich weiblich“.

Seit den 1990er Jahren, als das Thema für mich persönlich relevant war, hat sich trotz „Frauenpolitik“ an dieser Ausgangssituation bis heute nicht viel verändert. Von einigen Anstrengungen im Bereich der öffentlichen Kleinkinderbetreuung abgesehen, liegt die konkrete Verantwortung für das Versorgen von Kindern nach wie vor bei der Mutter und, falls er mitmacht, auch beim Vater. Kinder sind „Privatvergnügen“, heute eher noch mehr als früher. Zum Beispiel wurde das Unterhaltsrecht abgeschafft, damit das auch keine missversteht: Jede Frau, ob sie Kinder hat oder nicht, muss sich ihr Geld selbst verdienen.

Nur Lippenbekenntnisse

Die viel beschworene „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ ist hingegen weitgehend auf der Ebene der Lippenbekenntnisse steckengeblieben. Im Gegenteil: Die Arbeitsbedingungen verschärfen sich permanent, und keineswegs in Richtung mehr Kinderfreundlichkeit. Ein 30-Stunden-Job ist heute oft so kräfteraubend wie vor 30 Jahren ein 40-Stunden-Job.

Kann ich gleich zurückrufen? ist der bezeichnende Titel, unter dem die Journalistin Barbara Streidl gerade den „alltäglichen Wahnsinn einer berufstätigen Mutter“ in einer fiktiven Erzählung (Blanvalet Verlag) beschrieben hat. Mich grauste es beim Lesen auf jeder Seite. Und das, obwohl die Umstände der Protagonistin noch vergleichsweise gut sind: Sie hat einen Ehemann, der sich des Problems bewusst ist und mitmacht, wo er kann. Sie hat keine Geldsorgen und auch sonst keine größeren Probleme. Mit genauem Blick schildert Streidl aber die vielen kleinen Fallstricke, die die „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ im Alltagsleben konterkarieren. Sie zeichnet ein ziemlich genaues Bild von dem Dilemma, dass ständig irgendwie eins nicht zum anderen passt, ohne dass sich dafür eindeutig jemand oder etwas als Schuldiger benennen lässt.

Es gefällt mir, dass junge Frauen heute selbstbewusster als noch in meiner Generation ihren Wunsch in die Tat umsetzen, beides zu haben – Kinder, und vielleicht sogar mehr als eines, und ein erfülltes und qualifiziertes Berufsleben. Wohl auch, weil sie Rückenwind spüren, da der gesellschaftliche Diskurs das Rollenmodell der berufstätigen Mutter zum offiziellen Leitbild erkoren hat, während früher häufig von „Rabenmüttern“ die Rede war. Unterstützt werden sie von der wachsenden Zahl an Männern, die mit ihren Kindern gern mehr zu tun haben wollen als ein paar Stunden „Qualitätszeit“ am Wochenende.

Doch guter Wille alleine reicht eben nicht. Was mich an dem Buch von Barbara Streidl am meisten deprimiert hat, war das ständig präsente Schuldgefühl ihrer Protagonistin: Schuldgefühle gegenüber den Kollegen, die wegen ihr flexibler sein müssen, gegenüber der Putzfrau, von deren eigenem Leben sie nichts weiß, gegenüber der alten Mutter, die sie für Not-Kinderbetreuungs-Einsätze einspannt, gegenüber dem Ehemann, mit dem sie zu wenig gemeinsame Zeit als Paar verbringt, gegenüber dem Kind, das sie ständig hetzen muss. Hinzu kommen noch Schuldgefühle wegen mangelnder Zivilcourage: Weil die Protagonistin als reflektierte Feministin die Situation durchschaut, aber nicht überall, wo es notwendig wäre, den Elan aufbringt, etwas zu sagen und einzugreifen.

Es ist offensichtlich, dass es momentan die berufstätigen Mütter sind, die in ihrer Person mit einem eigentlich unmöglichen Spagat zusammenhalten, was zusammengehört, das aber von den realen gesellschaftlichen Umständen ständig auseinandergerissen wird. Mir persönlich ist nach der Lektüre dieses Buches noch immer und erst recht unverständlich, warum so viele Frauen überhaupt Kinder bekommen. Aber vielleicht steckt genau in dieser weiblichen Irrationalität ja der Impuls, den wir brauchen, um gesellschaftliche Veränderungen zum Besseren anzustoßen. Denn das geht wohl tatsächlich nur „gegen jede Logik“ und „gegen jede Wahrscheinlichkeit“.

Ein politischer Konflikt

Politisch scheint mir momentan dreierlei drängend zu sein. Erstens müssen wir Wege finden, wie Mütter ihre Schuldgefühle loswerden können. Oder besser: Wie aus diesen Schuldgefühlen ein politischer Konflikt gemacht werden kann. Die Logik unserer gesellschaftlichen Strukturen bringt konkrete Probleme hervor, aber da eine gesellschaftliche Struktur sich nicht schuldig fühlen kann, nehmen diejenigen die Schuld auf sich, die die Resultate vor anderen Menschen verantworten müssen. Also zum Beispiel die Mutter, die ihr Kind jeden Tag hetzt, damit sie es rechtzeitig in der Kita hat, oder die Tochter, die ihre Mutter nur sieht, wenn sie sich zum Babysitten die Türklinke in die Hand geben. Die Schuldgefühle, um die es hier geht, werden von den betroffenen Frauen empfunden, die sie aber eigentlich stellvertretend für die Allgemeinheit übernehmen.

Zweitens: Schluss mit den Rechtfertigungen. Es gibt kein „richtiges“ Frauenleben und auch kein „richtiges“ Mutterleben. Das gilt für die Kindererziehung ebenso wie für den Beruf oder die Art, Hausarbeit zu organisieren. „Weil ich es will“ ist eine Begründung für persönliche Entscheidungen, die frau ruhig zum Standard machen könnte.

Und drittens: Beziehungen stärken. Keine Frau ist alleine Mutter. Es ist zwar problematisch, dass das Eingebundensein von Müttern in ein größeres Beziehungsnetz heute meist allein auf den Kindsvater verengt wird. Aber immerhin wird so die Position der Mutter überhaupt sozialisiert und bleibt nicht nur in der Symbiose Mutter-Kind verankert.

Denn es ist in der Tat so, wie Barbara Streidl am Ende ihres Buches schreibt: „…dass wir zusammenhalten müssen. Um diese schwierigen, merkwürdigen, anstrengenden Zeiten nicht nur zu überstehen, sondern vielleicht auch zu genießen.“

Antje Schrupp, geboren 1964, ist Politikwissenschaftlerin und Buchautorin. Sie bloggt auf antjeschrupp.com

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