Arroganz spricht

Hochschule Einer Professorin der NYU wird sexuelles Fehlverhalten vorgeworfen. Geistesgrößen wie Judith Butler und Slavoj Žižek erklären sich solidarisch mit ihr. Vorschnell?

Der Entwurf eines Briefes prominenter Kulturwissenschaftlerinnen und Kulturwissenschaftler kursiert im Internet. Der an den Präsidenten und Provost der New York University (NYU) geschickte Brief legt offen, dass an der NYU eine Art Disziplinarverfahren („Title IX“) gegen die berühmte Literaturwissenschaftlerin Avital Ronell läuft. Titel-IX-Verfahren an US-amerikanischen Hochschulen richten sich gegen sexuelle Gewalt und Diskriminierung. Der geleakte Brief, der am 10. Juni 2018 auf dem Blog Leiter Reports veröffentlicht wurde, ist an erster Stelle von Adorno-Preisträgerin Judith Butler unterzeichnet. Die Unterzeichner des Briefes betonen, dass ihnen keine Details des Verfahrens bekannt seien und ihnen die entsprechenden Akten nicht vorliegen. Umso bemerkenswerter erscheint der Brief der Professoren.

Die Unterzeichner des Briefes sprechen sich gleich zu Anfang gegen „jedwede Verurteilung“ von Professor Ronell aus. Das Professorenkollektiv betont, dass Ronell die Germanistik als Fach geprägt habe, dass ihr intellektuelles Wirken in die Medienwissenschaft, die feministische Theorie und die Komparatistik ausgestrahlt habe, dass ihre Studierenden an führenden internationalen Forschungseinrichtungen tätig seien und dass sie die „wohl wichtigste Literaturwissenschaftlerin der New York University“ sei. „Sollte sie entlassen oder ihrer Pflichten enthoben werden“, so schreiben die Professoren weiter, „würde diese Ungerechtigkeit breite Anerkennung und Ablehnung erfahren.“ In aller Deutlichkeit bitten die Professoren den Präsidenten der NYU darum, die Verdienste von Professor Ronell im Verlauf des Verfahrens zu berücksichtigen. „Wir bitten darum, dass Sie in der Durchsicht der Unterlagen, sich (...) das internationale und wohlverdiente Renommee als brillante Wissenschaftlerin klar vor Augen halten“.

Der Brief spricht von einem „niederträchtigen Feldzug“


Das Professorenkollektiv schreibt außerdem, dass ihnen teilweise die beschwerdeführende Person bekannt sei. Diese Einzelperson, so die Professoren, führe einen „niederträchtigen Feldzug“ gegen Professor Ronell. Die Professoren führen weiterhin aus, dass „die Anschuldigungen gegen sie [Professor Ronell] nicht im eigentlichen Sinne als Beweise angesehen“ werden dürften. Im Gegenteil müssten sie so betrachtet werden, dass „böse Absicht“ diesen „rechtlichen Albtraum inspiriert und am Leben gehalten“ habe. Der Brief schließt mit der Forderung, Professor Ronell verdiene eine faire Anhörung.

Es kann als durchaus schockierend empfunden werden, dass eine relativ große Gruppe von Professoren davon ausgeht, an der New York University könne es kein gerechtes Verfahren für Professor Ronell geben. Es erscheint zudem besorgniserregend, dass die Personen, die die Titel-IX-Beschwerde eingereicht haben, von den Professoren leichtfertig und ohne nähere Gründe und ohne Detailkenntnisse (außer sie stammten von den Betroffenen selbst) als böswillig beschrieben werden. Sprachlos schließlich lässt einen der arrogante Ton zurück, mit dem die Professoren die Unschuld ihrer Kollegin aus den ausführlich beschriebenen wissenschaftlichen Verdiensten herleiten. Eine solche Argumentation spricht den mit dem Vorfall betrauten Zuständigen an der NYU ein differenziertes Urteilsvermögen ab. Auch die Unschuld Harvey Weinsteins ergibt sich nicht aus den gefeierten Filmen, die er produziert hat. Und niemand ist von vornherein unschuldig, weil er oder sie Hölderlin so vorzüglich interpretiert hat.

Anton Pluschke promoviert am German Department der Princeton University. In der kommenden Ausgabe des Freitag folgt eine ausführliche Darstellung zum Thema

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