Ein bisschen mehr Soap, bitte

Netzgeschichten Die "New York Times" stellt nun ihre Redaktionssitzungen als Video-Clips ins Netz. Das soll die Leser binden, nur leider erfährt man die richtig wichtigen Dinge nicht

Der New York Times-Redaktion kann man seit kurzem ein bisschen beim Arbeiten zugucken. In der Online-Ausgabe gibt es täglich ein Video, einen TimesCast. Die Idee dahinter ist, nun ja, die Leser emotional an das Blatt zu binden. In Zukunft soll bei nytimes.com nämlich nicht mehr alles kostenlos sein. Da dies in Zeiten der Gratiskultur im Netz von den Lesern als ziemliche Frechheit aufgefasst werden könnte, sollen jene durch das Gucken des Castes eine Bindung, ja, eine Liebe, zum Blatt entwickeln, welche, wenn der Plan aufgeht, eine Kaufentscheidung bewirkt. So weit die Theorie.

Die Redaktionsshow beginnt mit einem dynamischen Trommel-Loop. An einem ovalen Konferenztisch sitzen seriös gekleidete Menschen auf grünen Stühlen, vor ihnen kleine Mikrofone — man weiß also sofort, dass es ernst ist und fühlt sich an amerikanische Kinofilme erinnert, in denen Journalisten ja meistens bei der Times arbeiten oder dort arbeiten wollen. Die Redaktion hält das Page One Meeting ab, um „10:33 A.M.“, während das Getrommel die Schlagzeilen unterlegt: „Catholic Church Scandal, Social Security … Networking“ und so weiter.

Die Redaktion blickt auf einen Bildschirm am Ende des Tisches, ein Debuty Foreign Editor referiert konzentriert die Lage. Der Editor, ein graumelierter Herr, das journalistische Pendant zum amerikanischen Fernseh-Arzt, redet und danach reden alle möglichen anderen Menschen zu seriösen Themen und zwischendurch kommt wieder das Trommeln. Der akustischen Inszenierung angemessen wäre es, wenn vor Ort etwas explodierte, wenn sich die Redakteure wie Action-Helden über den Boden rollten, wenn ein Außenminister in die Redaktion stürmte und Nachrichten vor Ort erzeugte, für den Leser, um dessen Bindung es schließlich geht.

Aber emotional wird es eben nicht so richtig in den knapp sechs Minuten, in deren Verlauf die Schlagzeilen aus dem Page One Meeting durch Interviews mit den zuständigen Redakteuren unterfüttert werden: In einer Großraumbüro-Batterie sitzend befragt der Debuty Foreign Editor den Berlin Bureau Chief und man fragt sich, was macht der schicke Times-Mann in so einem hässlichen Kasten, dann wird der Senior Editor interviewt und dann irgendein weiterer Editor.

Aber was man doch eigentlich wissen will, ist: Wer schläft mit wem? Wer hasst wen? Wie viele Alkoholiker arbeiten im Auslandsressort? Und wo genau sitzen die intriganten Arschlöcher? Die Texte würde man dann jedenfalls mit ganz anderen Augen lesen.

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